Mülleimer-Modell

Mülleimer-Modell

Mit Mülleimer-Modell (engl. Garbage Can Model, Garbage Can Theory) bezeichnen Cohen et al.[1] eine modellhafte Beschreibung des Entscheidungsverhaltens von Organisationen. Das Modell war eine Reaktion auf rationale und politische (Wert-rationale) Entscheidungsfindungsmodelle für das strategische Management, die nach Ansicht von Cohen et al. Entscheidungsverhalten in einer komplexen, ambivalenten und sich dauernd ändernden Welt unzureichend dokumentierten, indem sie zu sehr auf rationalen Entscheidungsträgern und klaren Strukturen aufbauten.[2]

Inhaltsverzeichnis

Hauptvertreter

Michael Cohen, James March und Johan P. Olsen beschrieben 1972 das Mülleimer-Modell zum ersten Mal. 1984 wurde es von John Kingdon adaptiert.

Das Modell

Cohen, March und Olsen nennen als erstes Beispiel für die modellhafte Beschreibung des Entscheidungsverhaltens die Universität als organisierte Anarchie, die durch drei Punkte gekennzeichnet ist.

  1. Problematic preferences Die Definition des Problems und der Ziele sind unklar. Die Akteure erkennen ihre Präferenzen erst spät im Prozess und/oder wechseln ihre Präferenzen mehrmals.
  2. Unclear technology Die Akteure kennen die organisatorischen Regelungen und Strukturen der Entscheidungsprozesse zu wenig. Sie haben nur ein rudimentäres Verständnis davon, welche Mittel welche Zwecke erfüllen. Es ist wahrscheinlich, dass Akteure durch Ausprobieren lernen, aber nicht die unterliegenden Ursachen für das Funktionieren von Mitteln begreifen.
  3. Fluid participation Die Mitglieder von Entscheidungsgremien wechseln, und das Engagement der Beteiligten hängt von ihrer Energie, ihrem Interesse und Beschränkungen ihrer zeitlichen Möglichkeiten ab. Zudem werden bestimmte Themen wiederholt diskutiert.

Aus dem Zusammenspiel von diesen drei Faktoren ergeben sich Situationen, die bestimmte Entscheidungen begünstigen. Kennzeichnend für diese Organisationsentscheidungen sind nach Cohen vier voneinander unabhängige, dynamische Ströme:

  • Probleme
  • Lösungen
  • Teilnehmer
  • Entscheidungsgelegenheiten

Laut dem Garbage-Can Modell treffen diese vier Ströme bei einem Entscheidungsprozess in einem stochastischen Treffen aufeinander, sodass Entscheidungen nicht das Resultat von rationaler Analyse sind, sondern den zufälligen Zusammenfluss der vier 'Ströme' darstellen. Der Begriff Strom soll hier verdeutlichen, dass diese Prozesse ständig in Bewegung sind. Es können zum Beispiel schon Lösungen für Probleme existieren, die noch gar nicht aufgetreten sind.

Folgen des Modells für Unternehmen

  1. Agenda Setting ist eine Voraussetzung zur Durchsetzung unternehmerischer Ziele
  2. Unternehmen benötigen (Führungs-)Eliten, die klare Ideen zum richtigen Zeitpunkt haben
  3. Unternehmen benötigen aber auch Bürokraten, die diese Ideen in der Praxis umsetzen

Adaption des Modells durch Kingdon

In der Adaption von John Kingdon hat das Modell nur noch drei Ströme:

  • Problems (~ Probleme)
  • Policies (~Richtlinien und Regeln)
  • Politics (~Firmen- und Geschäftspolitik)

Unter Policies werden Strategien zur Verbindung von Problemen und Lösungen verstanden. Die Politics definieren die Kombination aus Teilnehmern und Entscheidungsgelegenheiten. Dabei kann es aus psychologischer Perspektive zu Problemen kommen. Zum einen werden Entscheidungen kollektiv getroffen, jedoch wechseln die Teilnehmer der Gremien ständig. Weiter haben die Mitglieder der Gremien oft nur ihren eigenen Funktionsbereich im Blick und wissen sehr wenig über die Gesamtorganisation, da viele Funktionsbereiche kaum miteinander kommunizieren. Viele Entscheidungsträger verfügen nicht über vollständige entscheidungsrelevante Information. Es kommt also nur dann zu einer Entscheidung, wenn die Ströme kurzzeitig zueinander kompatibel sind. Gelingt diese Kompatibilität jedoch nicht, ruht der Inhalt weiter in der "Mülltonne".

