Mehrfachehe (Mormonen)

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Zwölf trauernde Witwen. Karikatur zum Tod von Brigham Young (zweiter Präsident der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“) von 1877

Die Mehrfachehe (englisch: „plural marriage“), manchmal auch als „himmlische Ehe“ oder „geistliche Beweibung“ [1] bezeichnet, ist eine Art der Polygamie, die von Joseph Smith, dem Gründer der Religionsgemeinschaft „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (auch „Rocky-Mountain-Heilige“), und einigen seiner engsten Vertrauten gelebt wurde. Unter Brigham Young wurde sie zunehmend auch den einfachen Mitgliedern der Kirche nahegelegt. In der mormonischen Hauptkirche wurde sie 1890 de jure und in den beiden folgenden Jahrzehnten auch de facto abgeschafft. Sie besteht in einigen kleinen fundamentalistischen Mormonengruppierungen im Westen der USA, in Kanada und in Mexiko bis heute fort.

Sie schließt Polygynie und in seltenen Fällen auch Polyandrie ein. Die meisten mehrfachehelichen Beziehungen schließen auch sexuelle Kontakte zwischen dem Mann und jeder einzelnen Frau ein; daneben sind auch einige zölibatäre Beziehungen in Mehrfachehen überliefert. Gruppensex wurde in den mormonischen Lehren über die Mehrfachehe nicht angesprochen.

Das häufigste Vorkommen der mormonischen Mehrfachehe findet sich unter Führungspersonen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, LDS, in der Mitte sowie im späten 19. Jahrhundert; damals führten zwischen vier und sechs Prozent der Mitglieder der LDS eine Mehrfachehe. Aufgrund des Drucks der US-Regierung verzichtete die Kirche 1890 auf diese Praxis. Gleichwohl lassen sich Mehrfachehen bis ins frühe 20. Jahrhundert beobachten, als die LDS Polygamisten zu exkommunizieren begann.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Joseph Smith erzählt, dass er während der Neuübersetzung der Bibel über den Passagen betete, in denen von den Mehrehen der Erzväter berichtet wurde; dabei habe er eine göttliche Offenbarung über die Mehrfachehe erhalten. [2] Darin habe ihm Gott aufgetragen, mehrere Frauen zu heiraten.

In Todd Comptons Buch „In Heiliger Einsamkeit“ wird Smith zitiert:

„Der Engel kam zwischen den Jahren ’34 bis ’42 drei Mal zu mir und sagte, dass ich diesen Grundsatz zu befolgen hätte oder er würde mich töten (aufbahren).“

Auch weitere Personen, darunter vor allem Benjamin F. Johnson und Joseph B. Noble, erklärten, ähnliche Erlebnisse gehabt zu haben. Ihre Erzählungen waren jedoch um eine Facette erweitert: Der Engel habe ein Schwert in seinen Händen gehalten.

1842 verlegte Joseph Smith in seiner Eigenschaft als Betreiber der örtlichen Druckerei in Nauvoo (Illinois) den Traktat „The Peace Maker“ („Der Friedensstifter“) des ansonsten unbekannten Autors Udney Hay Jacob.[3] Darin werden Bibelverse zusammengestellt, die die Polygynie begründen sollen. Die Schrift wurde nicht allgemein akzeptiert. Auch Smith sprach sich kurz danach in einem Zeitungsartikel gegen sie aus, doch glaubten viele, sie sei von Smith oder seinen direkten Mitarbeitern verfasst worden, und ihr eigentlicher Zweck sei es gewesen, in der LDS eine Diskussion zum Thema Mehrehe anzustoßen und den Grad einer möglichen Akzeptanz dieser Lehre zu testen.

Die Praxis der Polygynie

Spätestens seit 1833, möglicherweise auch schon seit 1831, lebte Joseph Smith heimlich polygyn, obwohl die Mehrehe erst seit 1852, vier Jahre nachdem die Mormonen nach Utah gekommen waren und acht Jahre nach Smiths Tod, öffentlich lehrmäßig vertreten wurde.

