Motorradgespann

Motorradgespann
Modernes Gespann auf Basis einer Suzuki GSX-R 1000, hier mit Achsschenkellenkung
Die Weltmeister von 1975 und 1976 Rolf Steinhausen/Sepp Huber auf ihrer Busch-König BSA
Vorderansicht eines modernen LCR-Renngespannes ohne Verkleidung

Als Motorradgespann wird ein Zweirad mit Beiwagen bezeichnet. In der Regel hat es drei Räder in asymmetrischer Anordnung. Ein Beiwagen wird häufig auch als Seitenwagen oder Boot bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Der Beiwagen wird bei Rechtsverkehr praktischerweise rechts befestigt. Hierzu erhält das Motorrad (selten auch Fahrrad) mit Beiwagen diverse Rahmenverstärkungen oder es wird alternativ gleich ein Spezialrahmen hergestellt. Moderne Renn- und Motocross-Gespanne werden wegen der höheren Festigkeit meist direkt auf einem speziellen, einteiligen Gespannrahmen aufgebaut, der Motorrad- und Beiwagenrahmen ersetzt.

Der Beiwagen besteht aus drei Baugruppen: einem Rahmen, der Karosserie und der Radaufhängung. Das Boot dient zum Transport von Personen oder Lasten. Besondere Beiwagenkonstruktionen sind selbsttragend ausgelegt, das heißt, sie haben keinen gesonderten Rahmen zur Aufnahme der Radaufhängungen und der Beiwagenanschlüsse, sondern diese werden durch die Karosserie gehalten. Die Verbindung zwischen Kraftrad und Beiwagen erfolgt mit Anschlussstreben, beim Rollergespann oft nur mit einem Zentralrohranschluss. Üblich sind jedoch drei oder vier Anschlussstreben. Man spricht dann von Drei- oder Vierpunktanschlüssen. Eine Sonderform der Gespanne sind die Schwenker oder auch Pendelgespanne.

Bei manchen Beiwagen lenkt das Beiwagenrad mit, beispielsweise Produkte des französischen Herstellers Sidebike oder der Zweiradbeiwagen Twin der holländischen Firma W-Tec. Versuche gab es auch von der Firma Carell um 1991. In der deutschen Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) gibt es keine Seitenwagen oder Gespanne, sondern der Gesetzgeber verwendet den Begriff Beiwagen (u.a. in § 39 StVZO, als auch in § 2 Nr. 9 FZV). So heißt es dann auch in den Fahrzeugpapieren: „für den Beiwagenbetrieb nicht geprüft“ oder „Kraftrad mit Beiwagen“. Als Zugmaschinen werden vor allem Motorräder verwendet. Doch auch Motorroller oder Fahrräder werden umgebaut.

Derzeit werden in Deutschland etwa 125 verschiedene Beiwagenmodelle angeboten. Umfassende Informationen mit einer Auflistung aller Beiwagen findet man in einem alle vier Jahre erscheinenden Motorrad-Gespann-Katalog und einem Gespann-Magazin, MOTORRAD-GESPANNE, das seit 1988 erscheint.

Geschichte

Bereits 1893 hatte eine französische Zeitung einen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem die beste Lösung für die Mitnahme eines Passagiers auf einem Fahrrad gesucht wurde. Als Gewinner krönte man einen gewissen Monsieur Bertoux, Offizier der französischen Armee. Sein Vorschlag war eine einfache Rohrkonstruktion mit einem Rad, die an die Seite des Fahrrads montiert wurde. Bertoux hatte damit den ersten Beiwagen entworfen. Eine ähnliche Erfindung von O. H. Bartlett in den Vereinigten Staaten im Jahr 1899 beruhte auf dem gleichen Prinzip, konnte sich aber ebenso wenig durchsetzen.

Der Cartoonist G. Moore veröffentlichte in der Zeitschrift MotorCycling, Ausgabe vom 7. Januar 1903, Skizzen, auf der die Vorteile des Beiwagens am Motorrad deutlich herausgestellt wurden. Diese Skizzen waren damit auch der Auslöser für die Weiterentwicklung des Beiwagens.

