- Neutral-Moresnet
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Neutral-Moresnet (dt. auch Altenberg) war von 1815 bis 1919 ein 3,4 km² großes neutrales Territorium zwischen Deutschland und Belgien, 7 km südwestlich von Aachen. Im Norden reichte das Gebiet Neutral-Moresnets bis zum Vaalserberg, der damit ein Vierländereck (mit den Niederlanden, Belgien und Deutschland) bildete.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Nach der Zeit Napoleons bestand Uneinigkeit darüber, an welches Land dieses Gebiet mit seinen Bodenschätzen gehen sollte: Preußen oder das Vereinigte Königreich der Niederlande (Belgien bestand damals noch nicht). Dort wurde Galmei abgebaut, das für die Zink- und Messingherstellung am Anfang des 19. Jahrhunderts notwendig war und aus diesem Gebiet nach ganz Europa exportiert wurde. Artikel 25 der Schlussakte des Wiener Kongresses (1815) beschreibt die Grenzen Preußens, Artikel 66 die der Niederlande. Moresnet wurde von beiden Seiten beansprucht. Im Dezember 1819 trafen sich Unterhändler aus Preußen und den Niederlanden in Aachen und fanden nach einem halben Jahr einen Kompromiss: So entstanden das niederländische Moresnet im Westen (ab 1830 belgisch), Preußisch-Moresnet im Osten und Neutral-Moresnet blieb „unbestimmt, da die beiden Kommissionen sich nicht über die Weise einig wurden, wie die Grenzziehung […] vorzunehmen sei.“
„Diese Schwierigkeit wird der Entscheidung der beiderseitigen Regierungen vorgelegt. […] In Erwartung dieser Entscheidung wird die provisorische Grenze durch die Gemeinde Moresnet gebildet.“ Im Abkommen wurde weiterhin erwähnt, dass das Gebiet „einer gemeinschaftlichen Verwaltung unterworfen wird und von den beiden Mächten nicht militärisch besetzt werden darf“. Daher auch der Name „Neutral-Moresnet“. Es hatte mit seinen Galmeivorkommen (Zinkspat) bei seiner Entstehung um 1815 nur 256 Einwohner, 1858 wurden bereits 2.575 Einwohner gezählt, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges dann 4668. Deutsche, Wallonen, Flamen und Niederländer siedelten sich an. Bis 1847 siedelten sich viele junge Männer an, um den Militärdienst zu umgehen. Danach regelten Belgien und Preußen, dass nur ursprünglich Ansässige vom Militär befreit waren. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gab es zahlreiche Verhandlungen zwischen Preußen und Belgien zur Aufhebung des Provisoriums.
Im Ersten Weltkrieg wurde es durch Deutschland besetzt. Erst im Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 erkannte Deutschland die volle Souveränität Belgiens über Neutral-Moresnet an. Neutral-Moresnet änderte seinen Namen in Kelmis (fr. La Calamine) und Preußisch-Moresnet in Neu-Moresnet.
Rechtswesen
In Neutral-Moresnet galten bis zuletzt der von Napoleon herrührende Code Civil und der Code Pénal. Da im Gebiet selbst keine Gerichte existierten, mussten belgische und deutsche Richter entsprechend den ehemaligen französisch-napoleonischen Gesetzen entscheiden.[1]
Zwei Kommissare hatten die Aufsicht über das Gebiet (je ein preußischer in Aachen und ein niederländischer (später belgischer) in Verviers). Sie ernannten den Bürgermeister, der aber durch das fehlende Verwaltungsgericht nicht in seinen Entscheidungen überprüft werden konnte. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zusätzlich einen Gemeinderat. Auch die Grubengesellschaft Societé de la Vieille Montagne, die eigene Siedlungen, Läden, ein Krankenhaus und die Sparkasse betrieb, bestimmte mit.
Esperanto
Ab 1907 gab es eine Gruppe Esperanto-Anhänger. Sie wollten aus Neutral-Moresnet einen Esperanto-Staat mit Namen Amikejo (Esperanto für Ort der Freunde) bilden.
Dr. Wilhelm Molly († 1919), der Chefarzt der Erzgrube, versuchte vergeblich, in Neutral-Moresnet den ersten Esperanto-Staat der Welt auszurufen.
Sonstiges
Die Steuern waren niedrig und wurden über Jahrzehnte nicht erhöht. Da beide Länder Neutral-Moresnet als Hoheitsgebiet betrachteten, war die Einfuhr zollfrei. Für die Ausfuhr wurde aber Zoll verlangt.
1903 wurde versucht, ein legales Kasino zu eröffnen, was aber Preußen unterband. Es gab zahlreiche illegale Schnapsbrennereien und einen schwunghaften Handel mit Alkohol.
Heute
Außer Moresnet-Village (Alt-Moresnet) und Moresnet-Kapelle (Eikschen), die seit 1975 Orte in der Gemeinde Bleiberg sind, gehört der Rest der Region heute zu der in der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens liegenden Gemeinde Kelmis.
Söhne und Töchter
- Emil Dovifat, Publizistikwissenschaftler
- Bernhard von Scheibler, (1785–1837), kgl. belgischer Kommissar für Neutral-Moresnet
Tourismus
Gerade wegen der Bedeutung der Esperantoepisode werden heute viele Sprachkurse angeboten und die Gastwirtschaften des Gebietes benutzen Begriffe auf Esperanto.
Literatur
- De laatste Belgen. Een geschiedenis van de Oostkantons. Selm Wenselaers, Meulenhoff/Manteau (2008) (in niederländischer Sprache)
- Hans-Dieter Arntz: Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990, ISBN 3-9800787-6-0
Einzelnachweise
- ↑ vgl. Leo Vossen, „Ein juristischer Anachronismus.“ DJZ 1900, S. 477f. als Digitalisat beim MPIER.
Weblinks
Commons: Moresnet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Umfangreiche Website zur Geschichte Neutral-Moresnets
- Martin Herzog: Fünfzig Häuser ohne Staat, in: Die Zeit 01/2007, 28. Dezember 2006
- Das Göhltalmuseum Kelmis mit Informationen über mehr als 1000 Jahre Erzabbau und Neutral-Moresnet.
- Geschichtliches zu Kelmis und Neutral-Moresnet
- Sendung vom DeutschlandRadio Berlin am 17. Dezember 2004
- Manuskript der SWR2-Wissen-Sendung vom 4. Februar 2005
- Karte
- Neutral-Moresnet bei Spiegel-online
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