- Neustädter Marienkirche
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Die evangelisch-lutherische Neustädter Marienkirche ist die größte Kirche in Bielefeld. Die im Stil der Gotik ab 1293 errichtete Kirche ist ein prägendes Element des Bielefelder Stadtbildes.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Erstmals erwähnt wird eine Kirche an der Stelle der heutigen Neustädter Marienkirche am Fuße des Sparrenbergs im Jahr 1292, als Graf Otto III. von Ravensberg dem Bischof von Paderborn seinen Plan vortrug, zusammen mit seiner Gemahlin Hedwig ein Stift für Kanoniker zu gründen. Der Gründungstag des Marienstifts war der 14. Juli 1293. Die wahrscheinlich seit 1270 vorhandene Pfarrkirche der "Neustadt" wurde zur Stiftskirche ausgebaut. Im Zuge verschiedener Bauphasen erhielt die Kirche bis ungefähr 1512 ihre heutige Form. Der Westteil mit den beiden Fassadentürmen wurde 1494 fertiggestellt. Aufgrund der Stiftung durch den Grafen wird die Kirche – nicht oft – auch „Ravensberger Dom“ genannt.
Im Zuge der Reformation, die Bielefeld recht spät ab etwa 1542 erreichte, wurde die Kirche gleichzeitig von katholischer und evangelischer Seite in Anspruch genommen. Die meisten Kanoniker blieben katholisch, die Pfarrgemeinde wurde evangelisch. Der damalige Pfarrer der Neustädter Marienkirche, Hermann Hamelmann, gilt als Reformator Bielefelds. Eine Zeitlang hielten im Chor der Kirche die Kanoniker die Messe im katholischen Ritus. Im Kirchenschiff, das durch einen Lettner vom Chor abgetrennt war, wurde der Gemeindegottesdienst auf protestantische Weise gefeiert, indem „evangelisch gepredigt“ und deutsch gesungen wurde.[1]
Die Turmhelme wurden nach einem Sturmschaden 1703 in den folgenden Jahren durch neue Turmhauben in barocker Form ersetzt. 1810 wurde das Marienstift aufgelöst, die Kirche wird seither als Gemeindekirche der evangelischen Mariengemeinde genutzt, die bereits seit 1672 Besitzerin der Kirche war.
Bei dem großen Bombenangriff auf Bielefeld am 30. September 1944 wurden Dach und Turmspitzen zerstört, die Gewölbe blieben jedoch intakt. Das neue Dach des Kirchenschiffes entstand um 1947; die Turmspitzen wurden 1966 neu errichtet.[2]
Architektur und Ausstattung
Die 52 Meter lange Hallenkirche ist durch ihren dreijochigen, auffällig lang gestreckten Chor als ehemalige Stiftskirche zu erkennen. Nach den Details in Formen der Gotik insbesondere der Fenstermaßwerke kann er in das 14. Jahrhundert datiert werden. Etwa aus der gleichen Zeit dürfte auch das Querschiff stammen, während der Westteil des dreischiffigen Langhauses ebenso wie die Türme wohl erst nach 1450 realisiert wurden. Das Westportal zeigt Maßwerk in Formen des Flamboyant. Es wurde vermutlich 1512 vollendet. Bis etwa 1840 trennte ein für Stiftskirchen typischer Lettner den Chor vom Kirchenschiff. Nach der Aufhebung des Stiftes im Zuge der Säkularisation wurde er abgerissen und die Kirche vollends zur Gemeindekirche umgestaltet.[3]
Die beiden jeweils 78 Meter hohen Turmdächer wurden nach starken Kriegsschäden 1966 in Anlehnung an die Gotik wieder aufgebaut. Die jetzige Form entspricht nicht den ursprünglichen Helmen, die zweifellos etwas niedriger waren. Ihr Aussehen ist ungefähr überliefert.
Der wertvollste Schatz der Kirche ist der so genannte Marienaltar, ein gemaltes Triptychon von 30 kleinen Szenen um ein großes Mittelbild. Der 1400 von einem heute unbekannten Meister vollendete Altaraufsatz wurde von einem an französischer Kunst der 1380er Jahre geschulten Maler geschaffen, dem „Meister des Berswordt-Retabels“ [4][5]. Zwei der Altarbilder (Die Geißelung und Die Kreuzigung) befinden sich im New Yorker Metropolitan Museum of Art.[6]
Zur Ausstattung der Kirche gehören ferner gotische Grabdenkmäler der Grafen von Ravensberg und von Berg. Außerdem gibt es ein Epitaph in Formen der Renaissance.