Bereits ab 1910 war der Beiwagen aus dem Verkehrsgeschehen nicht mehr wegzudenken. Hunderte von Motorradfirmen wurden gegründet, viele davon boten auch gleich passende Beiwagen an. Die Hochburgen der Gespannentwicklung waren in Europa, Amerika und Australien.

In den 1920er und 1930er Jahren wuchsen die Entwicklungen aus den Kinderschuhen heraus. Die Gespanne wurden stabiler und zuverlässiger. Ob als Taxi, Handwerker- und Lastenfahrzeug, oder zum Personentransport, das Gespann ermöglichte der Mittelschicht den Einstieg in die motorisierte Mobilität. 1938 setzten die Beiwagenfabriken in Deutschland 15.000 Seitenwagen ab. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelten nahezu alle Kriegsparteien spezielle Militärgespanne, die zu Tausenden gebaut wurden.

Gespannbau

Bis in die 1960er Jahre waren Solomaschinen fast aller Hersteller wie z. B. NSU, BMW, MZ, Moto Guzzi oder Harley-Davidson ab Werk gespanntauglich, das heißt, ein Seitenwagen konnte ohne größere Änderungen am Motorrad angeschraubt werden.

Wegen der heute leistungsstärkeren Motoren und daraus resultierenden Fahrleistungen sowie den ausschließlich auf Solobetrieb optimierten Motorradrahmen wird bei modernen Gespannen das Fahrwerk des Motorrads mit einem Hilfsrahmen ausgestattet oder auch ein komplett neuer Gespannrahmen eingebaut. Der Motorradrahmen dient dann nur noch als Teileträger (Tank, Sitzbank, Instrumente etc.).

Bei sportlich ausgerichteten Gespannen wird eine Verminderung der Bauhöhe gegenüber dem Ausgangsfahrzeug angestrebt, da keine Schräglagenfreiheit benötigt wird und ein tiefer Schwerpunkt die Fahreigenschaften verbessert. Darüber hinaus fallen bei einer auf Solobetrieb ausgelegten Lenkgeometrie (langer Nachlauf) im Gespannbetrieb hohe Lenkkräfte an. Preisgünstige Gegenmaßnahmen wie die Umrüstung auf ein kleineres Vorderrad oder ein breiterer Lenker haben nur eine geringe Wirkung. Effizienter ist die Umrüstung auf eine Schwinggabel oder Langschwingengabel mit zwei Federbeinen und verkürztem Nachlauf. Diese Bauform bietet zugleich eine größere Torsionssteifigkeit als die Telegabel der Solomaschine. Vermehrt werden auch Achsschenkellenkungen eingebaut, selten die Nabenlenkung. Besonders bei Umrüstung von Motorrädern mit Leichtmetall-Rahmen kommt die aufwendigere Vorderradaufhängung an Längslenkern (Achsschenkellenkung) in Betracht, da diese Fahrzeuge ohnedies einen Hilfsrahmen benötigen, bei dem der Beiwagen einen Teil der Lenkkräfte aufnimmt.

Gespanne werden darüber hinaus zur Verschleißminderung oft auf Autoreifen umgerüstet. Motorradreifen werden im Gespannbetrieb vor allem hinten und am Boot in kürzester Zeit „eckig“ abgefahren. Dies ist auch einer der Hauptgründe, die gegen einen Wechsel zwischen Solo- und Gespannbetrieb sprechen. Soloreifen am Vorderrad können bei Tourenmaschinen das Fahrverhalten verbessern.

Moderne Seitenwagen-Rennmaschinen in einer Rechtskurve am Schleizer Dreieck

In Deutschland gibt es etwa 30 Gespannhersteller. Meist sind es hochspezialisierte Kleinbetriebe. Weiterhin etwa ein Dutzend Assembler, Firmen, die aus Teilen unterschiedlicher Hersteller eigene Gespane kreieren.