Smith führte die Lehre von der Polygamie ein, indem er einige Personen auswählte, denen gegenüber er sie eröffnete. Er wies einzelne von ihnen, z.B. Brigham Young, an, sich mehrere Frauen zu nehmen. Ein paar Mormonen-Führer erhoben ihre Einwände und verließen schließlich die Kirche. Andere stimmten nach Gewissenskämpfen und – wie sie sagten – langen Gebeten ein. Gegenüber der allgemeinen Mitgliedschaft und der sonstigen Öffentlichkeit wurde während dieser Phase noch strenge Geheimhaltung gewahrt.

Berühmt wurde Brigham Youngs Ausspruch, dass er, nachdem ihm die Lehre eröffnet worden war, lieber mit jenem Leichnam getauscht hätte, der gerade in einem Leichenwagen die Straße hinunter gezogen wurde, als die neue Lehre anzunehmen.

Der erste Bürgermeister von Nauvoo (Illinois), John C. Bennett,[4] ein ehemaliger LDS-Konvertit, wurde wegen ehebrecherischer „spiritual wifery“ („Geistlicher Beweibung“) aus der Kirche ausgeschlossen, da dies nicht im geringsten mit der Mehrfachehe vereinbar ist.

Volkszählungen in verschiedenen Landkreisen Utahs zeigten, dass die Verbreitung der Mehrfachehe im Jahr 1880 von Gemeinde zu Gemeinde stark variierte. So betrug ihr Anteil an den Ehen in South Weber 5 Prozent, in Orderville jedoch 67 Prozent. Untersuchungen über die Polygamie in Utah im 19. Jahrhundert legen nahe,

  • dass die Polygamisten mehrheitlich mit zwei Frauen verheiratet waren,
  • dass die Männer oftmals örtliche Führungspersönlichkeiten der LDS waren und
  • dass die zweite Frau üblicherweise jünger war.

Die Frauen von Joseph Smith

Joseph F. Smith mit seinen Frauen und Kindern

Auch wenn sich die Forschung bis heute nicht einig ist, kann mit Compton vermutet werden, dass Smith während seines Lebens mit 33 Frauen verheiratet war; hinsichtlich acht weiterer Frauen besteht keine Klarheit.[5]

Nach der Lehre von der Mehrfachehe, sollte zuerst die Einwilligung der ersten Frau eingeholt werden. In einer Offenbarung wurde Smith gesagt, dass die Frau dann glauben und zu ihrem Mann stehen solle, oder sie werde vernichtet. So werde sie zur Missetäterin und er wird davon befreit, ihre Erlaubnis einzuholen.[6]

Emma Hale Smith, Smiths erste Frau,[7] opponierte privat massiv gegen diese Praxis (wobei sie zugleich in der Öffentlichkeit deren Existenz bis zu ihrem Tode leugnete), so dass Joseph Smith einige Frauen ohne Emmas vorherige Einwilligung geheiratet haben wird.

Einige von Smiths Frauen waren jünger als er, die jüngste, Helen Mar Kimball, war 14 Jahre alt. Auch wenn das nicht zum Bild der Kultur des Westens passt und in den meisten US-Staaten untersagt war (und ist), wurden die Mädchen in jenen Jahren doch oft in diesem Alter verheiratet. Keine Erkenntnisse gibt es zu der Frage, ob Joseph Smith mit Helen Mar Sexualkontakte hatte. Berichte von der Hochzeit lassen vermuten, dass es unter anderem darum ging, durch die Siegelung der beiden eine engere Verbindung zwischen den beiden Familien herzustellen.

Anfangs vermutete man, dass eine solche Eheschließung im Hinblick auf die Ewigkeit geschähe. Da Helen Mar nach eigenen Angaben jedoch darüber verwundert war, dass ihre Familie ihr es nicht gestattete, zu einer Jugendtanzveranstaltung zu gehen, erscheint es unwahrscheinlich zu sein, dass es sexuelle Kontakte zwischen ihr und Joseph gab; andernfalls wäre ihre Verwunderung kaum zu verstehen. Heber C. Kimball, Helen Mars Vater, war ein treues Glied seiner Kirche und ein enger Freund von Smith, der später 39 Frauen ehelichte; Stan Kimball führt in seiner Biographie Heber C. Kimballs sogar 43 Frauen auf.

