Leitname

Leitname

Als Leitname bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft und speziell in der Genealogie einen (oder mehrere) Vornamen, die innerhalb von Familien gehäuft bis dominant auftreten.

Entstehung und Wechsel

Leitnamen sind vermutlich aus dem vereinzelt noch bis heute geübten Brauch der Erbnamensitte entstanden, den ersten Sohn nach dem Großvater väterlicherseits (und den zweiten Sohn nach dem Großvater mütterlicherseits) zu benennen. Wenn dieser Sohn seinem Erstgeborenen den Namen seines Vaters gab und dieser Brauch von Generation zu Generation fortgesetzt wurde, entstanden zwei Leitnamen, die abwechselnd zum Tragen kamen. Es gab aber auch die Tradition, in jeder Generation dem Erstgeborenen als Lehnserben denselben Namen zu geben. Starb der Erstgeborene noch vor der Geburt seines Bruders, erhielt dieser häufig denselben Namen, um den Leitnamen fortzuführen.

Wenn die Mutter aus sehr vornehmer Familie stammte, kam es auch vor, dass der Erstgeborene nach dem Großvater mütterlicherseits genannt wurde. Außerdem kam es im Mittelalter häufig vor, dass Kinder allgemein und damit auch Erstgeborene als Kinder oder Jugendliche starben, so dass nachgeborene Söhne das Erbe ihres Vaters antraten und die Linie fortsetzten. In beiden Fällen konnten Leitnamen aus dem mütterlichen Namensgut entstehen.

Schließlich gab es Leitnamen, die bevorzugt für nachgeborene Söhne verwendet wurden, z.B. Hermann bei den Billungern.

Ein Leitname konnte ganz oder für längere Zeit aus dem Gebrauch einer Sippe schwinden, wenn der Name blutbefleckt oder Namensträger durch eine andere schwere Straftat ehrlos geworden und gerichtet worden war. So verschwand bei den Grafen von Oldenburg aufgrund eines Brudermords jahrhundertelang der Name Egilmar.

Weibliche Leitnamen sind innerhalb einer Sippe schwieriger festzustellen, da Frauen - wenn überhaupt - erst verheiratet oder verwitwet in den Quellen Erwähnung finden. Nur selten lassen sich gesicherte Aussagen darüber machen, aus welcher Sippe sie stammten. Durch die Einheirat gelangten ihre Namen in die Familie ihres Mannes. Außerdem waren Namen wie z.B. Oda, Ida und Mathilde auch im Hochadel so häufig, dass sie keiner bestimmten Familie als Leitname zugeordnet werden konnten. Eine Ausnahme ist der Name Richenza, der beim Haus Oldenburg von 1108 bis heute Verwendung findet.

Leitnamen kamen vor allem im Frühmittelalter zum Einsatz, in einer Zeit, in der

waren, um die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Sippe ausdrücken zu können.

Leitnamen kamen – zumindest im Adel – wieder außer Gebrauch, als die Familienzugehörigkeit stärker über Titel und Besitz (zum Beispiel durch die Abkehr vom karolingischen Gaugrafen als auswechselbarem regionalen Vertreter der Königsmacht und die Durchsetzung der Erblichkeit der Grafentitel inklusive dem Eigentum an Land und Leuten) deutlich gemacht werden konnte und damit andere Kriterien für die Wahl der Vornamen in den Vordergrund traten.

Für die historische Forschung hat der Leitname den Vorteil, dass bei mehreren Personen gleichen Vornamens Indizien für eine verwandtschaftliche Beziehung vorliegen, aber auch den Nachteil, dass die einzelnen den Leitnamen tragenden Mitglieder der Familie schlechter voneinander zu unterscheiden sind. Darüber hinaus dient hier der Leitname oft dazu, der Sippe im Nachhinein einen Familiennamen zu geben

So wird zum Beispiel aufgrund des Leitnamens Burchard angenommen, dass die Hohenzollern (deren Stammreihe mit Burchard I. von Zolorin, † 1061, beginnt) von den rätischen Burchardingern (Herzog Burchard III. von Schwaben † 973) abstammen.

Beispiele

Innerhalb der königlichen Familien sind Leitnamen eher unüblich gewesen, hier war die Zugehörigkeit offensichtlich und musste nicht gesondert betont werden:

  • Die Merowinger kannten keine Leitnamen; die Königsnamen Chlodwig, Chlothar, Childerich, Dagobert etc. treten nicht gehäuft auf.
  • Auch bei den Karolingern hat sich kein Leitname herausgebildet. Der Vorname Karl taucht erstmals mit Karl Martell auf, und auch die übrigen Vornamen deuten mehr auf Vorbilder hin als auf Systematik: Pippin wurde von der mütterlichen Seite, den Pippiniden, übernommen, mit Ludwig und Lothar, Abwandlungen der Merowingernamen Chlodwig und Chlothar, sollte die eigene Legitimität gestützt werden.
  • Bei den Konradinern war der Vorname Konrad häufig, aber nur neben anderen Vornamen wie Gebhard, Udo oder Hermann zu sehen.
  • Bei den Liudolfingern oder Ottonen traten in den frühen Generationen gleichwertig die Namen Brun, Liudolf, Thankmar, Heinrich und Otto auf, bevor sich letzterer aufgrund der Bedeutung der Personen, die diesen Namen trugen, durchsetzte.
  • Bei den Saliern ist für die ersten Generationen in gaugräflicher Position der Name Werner als Leitname identifizierbar, verschwindet allerdings in dem Moment, in dem die Familie den führenden Rang im Reich übernimmt zugunsten der Kaisernamen, die aus vorangegangenen Dynastien bekannt sind.
  • Lediglich die Staufer, deren Leitname Friedrich war, hielten an diesem auch als deutsche Kaiser fest – und gingen sogar so weit, auf andere Namen getaufte Söhne nach Friedrich umzubenennen, sobald sie durch den Tod eines älteren Familienmitglieds in der Erbfolge nachrückten.

