Methodenstreit der Nationalökonomie

Methodenstreit der Nationalökonomie

Als Methodenstreit der Nationalökonomie wird eine Auseinandersetzung in der Volkswirtschaftslehre bezeichnet, die hauptsächlich in den 1880er und 1890er Jahren im deutschsprachigen Raum zwischen der Österreichischen Schule und der Historischen Schule geführt wurde.

In fremdsprachigen Texten ist mit dem Germanismus „Methodenstreit“ meist dieser Streit gemeint, in Deutschland werden auch andere Auseinandersetzungen so bezeichnet, siehe Methodenstreit.

Verlauf

Der Streit begann, als der Wiener Ökonom Carl Menger 1883 das Werk Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der politischen Ökonomie insbesondere veröffentlichte, in dem er seine Ansichten zur korrekten Methodik der Wirtschaftswissenschaft darlegte. Diese standen in krassem Gegensatz zur Lehrmeinung der Historischen Schule, die seit der Reichsgründung 1871 die deutschen Universitäten beherrschte. Die Thesen Mengers waren so provokant, dass die Historisten, allen voran Gustav von Schmoller, den bisher ignorierten Menger angriffen. Dieser antwortete 1884 mit der Schrift Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Die Kontroverse setzte sich nun über diverse Aufsätze und Artikel fort und kam zum Erliegen, als Schmoller nicht mehr antwortete.

Inhalt

Die (jüngere) Historische Schule vertrat die Auffassung, dass es keine unveränderlichen Gesetze des menschlichen Handelns gebe und deshalb eine unabhängige Wirtschaftswissenschaft in der Art der Naturwissenschaften unmöglich sei (Irrationalismus). Primäres Untersuchungsobjekt der Nationalökonomie sei die Gesellschaft als ganzes (Kollektivismus); diese und die Vorgänge darin seien aber orts- und zeitabhängig und in dauernder Veränderung (Relativismus). Aufgabe des Ökonomen sei es, Datenmaterial zu sammeln und daraus per Induktion systematische Beschreibungen zu entwickeln, die sich im Rahmen der allgemeinen Historie bewegen. Eine zweite Wissenschaft vom menschlichen Handeln neben der Geschichtswissenschaft sei unmöglich.

Menger hielt dagegen die Untersuchung des individuellen menschlichen Handelns (Individualismus) für den Ausgangspunkt der Wirtschaftswissenschaft. Unter Benutzung logischer Deduktion seien ausgehend vom Prinzip der Nutzenmaximierung sehr wohl allgemeingültige und unveränderliche Gesetze des menschlichen Handelns herleitbar (Existenz „absoluter“ Wahrheiten). Aufgabe des Ökonomen sei es, diese durch rationale Analyse zu erkennen (Rationalismus). Damit sei die Wirtschaftswissenschaft als eigenständige und exakte Wissenschaft möglich.

Im Hintergrund ging der Streit auch um die Frage der richtigen Wirtschaftspolitik. Die Historisten, die sich mit dem Kathedersozialismus überschnitten, forderten hier ein aktives Eingreifen des Staates und befürworteten – als „intellektuelle Leibgarde des Hauses Hohenzollern“ – generell einen starken Staat („preußischer Sozialismus“), wohingegen die Österreicher auf klassischen Laissez-faire-Liberalismus setzten. In den Streit hinein spielte auch schon die Frage nach der Werturteilsfreiheit in der Wirtschaftswissenschaft bzw. Wissenschaft überhaupt, die später im „zweiten“ oder „jüngeren Methodenstreit“ zwischen Schmoller und Max Weber thematisiert wurde (siehe hierzu Methodenstreit und Werturteilsstreit). Zuletzt war der Streit auch eine persönliche Auseinandersetzung der Rivalen Menger und von Schmoller.

Wirkung und Ergebnis

Der Streit war vor allem für die Österreichische Schule bedeutsam, die sich im Verlauf der Auseinandersetzung überhaupt erst konstituierte, als Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von Wieser Mengers Ansichten unterstützten. Der Begriff „Österreichische Schule“ wurde erst während der Auseinandersetzung geprägt und war ursprünglich als Schmähung vonseiten der Historisten gebraucht, um die vermeintliche Provinzialität der Österreicher zu unterstreichen. Diese übernahmen ihn aber später.

Einen Gewinner in dem Sinne, dass eine Seite die andere überzeugt hätte, gab es nicht. Verglichen mit der Ausgangssituation war jedoch im nachhinein die Österreichische Schule deutlich gestärkt und die totale Hegemonie der Historischen Schule gebrochen. Im 20. Jahrhundert gewann die Österreichische Schule – allerdings in einigen Fragen von ihrem damaligen Standpunkt abgerückt – weltweit Einfluss und ist bis heute präsent, während die Historische Schule in reiner Lehre praktisch nicht mehr existiert. Die meisten heutigen Theorien stehen allerdings zwischen den Extremen und haben Thesen beider Seiten übernommen.


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