Literatur

  • M. Cohen, J. March und J. Olsen: A Garbage Can Model of Organizational Choice. In: Administrative Science Quarterly. Band 17, 1972, S. 1–25.
  • M. Cohen, J. March und J. Olsen: People, Problems, Solutions and the Ambiguity of Relevance. In: J. March und J. Olsen (Hrsg.): Ambiguity and Choice in Organizations. Scandinavian University Press, Oslo [u. a.] 1994, S. 24–37.
  • J. Crecine: Defense Resource Allocation: Garbage Can Analysis of C3 Procurement. In: J. March und R. Weissinger-Baylon (Hrsg.): Ambiguity and Command. Pitman Publishing, Marshfield 1986
  • Kathleen M. Eisenhardt und M. Zbaracki: Strategic Decision Making. In: Strategic Management Journal. Band 13, 1992, S. 17–32.
  • K. Macharzina: Unternehmensführung. Das internationale Managementwissen. Gabler, Wiesbaden 1993
  • J. March und J. Olsen: Garbage Can Models of Decision Making in Organizations. In: J. March und R. Weissinger-Baylon (Hrsg.): Ambiguity and Command. Organizational Perspectives on Military Decision Making. Pitman Publishing, Marshfield 1986
  • J. March und R. Weissinger-Baylon: Ambiguity and Command. Organizational Perspectives on Military Decision Making. Pitman Publishing, Marshfield 1986
  • J. March: Eine Chronik der Überlegungen über Entscheidungsprozesse in Organisationen. In: J. March (Hrsg.): Entscheidung und Organisation. Kritische und konstruktive Beiträge, Entwicklungen und Perspektiven. Gabler Verlag, Wiesbaden 1990, S. 1–23.
  • J. March: Entscheidung und Organisation. Kristische und konstruktive Beiträge, Entwicklungen und Perspektiven. Gabler Verlag, Wiesbaden 1990.
  • J. March: A primer on decision making. How decisions happen. New York 1994
  • J. Olsen: Choice in an Organized Anarchy. In: J. March und J. Olsen (Hrsg.): Ambiguity and Choice in Organizations. Universitetsforlaget, Bergen [u. a.] 1994, S. 82–139.
  • P. Westphal: Garbage Can. Ein Papierkorb-Modell für organisatorisches Wahlverhalten. Analyse der konzeptionellen Probleme bei der empirischen Beobachtung von organisationellen Entscheidungsprozessen. Universität Bielefeld, Bielefeld 2001
  • J. Kingdon: Agendas, Alternatives and Public Policies. 2. Auflage, Harper/Collins, New York 1995, ISBN 0-32-112185-6
  • M. Lipson: A Garbage Can Model of UN Peacekeeping. Paper presented at the annual meeting of the Canadian Political Science Association. Winnipeg, Manitoba, June 3–5, 2004
  • Herbert Simon: Rational decision-making in business organizations. Nobel Memorial Lecture, 1978
  • A. Tiernan und T. Burke: A Load of Old Garbage: Applying Garbage Can Theory to Contemporary Housing Policy. In: Australian Journal of Public Administration. Band 61, Nr. 3, 2002, S. 86–97.

Quellen

  1. Cohen, M. D., March, J. G., and Olsen, J. P. (1972), A garbage can model of organizational choice. Administration Science Quarterly, 17, 1-25.
  2. Kathleen M. Eisenhardt und M. Zbaracki: Strategic Decision Making. In: Strategic Management Journal. Band 13, 1992, S. 17–32.

Internetquellen

Fakultät für Psychologie, Ruhr-Universität Bochum


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