Schwenker

Beim Schwenkergespann neigt sich bei Kurvenfahrt nur das Motorrad. Es gibt auch das Pendelgespann oder den Parallelneiger, bei dem sich Motorrad und Beiwagen gemeinsam in die Kurve neigen, 1935 von Heinz Kloster aus Essen-Borbeck patentiert (Flexit, Brough Superior). Der Konstrukteur W. Bradley baute das Bradleygespann 1929, ein erstes Schwenkergespann. Die Fahrdynamik eines Schwenkergespanns entspricht weitgehend einem Solomotorrad, durch die Last des Beiwagens eingeleitete Lastwechsel werden weitgehend automatisch vom Motorrad ausgeglichen, d. h. z. B. der Rechtszug beim Beschleunigen (Seitenwagen rechts angebaut) bewirkt einen Lenkimpuls beim Motorrad mit folgender leichter Linksschräglage. Liegen die Schwenkgelenke nicht auf gleicher Höhe, versetzt das Beiwagenrad nicht parallel zur Fahrzeuglängsachse – dies bedingt eine variable Vorspur. Die ersten Schwenkergespanne der „Neuzeit“ wurden vom Schweizer Gespannbauer Armec 1986 ausgeführt (ARMEC Sidewinder), durch eine umfangreiche Palette an verschiedenen Zugmaschinen machte Kalich in den letzten Jahren den Schwenker salonfähig. Heute käufliche Schwenkergespanne werden ausschließlich mit zwei Uniballgelenken unter dem Motorrad ausgeführt, bei denen das Motorrad in Kurvenneigung schwenkt und der Seitenwagen weitgehend gerade bleibt.

Fahrtechnik

Ein Gespann wird neben dem Lenkeinschlag auch durch Gewichtsverlagerung und Gasgeben oder Anbremsen in und durch die Kurve gesteuert (nicht bei Schwenkergespannen). Motorradgespanne sind asymmetrisch gelenkte Fahrzeuge, das heißt, ihre Lenkachse ist außermittig angeordnet. Dies bedeutet, dass sie sich völlig anders als Solomotorräder und Autos fahren: Der Seitenwagen hebt bei Lenkbewegungen in seine Richtung ab einer bestimmten Fliehkraft ab, während er beim entgegengesetzten Lenkeinschlag vorn eintaucht, wobei das Hinterrad der Zugmaschine abheben kann.

Ein leichtes Abheben infolge geringfügig überhöhter Kurvengeschwindigkeit birgt dabei tatsächlich das geringere Gefahrenpotenzial, da ein erheblicher Kraftaufwand erforderlich ist, um das Gespann auf diese Weise zum seitlichen Überschlag zu bringen. Die Gefahr besteht hier eher darin, dass der Fahrer erschrickt und den Lenker wieder geradeaus einschlägt, um das Rad wieder auf den Boden zu bringen, wobei das Gespann auf die Gegenfahrbahn gelangen kann. Sollte ein Gespann in einer Linkskurve bei rechts montiertem Beiwagen jedoch mit der Bootsnase aufsetzen, droht unvermittelt die Gefahr eines Überschlags nach vorn über die Achse Vorderrad-Bootsrad.

Sport

Es gibt Wettbewerbe im:

  • Straßenrennsport
→ siehe Liste der Gespannweltmeister
In der DDR sprach man im Motorsport bis 1977 nicht von „Motorradgespannen“, sondern von „Dreiradfahrzeugen“.
  • Motocrosssport
→ siehe Sidecarcross
Motocross Weltmeister 2007 und 2008 auf VMC/Zabel: Daniel Willemsen (NED) und Reto Grutter (SUI) -
Deutscher Meister 2008 auf Mefo/Zabel: Marco Happich (GER) und Meinrad Schelbert (SUI)
  • Grasbahnsport
Tommy Kunert (GER) mit Beifahrer Markus Eibl (GER) wurden 2008 in Bielefeld Grasbahn-Europameister.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Motorradgespanne – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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