Der Anthropologe Richard Francis Burton, der 1860 Salt Lake City besuchte, vermutete, dass die Frauen in einer Mehrfachehe offen für diese Praxis waren, da so auf jeder einzelnen Frau weniger Lasten gelegen hätten – sexuelle wie auch andere.

Polyandrie, Sexualkontakte und Kinderzeugung

Etwa elf Frauen von Smith waren zugleich mit anderen Männern verheiratet, üblicherweise mit gut situierten Mormonen. Diese Frauen setzten in der Regel ihr Leben mit ihrem ersten Mann fort, nicht mit Smith. Zu sexuellen Kontakten kam es dabei nicht. Eine Frau erklärte später, dass Smith mit einer oder zwei dieser Frauen angeblich auch Kinder gezeugt habe.[8] Definitive Beweise dafür, dass Smith Kinder von anderen Frauen als seiner ersten Frau Emma hatte, gibt es allerdings nicht.

Polygame Gruppen

Über die Frage, wer die Kirche führen solle, gab es nach Smiths Tod in der LDS-Führung Unstimmigkeiten. Schließlich bildeten sich mehrere Gruppen. Nur zwei von ihnen praktizierten die Mehrfachehe. Ungebrochen setzte sich die Tradition in der von Brigham Young geführten Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bis 1890 fort. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Strangiten)[9], an deren Spitze James J. Strang[10] stand, folgte gleichfalls dieser Lehre, nachdem sich John C. Bennett,[4] der ehemalige erste Bürgermeister von Nauvoo (Illinois), der Gruppierung angeschlossen und Strang darüber informiert hatte, dass Smith die Mehrfachehe praktiziert habe. Strang nahm sich schließlich fünf Ehefrauen. Bei den Strangiten war die Zahl der Mehrfachehen aber gering, und die Lehre wurde auch nicht als so zentral dargestellt wie in Youngs Kirche. Als Strang 1856 ermordet wurde, endete die Praxis der Polygamie in dieser Mormonen-Denomination.

Das Ende der Mehrfachehe

Nachdem sich die LDS-Anhänger in Utah ansiedelten, begannen sie, sich auch überregional am politischen Leben zu beteiligen. In den USA wurde Polygamie strikt abgelehnt, besonders die damals neue Republikanische Partei bezeichnete Sklaverei und Mehrfachehe als „die beiden Relikte des Barbarentums“, deren Beseitigung in ihrem Parteiprogramm eine zentrale Rolle einnahm. Am 8. Juli 1862 unterzeichnete Präsident Abraham Lincoln das Morrill-Anti-Bigamie-Gesetz,[11] das jedwede polygame Praxis in den USA untersagte. Lincoln ließ die Mormonen wissen, dass er die Durchsetzung nicht zu erzwingen beabsichtige, sofern sie ihn nicht in seiner politischen Arbeit behindere; damit war die Erzwingung der Monogamie zunächst aufgeschoben.

Nach dem Bürgerkrieg siedelten zunehmend Menschen in Utah, die nicht der LDS angehörten, und für öffentliche Ämter kandidierten. Der enge Zusammenhalt der Mormonen entmutigte viele. Mit der Gründung der Liberalen Partei[12] versuchten sie, ihre politischen Einflussmöglichkeiten zu verbessern. Ihre Ziele waren ein allgemeiner politischer Wandel sowie eine spürbare Reduzierung der Vorrechte der LDS.

Im September 1871 wurde der Präsident der Kirche, Brigham Young, angesichts seiner Polygamie wegen Ehebruchs angezeigt. Am 6. Januar 1879 entschied der Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten in einem Verfahren,[13] dass der Morrill-Act durchzusetzen sei. LDS-Mitglieder und Kirchenführung nahmen die Entscheidung nicht positiv auf und versuchten, die Umsetzung zu verhindern.

