Oberer Erdmantel

Oberer Erdmantel

Als oberer Erdmantel wird in den Geowissenschaften jener plastisch verformbare Teil des Erdmantels bezeichnet, der die Erdkruste trägt und unter ihr bis in Tiefen von 410 km reicht. Zählt man (wie meist üblich) auch die sog. Übergangszone zum Obermantel, reicht er bis in etwa 750 Kilometer Tiefe (die Angaben in der Fachliteratur schwanken zwischen 650 und 900 km). Diese Gesteinsschichten umfassen fast ein Drittel des gesamten Mantels, dessen Grenze zum Erdkern durch verschiedene geoseismische Methoden mit durchschnittlich 2.898 km Tiefe bestimmt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Erdbeben und Gesteinsgrenzen

Da die Erdkruste je nach geografischer Lage auf Kontinent oder Meer eine Dicke zwischen 10 und 70 km besitzt, hat der obere Erdmantel eine örtlich leicht veränderliche Mächtigkeit von etwa 700 km ± 30 km. Die Tiefe seiner möglichen unteren Begrenzung ist jedoch relativ einheitlich. Sie äußert sich durch eine plötzliche Zunahme der Dichte von etwa 4,2 auf 4,5 g/cm³ - und eine gleichzeitige Änderung der Erdbebenwellen von 10 auf 11 km pro Sekunde. Der mit der Tiefe stark ansteigende Druck (etwa 30 Gigapascal) verursacht hier einen Phasenübergang der heißen Olivin-Minerale vom Spinell zu noch kompakteren Kristallstrukturen. Seit einiger Zeit kann man ähnlich starke Drücke mit hydraulischen Pressen erzeugen (siehe Weblinks) und so die möglichen Mantelgesteine eingrenzen.

Hingegen ist die obere Grenzfläche - zwischen Erdkruste und Mantel - durch eine Änderung der Gesteine charakterisiert: Oben helle Granite und andere "saure" Gesteine (hoher Anteil an Quarz = SiO2), unten dunkle, "basische" Basalte und Silikate. Wegen des kompakteren Mantelmaterials wächst unterhalb der Kruste die Geschwindigkeit der seismischen Wellen von 6½ auf fast 8 km/s ("Mohorovicic-Diskontinuität"). Trotz zunehmender Temperatur von hunderten Graden sind die Gesteine bis in Tiefen von 100-150 km noch fest und relativ spröde. Daher wird die oberste Schicht des Erdmantels (durchschnittlich 100 km) zusammen mit der Erdkruste auch Lithosphäre genannt (griech. λίθος, líthos = Stein). Unter den Kontinenten ist sie besonders dick und massiv.

Asthenosphäre - die Grundlage der Plattentektonik

Unter der Litho- beginnt die Asthenosphäre, die wegen der noch höheren Temperatur (über 500°C) eine gewisse Plastizität besitzt. Diese „nachgiebige, schwache“ Schicht (griech. asthenos) reicht 200 bis 300 km tief. Auf ihrer oberen Grenzfläche können sich die Krustenplatten (mit und ohne Kontinenten) langsam verschieben (siehe Plattentektonik), was nach den Messdaten der Erdmessung und Satellitengeodäsie mit 2 bis 20 cm pro Jahr erfolgt. Eine dünne Zone mit geringerer Viskosität, die auf ein teilweises Aufschmelzen entlang der Korngrenzen im Gestein zurückgeht, wirkt als „Gleitmittel“. Sie macht sich für Geophysiker durch einen lokalen, aber merklichen Rückgang der seismischen Geschwindigkeiten (P- und S-Wellen) bemerkbar, was zum Namen Low-velocity-Zone geführt hat.

Im Bereich der Asthenosphäre und in noch größeren Tiefen würde sich das Gestein infolge der gleichmäßig ansteigenden Temperatur verflüssigen, wenn es nicht unter gewaltigem Druck stünde. Es ist weder spröde noch geschmolzen, sondern etwas plastisch. Dennoch reichen die tiefsten Erdbeben bis etwa 600 km hinab, was theoretisch noch nicht völlig geklärt ist.

Übergangszone zum tieferen Erdmantel

In der Übergangszone zwischen 400 und etwa 700 km Tiefe haben die Seismologen eine Reihe weiterer Schichten entdeckt, an denen die Erdbebenwellen geringfügig reflektiert werden. Diese "Diskontinuitäten" werden meist nach ihrer durchschnittlichen Tiefe bezeichnet: an der scharfen 410-km-Diskontinuität wandelt sich das Olivin - das an der Erdoberfläche eine Dichte von etwa 3,3 g/cm³ hat - in eine wesentlich dichtere β-Phase um. Weitere Reflexionsschichten finden sich in durchschnittlich 520 und knapp 700 km Tiefe, wo die meisten Geophysiker den Oberen Mantel enden lassen. Die Angaben können jedoch um bis zu 100 km variieren.

