- Lieblingsjünger
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Der Lieblingsjünger Jesu ist eine anonyme Gestalt aus dem Johannesevangelium. Er kommt in wichtigen Momenten der Passionsgeschichte vor, meist mit dem Ausdruck: „der Jünger, den Jesus liebte“. Als einziger Jünger am Fuß des Kreuzes ist er ein beispielhaft Gläubiger. Er wird mehrmals in Beziehung oder in Konkurrenz zu Petrus erwähnt (zum Beispiel Joh 21,2–20 EU). Aus dem Evangelium geht jedoch nicht hervor, wer diese Person ist.
Inhaltsverzeichnis
Vorkommen im Evangelium
Obwohl im Johannesevangelium mehrfach erzählt wird, dass alle Jünger von Jesus geliebt werden (Joh 13,1 EU; Joh 13,34 EU), erhält der Lieblingsjünger eine hervorgehobene Position. Insgesamt fünfmal kommt der Begriff „der Jünger, den Jesus liebte“ vor. Im altgriechischen Text werden dabei zwei verschiedene Verben für „lieben“ verwendet, die sich in der deutschen Übersetzung nur bedingt differenzieren lassen: ἀγαπᾶν agapan ‚liebevoll aufnehmen, lieben, schätzen‘ sowie φιλεῖν philein ‚lieben, lieb haben, liebreich aufnehmen‘.[1]
Joh 13,23–26 EU „μαθητὴν, ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς“ (während des Abschiedsmahls) Joh 19,26–27 EU „μαθητὴν, ὃν ἠγάπα [ὁ Ἰησοῦς]“ (während der Kreuzigung) Joh 20,2–10 EU „μαθητὴν, ὃν ἐφίλει ὁ Ἰησοῦς“ (bei der Entdeckung des leeren Grabes) Joh 21,7 EU „μαθητὴς, ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς“ (Erscheinung des auferstandenen Jesus am See von Tiberias) Joh 21,20 EU „μαθητὴν, ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς“ (Frage der Nachfolge Jesu) Die beiden letzten Stellen befinden sich im Kapitel 21, das als redaktioneller Nachtrag zum bereits vorliegenden Evangeliumstext gilt. Im Anschluss an Joh 21,20 wird in Joh 21,24 EU das Zeugnis des Lieblingsjüngers hervorgehoben und mit Blick auf das ganze Evangelium festgestellt, dass er „dieses“ geschrieben habe. Daraus ergibt sich die Tradition, der Lieblingsjünger sei auch der Verfasser des Evangeliums.
Theorien über den Lieblingsjünger
Seit langem wird in der biblischen Exegese über die Identität des Lieblingsjüngers diskutiert. Die Tradition sieht in ihm den Apostel Johannes, der mit den Aposteln Petrus und Jakobus dem Älteren eine besondere Beziehung zu Jesus hatte (Mk 5,37 EU; Mk 9,2 EU; Mk 13,3 EU; Mk 14,33 EU; Mt 26,37 EU; Lk 8,51 EU; Lk 9,28 EU). Da das Johannesevangelium in Joh 21,24 EU den Lieblingsjünger als seinen Verfasser identifiziert, wäre dann der Apostel auch identisch mit dem Evangelisten Johannes. Andere Deutungen sehen im Lieblingsjünger einen der anderen Apostel oder eine symbolische, vom Evangelisten geschaffene Figur, die historisch nicht zu identifizieren sei.
Richard Bauckham bezieht sich auf Berichte von Papias von Hierapolis, Irenäus von Lyon und Polykrates von Ephesus und identifiziert den Lieblingsjünger mit dem Presbyter Johannes von Ephesus, der nach Polykrates ein jüdischer Hohepriester war, womit historisch ein Sohn oder Enkel des jüdischen Hohepriesters Annas gemeint sein könnte. [2]
Rudolf Steiner erkannte im Lieblingsjünger den von Jesus auferweckten Lazarus.[3] Auch einige moderne Exegeten vertreten eine solche Theorie.[4] Walter Simonis vermutet im Lieblingsjünger den Evangelisten Markus.[5]
Anmerkungen
- ↑ Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. G. Freytag Verlag/Hölder-Pichler-Tempsky, München/Wien 1965.
- ↑ Richard Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses, 2006
- ↑ Rudolf Steiner: Das Johannes-Evangelium. Dornach 1995 = GA 103, S. 62-82
- ↑ Reinhard Nordsieck: Johannes. Zur Frage nach Verfasser und Entstehung des vierten Evangeliums. Neukirchen 1998
- ↑ Markus, der Evangelist und Jünger, den Jesus liebte. Frankfurt a.M. 2004
Literatur
- Martin Hengel: Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch. Mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey. WUNT 67. Mohr, Tübingen 1993 ISBN 3-16-145836-2
- Walter Simonis: Markus, der Evangelist und Jünger, den Jesus liebte. Frankfurt a.M. 2004, ISBN 3-631-52463-3
- Reinhard Nordsieck: Johannes. Zur Frage nach Verfasser und Entstehung des vierten Evangeliums. Neukirchen 1998 ISBN 3-7887-1670-3
Weblinks
Kategorie:- Person im Neuen Testament
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