Im Februar 1882 wurde George Q. Cannon,[14] einem prominenten LDS-Führungsmitglied, wegen seiner Mehrfachehe der Sitz im Repräsentantenhaus aberkannt. Dies belebte die Diskussion um die Polygamie wieder. Einen Monat später wurde der Edmunds-Act[15] im Kongress verabschiedet. Damit wurde Polygamisten das Recht auf aktive oder passive Wahlbeteiligung aberkannt, und eine Verurteilung wurde ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren möglich. Personen verloren sogar dann ihre Rechte, wenn sie zwar nicht polygam lebten aber einer die Polygamie bejahenden Konfession angehörten. Rudge Clawson wurde im August 1882 inhaftiert, weil er mehrere gleichzeitige Ehen vor dem 1862er Morrill-Act geschlossen hatte. Die Haftstrafenandrohungen im Gesetz verstießen nach heutiger Auffassung gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verbot von Gesetzen, die einen Tatbestand nachträglich unter Strafe stellen.[16]

Der Edmunds-Tucker-Act aus dem Jahr 1887 stellte die Kontrolle der LDS sicher und verlängerte die Strafandrohungen des Edmund-Acts von 1882. Im Juli 1887 leitete der US-Bundesgeneralanwalt ein Verfahren ein, um die Kirche und all ihre Gliederungen kontrollieren zu können.

Dadurch verlor die LDS-Kirche offensichtlich die Kontrolle über die Gebietsregierung. Einfache wie leitende LDS-Mitglieder wurden polizeilich gesucht. Da die Führung der Kirche nicht imstande war, dagegen öffentlich zu agieren, begab sie sich in den Untergrund. LDS-Präsident Wilford Woodruff und das Kollegium der Zwölf Apostel veröffentlichten am 24. September 1890 ein Manifest, die „Amtliche Erklärung 1“, nach dem die Mitglieder fortan keine Mehrfachehen mehr eingehen sollten. Obwohl sie auch weiterhin als richtige Lehre dargestellt wurde, billigte die LDS-Führung nicht länger die Polygamie. Damit erst erhielten die LDS-Mitglieder bestimmte Rechte, und eine Umwandlung Utahs vom Bundesterritorium in einen Bundesstaat im Jahr 1896 wurde möglich.

Die Folgen dieser Entwicklung wurden dadurch verschärft, dass führende Mormonen vermehrt polygame Ehe siegelten. Nach der Deutung einiger bedeutender LDS-Mitglieder erlaubte die Erklärung Nr. 1 die Mehrfachehe überall außer in den USA. Andere meinten, dass dadurch die Polygamie lediglich aus dem öffentlichen Blickfeld in den Untergrund verdrängt werde. Dies führte dazu, dass Brigham Henry Roberts[17] seinen errungenen Sitz im US-Repräsentantenhaus wegen seiner Doppelehe[18] nicht antreten konnte. Eine spätere Folge waren die „Smoot Anhörungen“ im Senat,[19] bei denen der Mormonen-Apostel und Kandidat für den Posten eines Senators Reed Smooth[20] wegen angeblicher Polygamie vernommen wurde. Während der Anhörungen erließ LDS-Präsident Joseph F. Smith im Jahr 1904 das „Zweite Manifest“, nach dem jeder, der eine Polygamie einging oder die Trauung einer solchen vornahm, aus der Kirche ausgeschlossen würde. Die beiden Apostel John Whittaker Taylor[21] und Matthias Foss Cowley[22] lehnten die Erklärung ab und verließen daraufhin das Kollegium der Zwölf Apostel; Taylor wurde schließlich wegen Verstoßes gegen das Zweite Mainfest exkommuniziert.

Seit dem Zweiten Manifest gestattete die Kirche keine Polygamien mehr. Jene, die beim Versuch mehrere Ehen gleichzeitig einzugehen, erwischt wurden, wurden ohne Anhörungsverfahren aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die letzte Person, die mit Erlaubnis der LDS eine Mehrfachehe eingegangen war, starb 1974.

