- Option für die Armen
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Die Option für die Armen ist ein theologisches Prinzip, das eine besondere Parteinahme für die Armen betont und in den 1960er und 70er Jahren in den von der Theologie der Befreiung geprägten lateinamerikanischen Kirchen wiederentdeckt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Historische Wurzeln
Das Prinzip wird auf biblische Wurzeln bezogen, z.B. die Seligpreisungen der Bergpredigt und das Welt- und Heilsethos, welches in Jesu Worten und Handlungen zum Ausdruck kommt. Gott selbst hat demnach eine Entscheidung zugunsten der Armen getroffen.
Die klassische katholische Soziallehre kennt das Prinzip der Solidarität, formuliert aber keinen expliziten Vorrang der Armen. Stärker der Fall ist dies in einzigen Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, u.a. in Gaudium et Spes 1 und Lumen gentium 8. Diese Texte wurden in Lateinamerika spezifischer ausgelegt. Ausgangspunkt ist die reale Erfahrung des Lebens der Armen in einer von Ausbeutung und Ungerechtigkeit geprägten Gesellschaft. Darauf reagiert die Gestaltung christlicher Praxis in den Basisgemeinden, wobei eine direkte Parteinahme für die Armen sichtbar wird. Dem entspricht die Akzentuierung theologischer Reflexion. Dieser Ansatz prägt maßgeblich die vom 24. August bis 6. September 1968 in Medellín (Kolumbien) tagende zweite Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats, also eines Teils des lateinamerikanischen katholischen Lehramts. Allerdings taucht der Ausdruck „Option für die Armen“ so nicht wörtlich in den Abschlussdokumenten auf. Die dritte Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (Mexiko) 1979 brachte dann den Begriff der „vorrangigen“ (span.: preferencial) Option für die Armen in die Diskussion ein.[1] Diese Formulierung war nicht unumstritten.
Seit etwa 1990 werden des Öfteren analoge Formulierungen geprägt. So spricht etwa der deutsch-brasilianische Theologe Paulo Suess von einer „Option für die Anderen“. Diese Begriffe können teils als Radikalisierung oder Konkretisierung der Option für die Armen verstanden werden, teils dienen sie aber auch dem Kampf gegen die Befreiungstheologie, indem einer ihrer zentralen Begriffe umgedeutet wird.
Konsequenzen
„Option für die Armen“ meint nicht nur konkrete Hilfeleistungen, sondern auch, die Perspektive der Armen als kritisches Korrektiv in den Mittelpunkt politischen und sozialen Handelns zu stellen. Die lange Zeit vom Begriff des Naturrechts geprägte und dabei oft wenig flexible Christliche Soziallehre wurde in Aufnahme der Option für die Armen weiterentwickelt.
Analoge Entwicklung in der Ökumene und den evangelischen Kirchen
Das Darmstädter Wort von 1947 benannte bereits eine „Option für die Armen“ als notwendige Folge des Evangeliums und bezeichnete von da aus den Antimarxismus des deutschen Protestantismus als historische Schuld:
„Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, dass der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.“
Doch erst 1997 griffen die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz diese Herausforderung ansatzweise auf und formulierten in ihrer gemeinsamen Denkschrift Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit:
„Die christliche Nächstenliebe wendet sich vorrangig den Armen, Schwachen und Benachteiligten zu. So wird die Option für die Armen zum verpflichtenden Kriterium des Handelns.“
Sie erklärten soziale Gerechtigkeit zum Zentralbegriff christlicher Sozialethik, folgerten daraus jedoch keine Strukturveränderungen im Produktionsbereich und Umverteilung von Kapitalmacht, sondern „Chancengleichheit“ und „gleichwertige Lebensbedingungen“ (3.3.3.), benutzten also Begriffe, die auch in fast allen Programmen politischer Parteien vorkommen.[2]
Einzelnachweise
- ↑ Dokument von Puebla Nr. 1134.
- ↑ EKD und Deutsche Bischofskonferenz: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Webseite der EKD. Abgerufen am 22. Mai 2010.
Literatur
- Clodovis Boff, Jorge Pixley: Die Option für die Armen. Patmos, Düsseldorf 1987 (BThB, Gotteserfahrung und Gerechtigkeit).
- Gustavo Gutiérrez: Die Armen und die Grundoption. In: Ignacio Ellacuría, Jon Sobrino (Hrsg.): Mysterium Liberationis. Grundbegriffe der Theologie der Befreiung. 1. Bd. Edition Exodus, Luzern 1995, S. 293–311.
- Juan Luis Segundo: Die Option zwischen Kapitalismus und Sozialismus als theologische Crux. In: Concilium (D) 10 (1974), S. 434–443.
- Paulo Suess: Die Herausforderung durch die Anderen. 500 Jahre Christentum in Lateinamerika: Conquista – Sklaverei – Befreiung. In: Communicatio Socialis 25 (1992), S. 232–247.
- Willi Knecht: Die Kirche von Cajamarca. Die Herausforderung einer Option für die Armen. LIT-Verlag, Münster 2005.
Weblinks
- Willi Knecht: Die Option für die Armen als Primat des Evangeliums. Abgerufen am 15. Dezember 2010.
- Michael Ramminger: Theologie, kulturelle Identität und Befreiung. Website des Instituts für Theologie und Politik. Abgerufen am 15. Dezember 2010.
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