Lehrlingsbewegung

Lehrlingsbewegung

Lehrlingsbewegung der 1970er-Jahre bezeichnet eine soziale Protestbewegung von Auszubildenden des dualen Ausbildungssystems zwischen 1968 und 1972, angeregt durch die außerparlamentarische Opposition (APO) der Studentenbewegung. Durch spektakuläre Aktionen erlangten die von Lehrlingen als „ausbeuterisch“ bezeichneten Ausbildungsbedingungen in Lehrbetrieben bundesweit öffentliche Aufmerksamkeit. Die Lehrlingsbewegung beeinflusste die Tarifpolitik der Gewerkschaften sowie Reformbestrebungen in der beruflichen Ausbildung.

Der Lehrlingsprotest richtete sich gegen die Ausbildungspraxis der Betriebe. Die Lehrlinge beklagten mangelhafte betriebliche Lernmöglichkeiten, ungenügende Abstimmung von Theorie und Praxis, zwischen Berufsschule und Betrieb, zu viele Hilfsarbeiten ohne Lern- und Übungswert oder gar berufsfremde Aufgaben. Auch die vermeintlich unpädagogische Erziehung zu „fügsamen Arbeitsuntertanen“ („Lehrjahre sind keine Herrenjahre“) waren Gegenstand einer politisch orientierten Kritik.

Die Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Parteien und die infolge der Studentenbewegung entstandenen neuen linken Gruppierungen interpretierten die Unzufriedenheit der Lehrlinge sehr unterschiedlich. Die Auffassungen über die Ursachen reichten von Generationenkonflikt, über Modernitätsrückstand bis hin zu Verführung durch APO-Studenten.

Inhaltsverzeichnis

Anfänge

Ende der 1960er Jahre herrschte in der Bundesrepublik Vollbeschäftigung und etliche Lehrstellen blieben unbesetzt. Lehrlinge konnten in vielen Berufszweigen unter den Angeboten auswählen. Doch gab es große Unterschiede in der Qualität der Lehrlingsausbildung – etwa zwischen modernen Industriebetrieben oder traditionellen, oft kleinen Handwerksbetrieben. Viele Lehrlinge empfanden das als sehr ungerecht. Das waren die Rahmenbedingungen unter denen im September 1968 der erste öffentliche Lehrlingsprotest stattfand. In der Hamburger Börse verteilten Lehrlinge anlässlich der traditionellen Freisprechungsfeier Flugblätter mit ihren Forderungen. Eine Öffentlichkeitswirkung wurde aber erst spürbar, als die Lehrlinge auf der zentralen Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 1969 auf dem Hamburger Rathausmarkt ihre Forderungen lautstark artikulierten. Prominente Festredner wie Willy Brandt, Herbert Weichmann und Otto Brenner mussten ihre Reden begleitet durch die Sprechchöre von schätzungsweise 3.000 Lehrlingen vortragen.

Folgen

Infolge des für den Gewerkschaftsvorstand völlig unerwarteten Protestes an der Gewerkschaftsbürokratie trafen Betriebsräte und Vertrauensleute auf einer zentralen Konferenz nur wenige Tage später am 6. Mai 1969 weit reichende Entscheidungen über die künftige gewerkschaftliche Jugendpolitik. Der Vorstand wurde aufgefordert, ein „Jugendpolitisches Sofortprogramm“ zu entwerfen. Das Ziel war es, Jugendliche wieder verstärkt an die Gewerkschaften heranzuführen.

Siehe auch

Literatur

  • Bundesvorstand der SDAJ (Hrsg.): Arbeiterjugend kontra Monopole. Dortmund 1970.
  • Reinhard Crusius, Oskar Söhl, Manfred Wilke: Praxis und Theorie gewerkschaftlicher Lehrlingspolitik. Offenbach 1971.
  • Hans-Jürgen Haug, Hubert Maessen: Was wollen die Lehrlinge? Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-436-01358-7.
  • Durag-Betriebsgruppe: Lehrlingskampf in den Betrieben. Theorie und Praxis der Lehrlings-Betriebsgruppenarbeit. Offenbach, Hamburg 1971.
  • Oswald Todtenberg, Arno Ploog: Du gehörst dir und nicht den Bossen. Ein Buch für Lehrlinge. Hamburg 1971.
  • Joachim Weiler, Rolf Freitag: Ausbildung statt Ausbeutung. Der Kampf der Essener Lehrlinge. Reinbek bei Hamburg 1971.
  • Hermann Tenhorst: Initiatoren politischer Arbeiterjugendgruppen. Ein Beitrag zur Analyse der sogenannten Lehrlingsbewegung 1968–1972. Dissertation. München 1979.
  • Reinhard Crusius, Manfred Wilke: Jugend ohne Beruf – Gewerkschaft ohne Jugend?. Frankfurt am Main 1981.
  • Reinhard Crusius: Berufsbildungs- und Jugendpolitik der Gewerkschaft. Frankfurt, New York 1982.

Weblinks


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