Unterhalb der Herrscherebene ist die Verwendung von Leitnamen wesentlich häufiger, hier fehlt die Prominenz des einzelnen, ist die Zugehörigkeit zu einem Familienverband wesentlicher:

  • Die Robertiner, seit dem 7. Jahrhundert bezeugt, benutzten den Leitnamen Robert, der als Chrodobertus oder Rupert den Stammbaum der Familie bis ins 11. Jahrhundert durchzieht, bis er mit der Erringung der Königsgewalt in Frankreich durch Hugo Capet seine verbindende Funktion verliert.
  • Die schwäbischen Welfen führten den Leitnamen Welf, bis sie den Herzogstitel in Bayern und Sachsen errangen, und der Name Welf durch den Namen Heinrich verdrängt wurde.
  • Bei den Hohenzollern war der Name Friedrich eindeutiger Leitname.

Reuß

Ein Extrembeispiel für den Einsatz eines Leitnamens ist das Fürstenhaus Reuß, das seit dem 12. Jahrhundert (damals noch als Burgvögte von Plauen) für die männlichen Familienangehörigen ausschließlich den Vornamen Heinrich verwendet. Dabei zählte die ältere Linie alle männlichen Familienangehörigen bis hundert durch, während die jüngere mit jedem neuen Jahrhundert von vorne anfing - eine Regelung, die 1668 durch Hausgesetz fixiert wurde.


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Alan de Roucy — Alain de Roucy (* vor 1172 auf der Ile de France; † 1221 im Languedoc) war ein französischer Ritter und Kreuzfahrer zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Wappen von Alain de Roucy Inhaltsverzeichni …   Deutsch Wikipedia

  • Burg Neersen — Schloss Neersen Datei:Schloss Neersen Festspiele.jpg Innenhof des Schlosses Neersen mit Tribüne für die Festspiele Alternativname(n): Rathaus der Stadt Willich Burgentyp: Motte Erhaltungszustand …   Deutsch Wikipedia

  • Bussche-Streithorst — Stammwappen der von dem Bussche Wappen der von dem Bussche Ippenburg genannt von Kessel Bussche ist der Name eines alten ostwestfälischen …   Deutsch Wikipedia

  • Haus Boulogne — Das Haus Boulogne war die Familie der ersten Grafen von Boulogne; sie regierte gesichert von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. Die bekanntesten Familienmitglieder sind die Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon,… …   Deutsch Wikipedia

  • Leutrum — Wappen der Leutrum von Ertingen Leutrum von Ertingen (auch Leutrum zu Ertingen oder nur Leutrum) ist der Name eines schwäbischen Adelsgeschlechts. Die Herren Leutrum von Ertingen gehörten zu den ältesten Geschlechtern in Oberschwaben und… …   Deutsch Wikipedia

  • Thülen (Adelsgeschlecht) — Wappen derer von Thülen Thülen (teilweise aus Thulen) war ein altes westfälisches Geschlecht des Ritteradels, das sich bis ins Baltikum ausbreitete. Diese Linie wurde Raab genannt von Thülen genannt. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Agilulf — (auch „Agilolf“, „Egilulf“, „Egilolf“ und andere Varianten; abgekürzt: „Agilo“, „Egilo“) ist ein althochdeutscher Personenname. Agilulf ist der Leitname des Adelsgeschlechtes der Agilolfinger, der zurückgeht bis auf: Agilulf (Sueben) (* um 420)… …   Deutsch Wikipedia

  • Alain de Roucy — Wappen von Alain de Roucy Alain de Roucy (* vor 1172 auf der Ile de France; † 1221 im Languedoc) war ein französischer Ritter und Kreuzfahrer zu Beginn des 13. Jahrhunderts …   Deutsch Wikipedia

  • Archambault — ist ein männlicher Vorname, der besonders im mittelalterlichen Frankreich vergeben wurde. Er war insbesondere der Leitname der Herren von Bourbon, darunter vor allem Archambault VII., Herr von Bourbon vor 1120–1171 Archambault VIII. le Grand, †… …   Deutsch Wikipedia

  • Brühl (Adelsgeschlecht) — Wappen derer von Brühl Brühl ist der Name eines alten sächsisch thüringischen Adelsgeschlechts mit Stammhaus auf Gangloffsömmern in Thüringen. Die Herren von Brühl gehören zum Uradel. Zweige der Familie bestehen bis heute. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”