Minderheitsvotum

Minderheitsvotum

Mit dem Begriff Sondervotum wird die abweichende Meinung eines oder mehrerer Richter bei der Entscheidungsfindung eines Spruchkörpers bezeichnet, die mit der mehrheitlichen Auffassung nicht übereinstimmt.

Sondervoten kommen in zwei Arten vor:

  • das Ergebnis nicht mittragende Mindermeinung (dissenting vote, dissenting opinion), bei der der/die Richter einen anderen Verfahrensausgang als die Mehrheit gewollt hat/haben
  • im Ergebnis zustimmende Mindermeinung (consenting vote, concurring vote, plurality opinion, separate opinion), bei der das Ergebnis der Mehrheitsmeinung unterstützt wird, allerdings aus anderen Gründen.

Anders als im anglo-amerikanischen Recht besteht im deutschen Recht grundsätzlich nicht die Möglichkeit eines Sondervotums. Die Urteile enthalten nur die Mehrheitsmeinung.

Bei den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wurde jedoch mit dem 4. Änderungsgesetz des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 21. Dezember 1970 in § 30 Abs. 2 BVerfGG die Möglichkeit eines Sondervotums eingeführt. Seitdem kann den Entscheidungen des BVerfG ein Minderheitsvotum mit der Signatur der abweichenden Richterstimmen beigefügt werden. Die Bedeutung der Minderheitsvoten des BVerfG hat inzwischen zugenommen: So kann durch den gesellschaftlichen Wandel das Minderheitsvotum bei neueren Entscheidungen zu einem mehrheitsfähigen Votum im Richterkollegium werden. Das Minderheitsvotum entfaltet jedoch keine rechtliche Bindungswirkung und ist daher keinen Rechtsmitteln zugänglich. Dies ohnehin schon nicht, da Entscheidungen des BVerfG nicht angefochten werden können.

Auch bei den Landesverfassungsgerichten in Deutschland sind Sondervoten möglich. So sieht z.B. § 12 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über den Staatsgerichtshof die entsprechenden Anwendung von § 30 Abs. 2 BVerfGG vor. Das Hessische Staatsgerichtshofgesetz sieht in § 16 Abs. 3 eine eigenständige Regelung über die Möglichkeit eines Sondervotums vor. In den Verfahren der Schiedsgerichtsbarkeit sind Sondervoten gleichfalls zulässig.[1]

Inwiefern die Möglichkeit der Darlegung abweichender Meinungen in Sondervoten genutzt wird, ist im Übrigen eine Frage der jeweiligen Kultur am betreffenden Gericht. Der Supreme Court der USA beispielsweise legt sehr viel Wert auf die Individualität seiner Richter, was ein Grund dafür ist, dass dort von der Möglichkeit von Sondervoten oft und ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hingegen ist stark auf Konsens orientiert und versucht deshalb im Zweifel, mit Kompromissen und Nicht-Entscheidungen Einstimmigkeit zu erreichen und somit Sondervoten zu verhindern. Von den 1.714 abgedruckten Entscheidungen in den Bänden BVerfGE 30–101[2] enthielten lediglich 108 Entscheidungen Sondervoten.


  1. Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 10. Aufl Rz 5132
  2. Jahrgänge 1971 bis 2000

Literatur

  • Willi Geiger: Abweichende Meinungen zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Mohr Tübingen 1989, ISBN 3-16-645464-0
  • Rolf Lamprecht: Richter contra Richter. Abweichende Meinungen und ihre Bedeutung für die Rechtskultur, Nomos Baden-Baden 1992.
  • Karl-Heinz Millgramm: Separate opinion und Sondervotum in der Rechtsprechung des Supreme Court of the United States und des Bundesverfassungsgerichts, Berlin, Duncker & Humblot, Schriftenreihe: Schriften zum internationalen Recht Bd. 34, 1985, zugl. Diss, Bochum 1984, ISBN 3-428-05748-1
  • Wolfgang Heyde: Das Minderheitsvotum des überstimmten Richters, Bielefeld, Gieseking, Schriftenreihe: Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozessrecht Bd. 37, 1966, zugl.: Bonn Univ., Diss., 1963
  • Fritz Schenk: Der Fall Hohmann ... und kein Ende - Mit dem Text des Sondervotums des Bundesparteigerichts der CDU, 2.Aufl. München 2005, ISBN 3-8004-1466-X
  • Friedrich Wilhelm Siebeke: Zur Frage der Zulässigkeit von Sondervoten außerhalb der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Mitteilungen des Instituts für Deutsches und Europäisches Pa<rteienrecht, Heft 2005, ISSN 1612-8117

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