- Kulturelle Hegemonie
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Kulturelle Hegemonie bezeichnet nach Antonio Gramsci die Produktion zustimmungsfähiger Ideen.
Inhaltsverzeichnis
Herrschaftsbegriff
In der bürgerlichen Gesellschaft werde Herrschaft nicht allein durch bloßen Zwang erzeugt, sondern die Menschen würden überzeugt, dass sie in der „besten aller möglichen Welten“ lebten: Die stabilen Formen kapitalistischer Herrschaftssysteme würden durch Konsens, durch „Hegemonie“ in der Zivilgesellschaft (societa civile) vermittelt sowie durch deren Hegemonieapparate, wie Schulen, Kirchen, Massenmedien und Verbände.
Hegemonie heißt für Gramsci, „dass die herrschende Gruppe sich auf konkrete Weise mit den allgemeinen Interessen der untergeordneten Gruppen abstimmen wird und das Staatsleben als ein andauerndes Formieren und Überwinden von instabilen Gleichgewichten zu fassen ist [...], von Gleichgewichten, in denen die Interessen der herrschenden Gruppen überwiegen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, d. h. nicht bis zu einem engen ökonomisch-korporativen Interesse“[1]
Für Gramsci waren die Erfahrungen der russischen Revolution nur begrenzt auf Westeuropa übertragbar: Sollte es zu einer grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Industrieländern kommen, so werde diese eher den Charakter eines „Stellungskrieges“ als den eines „Bewegungskrieges“ um die vorherrschenden Ideen haben: Es komme nicht nur auf das ökonomische Kräfteverhältnis an, sondern auch auf das in der Politik und in den Medien. Hier erforschte Gramsci besonders die Geschichte und Theorie der Intellektuellen mit einem sehr weit gefassten Intellektuellenbegriff: Jeder sei ein Intellektueller, weil jeder die Fähigkeit zu denken habe; aber nicht jeder habe die Funktion eines Intellektuellen. Gramsci spricht hier von „organischen Intellektuellen“.
Im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte hat der Hegemoniebegriff Eingang in viele Felder der Sozialwissenschaften gefunden:
Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie wird beispielsweise zunehmend auch in der feministischen Diskussion aufgegriffen, um damit die Funktionsweisen geschlechtsspezifischer Unterordnungsverhältnisse zu erklären. So würden sich die komplexen Strukturen, durch die geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten werden, mit Gramscis Vorstellung von Herrschaft durch Konsens, d. h. durch die Verinnerlichung der Herrschaftsverhältnisse, weitaus plausibler erklären lassen als mit Gewalt und Zwang. Es wird daher auch von hegemonialen Geschlechterverhältnissen gesprochen.
Gramscis Hegemoniekonzept wurde vor allem durch Ernesto Laclau und Chantal Mouffe in die postmarxistische Diskussion hinübergerettet. Dies ist besonders seiner Kritik an dem in der marxistischen Diskussion seinerzeit vorherrschendem extremen Dualismus zwischen materieller Basis und ideellem Überbau zu verdanken, welchen er mit seiner Betonung der Bedeutung von Ideologie überwinden half.
Im Bereich der internationalen Beziehungen hat der spezifisch gramscianisch geprägte Hegemoniebeegriff (in Abgrenzung zum gängigen, eher politisch-militärischen) spätestens seit Beginn der 1990er einen festen Platz gefunden.
Eine Reformulierung und weitere Ausarbeitung des Hegemoniekonzepts finden wir in Pierre Bourdieus Arbeiten über die „Symbolische Gewalt“.
Literatur
- Brigitte Rauschenbach, Kulturelle Hegemonie und Geschlecht als Herausforderung im europäischen Einigungsprozess – eine Einführung, 2005. [2]
- Stephen Gill (ed.), "Gramsci, Historical Materialism and International Relations", 1993, Cambridge University Press, Cambridge
- Ernesto Laclau and Chantal Mouffe "Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics", 1985, Verso, London (deutsch: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991)
Einzelnachweise
Weblinks
Siehe auch
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