- Matthäus-Prinzip
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Der Matthäus-Effekt ist wie das Thomas-Theorem eines der „Grundgesetze“ jeder handlungsbezogenen Soziologie. Die Bezeichnung spielt an auf einen Satz aus dem Matthäusevangelium aus dem Gleichnis von den anvertrauten Zentnern an:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“
Umgangssprachlich wird dieses Phänomen auch mit den Sprichworten „Wer hat, dem wird gegeben“, „Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist“ oder auch „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“ wiedergegeben. In der Wissenschaft wird es auch in der Zitationsanalyse behandelt.
Der amerikanische Soziologe Robert K. Merton hat den Matthäus-Effekt als Matthew-effect im Rahmen seiner wissenschaftssoziologischen Überlegungen hauptsächlich auf die Zitierhäufigkeit von wissenschaftlichen Veröffentlichungen als empirisch beobachtetes Phänomen, das dem Grundsatz der positiven Rückkopplung folgen soll, operationalisiert. Das heißt, dass bekannte Autoren häufiger zitiert werden als unbekannte und dadurch noch bekannter werden (success breeds success). Trotz des Matthäus-Effektes nimmt die Anzahl der Zitierungen einer Publikation nach einem kurzen Anstieg auch bei bekannten Autoren mit einer relativ konstanten Halbwertszeit ab. Oft ist es sogar so, dass die momentan am häufigsten zitierten Artikel eine schnellere Abnahme der Zitierungen aufweisen. Dies kann unter anderem damit erklärt werden, dass allgemein bekannte Informationen nicht mehr zitiert werden, sondern nur noch mit dem Namen des Autors oder als bloße Tatsache in einem Text erscheinen. Dieses Phänomen wurde von Eugene Garfield als eine Form des Uncitedness behandelt. Selbst Klassiker und Standardwerke werden in der Regel nicht ewig zitiert, weil sie irgendwann neu aufgelegt werden und auf die neueste Auflage verwiesen wird. Es deutet auch darauf hin, dass der Matthäus-Effekt eher bei Autoren als bei einzelnen Artikeln auftritt. Wenn der Matthäus-Effekt durch gegenseitige Gefälligkeitszitate mehrerer Autoren herbeigeführt oder verstärkt wird, spricht man von einem Zitierkartell.
In der Lehr-Lern-Forschung besagt das Prinzip (stark verkürzt), dass das Vorwissen einen wesentlichen Prädiktor des Lernerfolgs darstellt. Je mehr Vorwissen vorhanden ist, desto höheren Nutzen kann der oder die Lernende aus einem bereitgestellten Lernangebot ziehen. Einen Matthäus-Effekt konnten Knut Schwippert, Wilfrid Bos und Eva-Maria Lankes beweisen. Wenn man Schüler über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, so fällt auf, dass die Schule vorhandene Leistungsunterschiede verstärkt. So gibt es bereits bei Grundschülern Leistungsunterschiede zwischen Kindern aus bildungsnahen und Kindern aus bildungsfernen Familien. Doch diese Unterschiede sind längst nicht so groß wie die Unterschiede im Alter von 15 Jahren. In allen Ländern, die sowohl bei PISA als auch bei PIRLS/IGLU mitgemacht haben, zeigte sich, dass die Leistungsunterschiede zwischen den Kindern aus verschiedenen Schichten im Jugendlichenalter größer sind als im Kindesalter. Dies betrifft die Länder Neuseeland, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Norwegen, USA, Schweden, Kanada, Griechenland, Tschechien, Island, Niederlande, Italien, Lettland und die Russische Föderation. [1]
In anderen Bereichen werden ähnliche Effekte als richer-get-richer-Prinzip bezeichnet. Daraus ergeben sich in der Regel Pareto-Verteilungen oder eine andere Form von Skalengesetzen.
Siehe auch
- Matilda-Effekt
- Stiglers Gesetz
- Soziale Inklusion und Exklusion in der funktionalen Differenzierung
Literatur
- Robert K. Merton: Der Matthäus-Effekt in der Wissenschaft. In: R. K. Merton (Hrsg.): Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Suhrkamp, Frankfurt 1985, ISBN 3-518577107, S. 147f.
- Robert K. Merton: The Matthew Effect in Science. In: Science. Bd. 159, Nr. 3810, Washington DC 1968, S. 56–63 (pdf; 2,5 MB).
- Robert K. Merton: The Matthew Effect in Science, II. In: Isis. Bd. 79, 1988, S. 600–623 (pdf; 2,22 MB).
Referenzen
- ↑ Knut Schwippert, Wilfrid Bos, Eva-Maria Lankes (2003): Heterogenität und Chancengleichheit am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich, S. 295. In: Bos et al.: Erste Ergebnisse aus IGLU: Schülerleistungen am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann, 2003
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