Heutzutage lehrt die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage über die Mehrfachehe, dass Gott sie in der besondern Situation des Neuaufbaus der Kirche eine Zeitlang angeordnet habe, dass sie aber seit dem Ende dieser Situation wieder verboten sei und mit Exkommunikation bestraft werde. Eine im Tempel geschlossene Ehe gilt für alle Zeit und Ewigkeit, wobei Männer eine unbegrenzte Anzahl Ehen eingehen können (allerdings erst nach dem irdischen Tod der jeweils vorherigen Ehefrau) und Frauen nur einmal im Leben im Tempel heiraten dürfen. In diesem Sinne gibt es noch immer eine religiöse Polygamie im Mormonismus.

Fundamentalistische Anfänge

Einige von jenen, die erwarten, dass sich die LDS-Kirche offiziell durch einen lehramtlichen Verzicht von der Lehre der Mehrfachehe distanziert, halten die LDS-Politik für unredlich: die Mehrfachehe sei bis heute eine grundlegende Lehre der Mormonen – auch wenn sie derzeit nicht ausgeübt oder gelehrt wird. Zudem können bei Tod, Zivilscheidung oder Ausschluss aus der Kirche die Männer im LDS-Tempel an mehr als eine Frau zugleich „gesiegelt“ werden, während die lebende Frau nicht mit mehr als einem Mann verbunden werden kann; streng gläubige Mormonen glauben, dass solche „Siegelungen“ ewig seien und auch das irdische Leben sowie Zivilehen überdauerten.

Einige LDS-Kritiker meinen, dass es der Kirche nicht zustehe, den mormonischen Lehrsatz den Gläubigen, da die am Wortlaut des Buches Mormon festhalten und die Mehrfachehe praktizieren, vorzuenthalten.

Der Zusammenhang zwischen gegenwärtiger Praxis und Tempelsiegelungen von Mehrfachehen

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Durch Scheidung beendete Ehen

Ein Mann, der mit einer Frau vermählt ist, aber später geschieden wird, muss bei der Ersten Präsidentschaft[23] um eine „Siegelungsausnehmung“ („sealing clearance“) nachsuchen, bevor der erneut vermählt werden kann. Dies hebt die erste Siegelung nicht auf. In der gleichen Lage würde eine Frau bei der Ersten Präsidentschaft um eine „Aufhebung der Siegelung“, die zuweilen fälschlicherweise als „Tempelscheidung“ bezeichnet wird, bitten, bevor sie erneut heiraten kann.

Hinsichtlich der Frau entwertet diese Praxis den ursprünglichen Sinn der Siegelung. Stimmen geschiedene Frauen einer Aufhebung der Siegelung nicht zu, gelten sie weiterhin als mit ihrem ursprünglichen Gatten vermählt. Zuweilen wurden Siegelungen von zivilrechtlich geschiedenen Frauen aufgehoben, obwohl sie keine neue Ehe einzugehen beabsichtigten; damit galten sie als ledig, und im Blick auf das ewige Leben werden sie wie Frauen, die nie geheiratet haben, eingeschätzt.

Durch den Tod gelöste gesiegelte Ehen

Endet eine gesiegelte Ehe durch den Tod eines der Gatten, so sind die Erfordernisse unterschiedlich. Ein Witwer muss vor einer erneuten Vermählung im Tempel nicht um die Erlaubnis dazu bitten, sofern nicht dessen neue Frau eine Aufhebung ihrer früheren Siegelung benötigt. Eine Witwe hingegen bleibt an ihren verstorbenen Gatten gesiegelt und muss demgemäß vor einer erneuten Vermählung um Aufhebung der früheren nachsuchen. In einigen Fällen schlossen Frauen, die wieder heiraten wollten, die Ehe mit ihrem späteren Gatten im Tempel „lediglich auf Zeit“, wurden mit ihm aber nicht gesiegelt, da die Siegelung mit ihrem ersten Ehemann für die Ewigkeit galt.

Damit befinden sich verstorbene Männer, die nach dem Tod ihrer ersten Frau erneut vermählt wurden, im Stand der Mehrfachehe. Hinterlässt ein Mann zwei oder mehr Frauen, denen er im Leben treu gewesen war, bestehen seine früheren Beziehungen weiter. Bei der gegenwärtigen Praxis ist es für eine Frau aber unmöglich, bei ihrem Tod an zwei oder mehr Männern gesiegelt zu sein.