In etwa 520 km Tiefe folgt die γ-Phase (Ringwoodit) mit einem kleinen Anteil kalziumhaltiger Minerale. Als Ca-Perovskit gibt es sie auch im unteren Erdmantel. Ab 600-800 km zerfallen schließlich die von der Erdoberfläche her bekannten Gesteine und nehmen eine neue, äußerst kompakte Struktur an. Dort vermutet man Temperaturen um 1000°C. Auf den weiteren 2.000 Kilometern bis zum Erdkern - wo das Eisen beginnt und die Temperatur bereits 3500° erreicht - kann die Dichte deshalb nur mehr um 1 Einheit auf 5-6 g/cm³ zunehmen. Obwohl die Hitze den Schmelzpunkt des Mantelmaterials bei weitem übersteigt, ist der Erdmantel überwiegend in der festen Phase. Der enorme lithostatische Druck verhindert die Bildung von Schmelzen, da Gestein im festen Zustand ein geringeres Volumen einnimmt als im flüssigen.

Chemisch-mineralogische Zusammensetzung

Die dunklen, ultrabasischen Gesteine des oberen Erdmantels bestehen mit ziemlicher Sicherheit aus verschiedenen Varianten des Olivin (Mg,Fe)2SiO4, das durch Peridotite ergänzt wird. Letztere setzen sich in variantenreichen Mischungen vornehmlich aus Olivin, Ortho- und Klinopyroxen zusammen. Die meisten dieser Minerale gehören zu den Magnesium-Eisen-Silikaten, und die chemische Grundform der Pyroxene ist (Mg,Fe)2Si2O6.

Die oben angeführten Phasenübergänge zwischen 400 und 700 km Tiefe hängen mit der Kompressibilität des Olivin und dem sehr hohen Druck der darüber lagernden Erdschichten zusammen. In Tiefen von etwa 700 km werden die o.e. Gesteine aber dennoch instabil und wandeln sich bei Temperaturen vieler hundert Grad bzw. bei Drücken um 25 GPa (250.000-facher Luftdruck!) in andere Minerale um, weil sich ihre innere Struktur verändert (Phasentransformation). Daher dürften ab der entsprechenden Tiefe Materialien wie Perovskit (technisch in Kristall-Lasern genützt) und Ferroperiklas. Perovskit (dessen Name noch eine zweite Bedeutung hat) ist ein Eisen- und Magnesium-haltiges Silikatgestein mit der Grundform (Mg,Fe)SiO3.

Gegenüber der Erdkruste ist der Unterschied des Mantelmaterials aber nicht nur durch die hohen Drücke und Temperaturen bedingt, sondern auch durch verschiedenen chemische Zusammensetzung. Das Mantelgestein hat weniger Silizium- und Aluminium-Anteile als die Erdrinde, aber mehr Magnesium und auch Eisen. Daher nennt man die oberen Bereiche des Mantels auch öfters Sifema - im Gegensatz zum Sial der Kontinentblöcke und zum Sima der ozeanischen Kruste. Diese von Geologen zwar ungern verwendeten (aber im Schul- und Sprachgebrauch verankerten) Begriffe darf man sich als körniges, helles Festgestein wie etwa den Granit (mittlere SiAl-Dichte ~2,7 g/cm³ oder 2700 kg/m³) vorstellen, bzw. als dunkles, dem Basalt oder Gabbro ähnliches SiMa-Gestein mit 3,3 bis 4 g/cm³. Das Material des oberen Mantels erreicht hingegen in größerer Tiefe bis 5 g/cm³.

Der gesamte Erdmantel hat eine Masse von etwa 4,08.1024kg oder rund 68 % der gesamten Erdmasse. Seine Temperatur nimmt von etwa 3-400°C an der Mantelobergrenze (heißer unter Vulkanketten) bis zum Beginn des Erdkerns auf etwa 3.500° zu. Daher wären bereits Teile des oberen Erdmantels verflüssigt, wenn nicht dieser extrem hohe Druck herrschen würde. Zwar wird der Schmelzpunkt vieler Gesteine deutlich überschritten, doch bleibt es in situ relativ fest. Manchmal wird es mit der Konsistenz von Siegellack verglichen, der sich - über eine Tischkante gelegt - nach einigen Tagen nach unten biegen würde.

Siehe auch

Weblinks


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