Orgel
Die Orgel der Neustädter Marienkirche wurde 1970 durch die Orgelbaufirma Detlef Kleuker (Bielefeld) erbaut. Das Schleifladen-instrument hat 47 Register auf drei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[7]
DispositionI Hauptwerk C–3 Pommer 16′ Prinzipal 8′ Rohrflöte 8′ Oktav 4′ Hohlflöte 4′ Quinte 2/3′ Oktave 2′ Mixtur V Scharff IV Trompete 16′ Trompete 8′ II Brustwerk C–3 Gedackt 8′ Rohrflöte 4′ Oktav 2′ Blockflöte 2′ Quinte 11/3′ Sesquialtera II 22/3′ Scharff IV Krummhorn 8′ Tremulant III Schwellwerk C–3 Koppelflöte 8′ Quintade 8′ Salizional 8′ Prinzipal 4′ Spitzflöte 4′ Nasard 22/3′ Schwegel 2′ Terz 13/5′ Oktave 1′ Aliquot II 1/7′ Mixtur V Zymbel III Fagott 16′ Oboe 8′ Schalmey 4′ Tremulant Pedal C–1 Prinzipal 16′ Subbaß 16′ Quinte 102/3′ Oktav 8′ Gedackt 8′ Choralbaß 4′ Gemshorn 4′ Nachthorn 2′ Rauschwerk II Mixtur V Posaune 16′ Trompete 8′ Clarine 4′ - Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
- Spielhilfen: Setzeranlage
Glocken
Das Geläut der Kirche besteht heute aus vier 1993 von der Eifeler Glockengießerei Mark in Brockscheid gegossenen Bronzeglocken[8]:
Name Gebetsglocke Marienkirchglocke Christusglocke Sakramentsglocke Durchmesser (mm) 1452 1505 1704 1305 Gewicht (ca. kg) 1856 2172 3242 1404 Schlagton des' +1- c' +5+ b° +3 es' +4 Im Chorraum werden die sechs Bronzeglocken der 2007 aufgegebenen Paul-Gerhard-Kirche aufbewahrt. Sie waren 1962 von der Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock in Gescher gegossen worden und tragen jeweils eine Inschrift, die einem der Lieder von Paul Gerhardt entnommen sind.[9]
Durchmesser (mm) 980 717 775 855 640 1240 Gewicht (ca. kg) 628 260 310 421 175 1222 Schlagton a' -2,5 d" -1,5 cis" -2 h' -2,5 e" -2 e' -2 Literatur
- Johannes Altenberend, Reinhard Vogelsang, Joachim Wibbig (Hrsg.): St. Marien in Bielefeld 1293-1993. Geschichte und Kunst des Stifts und der Neustädter Kirche. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1993, ISBN 3-927085-78-2.
- Hans Georg Gmelin: Die Neustädter Marienkirche zu Bielefeld. 2. Auflage, München/Berlin 1997 (Große Baudenkmäler, Heft 282).
- Alfred Menzel: Die Neustädter Marienkirche zu Bielefeld als "Simultankirche". In: Johannes Altenberend, Josef Holtkotte (Hrsg.): St. Jodokus 1511 - 2011. Beiträge zur Geschichte des Franziskanerklosters St. Jodokus in Bielefeld. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-89534-911-9, S. 107-116.
Weblinks
Commons: Neustädter Marienkirche (Bielefeld) – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienQuellenangaben
- ↑ Reinhard Vogelsang: Geschichte der Stadt Bielefeld, 1. Band: Von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Bielefeld 1980, ISBN 3-88049-128-3, S. 110.
- ↑ Neue Westfälische, 1. Oktober 2010
- ↑ Ulrich Althöfer: Architektur und Kunst in Zeiten großer Zahlen. Kirchenbau und Ausstattung im Kirchenkreis Bielefeld in: Matthias Benad, Hans-Walter Schmuhl (Hrsg.): Aufbruch in die Moderne. Der evangelische Kirchenkreis Bielefeld von 1817 bis 2006. Verlag für Religionsgeschichte, Bielefeld 2006, ISBN 3-89534-642-X, 163-180, 164f.
- ↑ Götz J. Pfeiffer: Die Malerei am Niederrhein und in Westfalen um 1400. Der Meister des Berswordt-Retabels und der Stilwandel der Zeit. Imhof-Verlag, Petersberg 2009. (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, 73)
- ↑ Alfred Menzel: Der Bielefelder Marienaltar, ein Retabel für die Gebildeten im Hohen Chor als Lehrtafel und Himmelsfenster. Juni 2000.
- ↑ Metropolitan Museum of Art
- ↑ Informationen zur Orgel der Neustädter Marienkirche
- ↑ Harald Propach, Die Glocken von Bielefeld. Stimme der Kirche. Kulturgut und Kunstwerk, Bielefeld 2008, ISSN 1619-9022, 120-122
- ↑ Harald Propach, Die Glocken von Bielefeld. Stimme der Kirche. Kulturgut und Kunstwerk, Bielefeld 2008, ISSN 1619-9022, 215-217
52.0170555555568.5298888888889Koordinaten: 52° 1′ 1″ N, 8° 31′ 48″ OKategorien:- Kirchengebäude in Bielefeld
- Kirchengebäude der Evangelischen Kirche von Westfalen
- Marienkirche in Nordrhein-Westfalen
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- Kollegiatstiftskirche in Deutschland
- Gotisches Kirchengebäude in Nordrhein-Westfalen
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