Vollmachtsiegelungen, bei denen beide Gatten starben

Gemäß der Mormonen-Praxis kann ein Mann nach seinem Tod per Vollmacht an alle Frauen gesiegelt werden, mit denen er nach dem Gesetz verheiratet war. Für Frauen gilt nur dann das Gleiche, wenn zuvor alle ihre Männer, mit denen sie zu Lebzeiten vermählt war, verstorben sind.[24]

Die Lehre der LDS ist hinsichtlich der bevollmächtigte Siegelung von Männern und Frauen mit mehreren Ehepartnern nicht vollständig geregelt. Es existieren zumindest zwei Möglichkeiten:

  1. Ungeachtet der Anzahl der Personen, an die ein Mann oder eine Frau gesiegelt sind, sind sie im Jenseits nur mit einer Person verbunden. Die übrigen früheren Gatten, die sich die vollumfängliche Erhöhung, die aus der Siegelung kommt, verdient hatten, würden dann einer anderen Person anvertraut, um sicherzustellen, dass jeder eine ewige Ehe führt.
  2. Diese Siegelungen schaffen de facto Mehrfachehen, die nach dem Tod fortdauern. Gleichwohl lehrt die LDS nicht, dass polyandrische Beziehungen im Jenseits fortbestehen können. Daher wird diese Möglichkeit den Frauen, die durch Vollmacht mit mehreren Männern gesiegelt wurden, nicht offen stehen.

Auswirkungen

Die Frage, die sich jenen stellt, die mit mehreren Ehepartnern vermählt waren, ist nicht nur an polygame Mormonen zu richten. Sie kann auch nicht als Argument für oder gegen die Mehrfache und die diesbezügliche LDS-Politik benutzt werden. Jede Religion, die an die Fortdauer der Ehe nach dem Tod glaubt, muss sich zur Frage des Familienstandes im Jenseits äußern, unabhängig davon, ob sie eine Form der Mehrfachehe unterstützt oder nicht. Man muss wahrnehmen, dass die LDS die Freiwilligkeit der Ehe im Jenseits lehrt; daher darf niemand durch eine Tempelsiegelung in eine ewige Beziehung gezwungen werden.

Siehe auch

Literatur

  • Todd Compton: In Sacred Loneliness. The Plural Wives of Joseph Smith. Signature Books, 1997. ISBN 1-56085-085-X (Prolog und Kapitel 2 in Sacred Loneliness: The Plural Wives of Joseph Smith)
  • Phillip L. Kilbride: Plural Marriage for our Times. A reinvented Option? Bergin & Garvey, London 1994. ISBN 0-89789-315-8 (Kilbride geht auf Polygamie bei Sekten der Mormonen in den USA, polygame Tendenzen in der afroamerikanischen Gesellschaft, der Situation der Polygamie in Westafrika, und ihrer ethische Bewertung in der amerikanischen Gesellschaft ein, und unter welchen modernen Umständen eine Legalisierung der Polygamie einen Vorteil für Frauen darstellen könnte)

