Medizinischer Sachverständiger

Medizinischer Sachverständiger

Ein medizinischer Sachverständiger (auch: medizinischer Gutachter) ist ein approbierter Mediziner, der für einen Auftraggeber (z. B. Gerichte, Versicherer, Berufsgenossenschaften, Rechtsanwälte, Privatpersonen) zu Fragen des Gesundheitszustands und der Körperschädigung von Probanden Stellung nimmt. Medizinische Sachverständige unterstützen durch die medizinische Begutachtung die Entscheidungen von Gerichten und von sozial- und privatrechtlichen Versicherungsträgern über deren Leistungspflicht.

Rechtlicher Hintergrund

Nach der Zivilprozessordnung (ZPO) und der Strafprozessordnung (StPO) sowie der Berufsordnung (BO) in Anlehnung an die Muster Berufsordnung (MBO) ist in Deutschland jeder approbierter Arzt verpflichtet, ein Sachverständigengutachten vor Gericht zu erstellen. Nach § 407a ZPO hat der Sachverständige unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen. Er ist ferner nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Hat der Sachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrages, so hat er unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen. Dieselben Gründe, die einen Zeugen berechtigen, das Zeugnis zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gutachtens. Das Gericht kann auch aus anderen Gründen einen Sachverständigen von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbinden (§ 408 ZPO). Wenn ein Sachverständiger nicht erscheint oder sich weigert, ein Gutachten zu erstatten, obwohl er dazu verpflichtet ist, oder wenn er Akten oder sonstige Unterlagen zurückbehält, werden ihm nach § 409 ZPO die dadurch verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt. Fragen der versicherungsrechtlichen Begutachtung werden unter anderem im Sozialgesetzbuch geregelt.

Aufgabe des medizinischen Sachverständigen und Abgrenzung zur kurativen Tätigkeit

Ärztliche Sachverständigengutachten dienen dazu, nicht eindeutige medizinische Sachverhalte so weit aufzuklären, dass eine Beantwortung der mit ihnen verknüpften Rechtsfragen möglich wird. Um den Beweisregeln der Rechtsordnung zu genügen, muss der medizinische Sachverständige sich in seinem Gutachten auf gesicherte medizinische Erkenntnisse beschränken. Nur der objektiv belegbare – und damit auch in der Befunderhebung reproduzierbare Befund (Reliabilität) eröffnet die Möglichkeit seiner Bewertung hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen, im Schadensfall also u. a. der Begründung einer einmaligen Entschädigung bzw. dauerhaften Versicherungsleistung. Typische Aufgabenfelder des medizinischen Sachverständigen vor Gericht sind sozialgerichtliche (z. B. Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Vorliegen von Berufskrankheiten), zivilrechtliche (zum Beispiel Testierfähigkeit oder Prozessfähigkeit) und auch strafrechtliche (zum Beispiel Todesursache im Rahmen rechtsmedizinischer Gutachten oder Schuldfähigkeit im Rahmen forensisch-psychiatrischer Gutachten) Fragestellungen.

Die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens setzt damit andere Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen voraus, als die ärztliche Tätigkeit im kurativen Bereich. Um ein sachgerechtes, den Beweisregeln der Rechtsordnung genügendes ärztliches Gutachten erstellen zu können, muss der Gutachter über solide fachmedizinische Kenntnisse und über versicherungsrechtliche Grundkenntnisse verfügen sowie darin geübt sein, die kurative Perspektive zeitweise zugunsten einer sachlichen beziehungsweise ursächlichen feststellenden Perspektive zu suspendieren, um medizinischen Laien (meist Juristen), die aus gesundheitlichen Defiziten beziehungsweise deren objektiver Verursachung rechtswirksame Folgerungen ziehen sollen, eine Entscheidungsgrundlage zu bieten. Medizinische Gutachten erfordern deshalb nicht zuletzt auch ein hohes Maß an gedanklicher und sprachlicher Disziplin, um in einer auch dem medizinischen Laien nachvollziehbaren Schriftfolge eine verwertbare – und damit auch gerichtsfeste – Beurteilung vorzulegen.

In Familiengerichten werden psychiatrische Gutachten eingesetzt, wenn eines der beiden Eltern oder das Kind schwere psychiatrische Symptome zeigen, ansonsten kommen eher psychologische Gutachter mit langjähriger Berufspraxis und Psychotherapieausbildung zum Einsatz, wenn die Fragen zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und andere Fragen der elterlichen Sorge zu beantworten sind.

Literatur

  • E. Fritze, B. May, F. Mehrhoff: Die ärztliche Begutachtung. Rechtsfragen, Funktionsprüfungen, Beurteilungen, Beispiele. Steinkopff, Darmstadt 2007, ISBN 3-7985-1563-8.
  • Elmar Ludolph, Rolf Lehmann, Jürgen Schürmann: Kursbuch der ärztlichen Begutachtung. 11. Auflage. Loseblattsammlung mit 1 CD-ROM. Ecomed, Landsberg 2008, ISBN 978-3-609-71301-4
  • Hans Hermann Marx, Harald Klepzig (Hrsg), Günter Hennies (Bearb.): Basiswissen medizinische Begutachtung. Rechtliche und inhaltliche Grundlagen des ärztlichen Fachgutachtens. [Teilausgabe von Medizinische Begutachtung innerer Krankheiten]. Thieme, Stuttgart und New York 1998, 202 (XII) S., ISBN 3-13-113937-4
  • Heinz-Harro Rauschelbach, Kurt-Alphons Jochheim, Bernhard Widder: Das neurologische Gutachten. 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Thieme, Stuttgart 2000, 501 S., ISBN 3-13-659804-0 oder ISBN 978-3-13-659804-7
  • Der medizinische Sachverständige, Zeitschrift, 6 Ausgaben pro Jahr, ISSN 0025-8490
  • Forum Medizinische Begutachtung, Zeitschrift, 2 Ausgaben pro Jahr, ISSN 1865-4029
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

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