Weblinks

Deutsch
Englisch

Belege

  1. Siehe dagegen aber die Diskussion in der englischsprachigen Wikipedia
  2. J.Smith: The Doctrine and the Covenants, Covenant 132
  3. In den beiden Kapiteln des Traktates Peace Maker verteidigt Udney Hay Jacob (1781–1860) die Polygamie. Jacob war zwar kein Mormone, lebte aber um 1830 in Chautauqua NY in einem mormonischen Umfeld, so im von Mormonen geprägten Hancock County in Illinois. 1843 wurde er in der LDS getauft. The Peace Maker or the Doctroines of the Millennium findet sich auf olivercowdery.com sowie als pdf-Dateien auf 2bc.info (Key sections of the second book of commandments).
  4. a b John C. Bennett (1807–1864) war ein amerikanischer Arzt. Zu Beginn der 1840er Jahre übernahm er an der Seite von Joseph Smith Jr. Führungsaufgaben und war dabei sehr einflussreich.
  5. Todd Compton: A Trajectory of Plurality. An Overview of Joseph Smith's Wives; in: In Sacred Loneliness. The Plural Wives of Joseph Smith, S.1ff (Prologue). Ausführlich wird geht der Artikel Joseph Smith, Jr. and Polygamy auf das Thema ein.
  6. Lehre und Bündnisse 132:64–65
  7. Emma Hale Smith (1804–1879) heiratete 1827 Joseph Smith jr. Sie behauptete stets, nichts von weiteren Ehen ihres Mannes gewusst zu haben. 1842–1844 stand sie der Relief Society, einer Frauenoganisation der LDS, vor. Als im Ringen um die Nachfolge Joseph Smiths das Kollegium der Zwölf Apostel eingerichtet wurde und Brigham Young als Vorsitzender der De-facto-Leiter der Mormonen wurde, bildete sich die Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, an deren Spitze Joseph Smith III stand. Emma Hale Smith hielt sich fortan zu dieser Kirche.
  8. Belegstelle fehlt.
  9. Artikel in der englischsprachigen Wikipedia über die Strangiten
  10. James J. Strang (1813–1856) war einer der drei Bewerber um die Führung der LDS während 1844er Krise der Religionsgemeinschaft. Nachem sein Ansinnen zurückgewiesen wurde, wurde er Gründer und Prophet Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (Strangiten).
  11. Justin Smith Morrill (1810–1898) war 1855–1867 Mitglied des Repräsentantenhauses und 1867–1898 Senator von Vermont.
  12. Die 1870 gegründete Liberale Partei von Utah dominierte wie People’s Party in Utah bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
  13. Im Verfahren Reynolds gegen die Vereinigten Staaten ging es um die Frage, ob eine religiöse Überzeugung bei Strafverfahren ein angemessenes Argument der Verteidigung sein könne. Dies wurde verneint.
  14. George Q. Cannon (1827–1901), der „Mormonenpremier“ oder der „Mormonen-Richelieu“, gehörte zu den frühesten Mitgliedern des Kollegiums der Zwölf Apostel.
  15. George Franklin Edmunds (1828–1919) war 1866–1891 republikanischer U.S.-Senator von Vermont.
  16. Vgl. auch den Artikel Rückwirkungsverbot; zur Situation in den USA siehe den Artikel in der englischsprachigen Wikipedia „ex post facto law“
  17. Brigham Henry Roberts (1857–1933) war eine mormonische Führungspersönlichkeit, Historiker und Politiker, der u. a. durch die Veröffentlichung einer kurzen Geschichte der LDS bekannt wurde.
  18. Roberts hatte 1878 Sarah Louisa Smith und 1884 Celia Dibble geheiratet; 1894 folgte die Vermählung mit Margaret Ship.
  19. In den „Smoot Hearings“ erörterte der U.S.-Senat 1904–1907, ob der LDS-Apostel und 1903 für Utah gewählte Senator seinen Sitz einnehmen dürfe, was ihm für die Dauer der Anhörungen bewilligt wurde. Smoots Doppelehe stellte dabei aus Sicht seiner Gegner ein besonderes Hindernis dar. Schließlich wurde Smoot der Sitz zugestanden, und er gehörte dem Senat vom 4. März 1903 bis zum 3. März 1933 dem U.S.-Senat an.
  20. Reed Smoot (1862–1941) war seit 1900 Apostel der LDS und von 1903 bis 1933 Senator.
  21. John Whittaker Taylor (1858–1916) gehörte Kollegium der Zwölf Apostel von 1884 bis 1911 an.
  22. Matthias F. Cowley (1858–1940) gehörte dem Kollegium der Zwölf Apostel von 1896 bis 1911 an.
  23. vgl. den Absatz „Organisation“ im LDS-Artikel und den Artikel „First Presidency“ in der englischsprachigen Wikipedia
  24. Church Handbook of Instructions, S. 72, Sealing Policies: Sealing of a Husband and Wife

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