Oraler Glukosetoleranztest

Oraler Glukosetoleranztest
Klassifikation nach ICD-10
R73.0 Gestörte Glukosetoleranz
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Der orale Glukosetoleranz-Test (Zuckerbelastungstest, kurz auch oGTT) dient dem Nachweis einer gestörten Glukoseverwertung und der Diagnostik des Diabetes mellitus. Bei manifestem Diabetes mellitus ist er kontraindiziert.

Die orale Glukosebelastung wird in modifizierter Form auch zur Diagnostik weiterer endokrinologischer Störungen eingesetzt (STH-Suppressionstest bei Akromegalie, verlängerter oGTT über bis zu 6 Stunden bei Verdacht auf Unterzuckerungen z.B. bei einem Insulinom).

Inhaltsverzeichnis

Testprinzip

Idee ist die Bestimmung der Blutglukose-Regelungsfähigkeit des Körpers mit Hilfe einer starken Stimulation durch aufgenommenen Zucker. Hierzu wird in Wasser gelöste Glukose verwendet da es die Zuckerform ist, die der Körper am schnellsten aufnehmen kann und zu einem steilen Anstieg der Blutglukosekonzentration führt (entspricht der Bestimmung einer Systemantwort in der Systemtheorie). Durch diesen Blutzuckeranstieg stimuliert, reguliert die Bauchspeicheldrüse mit der Sekretion von Insulin gegen, welches blutzuckersenkende Reaktionen in Leber, Muskeln und Fettzellen stimuliert. Während des oGTT wird periodisch über der Zeit der Blutzuckerwert, eventuell auch der Insulinwert, gemessen: Nüchternwert, Anstieg, Maximalwert und Abfall des Blutzuckers bis auf Nüchternwert.

Mit einem oGTT kann die Regelungsfähigkeit des Körpers in Stärke als auch Geschwindigkeit bestimmt werden, was mit entsprechenden Richtwerten diagnostische Aussagen erlaubt. Beispielsweise kann bei verzögertem Abfall auf Nüchternzuckerwerte auf eine Insulinresistenz oder verminderte Insulinsekretionsfähigkeit geschlossen werden, bei zu hohen Maximalglukosewerten oder dem nicht-erreichen von Nüchternglukosewerten innerhalb eines definierten Zeitraums auf eine ausgeprägte Diabetes Mellitus.

Indikation als diagnostische Methode

Die WHO empfiehlt den oGTT allgemein als diagnostisches Mittel, auch entgegen Bedenken bezüglich Aufwand und Kosten.[1] Begründet wird dies mit der schlechten Sensitivität einer reinen Nüchternzuckerwert Bestimmung, laut zitierter DECOY-Studie[2] werden ca. 30% der Diabetiker hierdurch nicht detektiert. Auch könne eine gestörte Glukosetoleranz (IGT) nur über einen oGTT entdeckt werden.

Die DDG schlägt in der 2007 Richtlinie[3] kürzerintervalliges Screening mit einem oGTT vor, falls folgende Risikofaktoren vorliegen:

  • Diabetes mellitus Typ 2 bei erstgradigen Verwandten
  • Übergewicht und körperliche Inaktivität
  • arterielle Hypertonie (Blutdruck ≥ 140/90 mmHg)
  • Dyslipoproteinämie mit HDL-Cholesterin<= 35mg/dl und/oder Triglyzeride ≥250mg/dl
  • Z.n. Gestationsdiabetes oder nach Geburt eines Kindes mit Geburtsgewicht > 4000g
  • früherem Nachweis einer gestörten Glukosetoleranz (IGT) oder einer abnormen Nüchternglukose (IGF)
  • makrovaskuläre Erkrankungen
  • Albuminurie

Es wird außerdem darauf hingewiesen das der HbA1c oder Fruktosamin Wert für eine Diabetes Screening ungeeignet sind.

Vorgehensempfehlung des DDG

Laut DDG soll der Test morgens am zuvor zehn Stunden nüchternen Patienten durchgeführt werden. Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, muss sich der Patient an den drei vorangegangenen Tagen mit mindestens 150g Kohlenhydrate pro Tag bzw. wie bisher ernährt haben (keine Diätversuche, um ein günstigeres Ergebnis zu erhalten!). Zudem darf keine fieberhafte Erkrankung vorliegen und bei Patientinnen muss ein dreitägiger Abstand vor und nach der Menstruation eingehalten werden. Während des Testes darf der Patient nicht essen, nicht trinken, nicht rauchen und auch nicht körperlich aktiv sein.

Handelsübliche Messgeräte zur Blutzuckerselbstkontrolle sind aufgrund der zulässigen Schwankungsbreite der Meßergebnisse (bis zu 15%) nicht für die Diagnostik zugelassen.

Ablauf
  • 0 min: Blutentnahme zur nüchtern Glukosebestimmung (Kapillarblut oder venöses Plasma)
  • Anschließend Einnahme einer definierten Menge Glukose (75 g, bei Kindern 1,5 g pro kg Körpergewicht), die in 250–300 ml Wasser gelöst wurden. Die Flüssigkeit muss innerhalb von 5 Minuten getrunken werden.
  • mehrfache Blutentnahme zur Glukosebestimmung (Kapillarblut oder venöses Plasma) nach 60 min und 120 min, bei erweitertem Test nach jeweils 60 Minuten oder z.B. Auftreten einer Unterzuckerung.

OGTT und Schwangerschaftsdiabetes

Kriterien der ADA zum Screening von Gestationsdiabetes
(Kriterien von Carpenter und O'Sullivan)
[4]  
Messzeitpunkt
(100-g Glukose 3-h oGTT)
Normale Werte
(Test negativ falls 3 erfüllt)
nüchtern < 95 mg/dl
< 5,3 mmol/l
nach 1 Std. < 180 mg/dl
< 10,0 mmol/l
nach 2 Std. < 155 mg/dl
< 8,6 mmol/l
nach 3 Std. < 140 mg/dl
< 7,8 mmol/l

Zur Feststellung eines Schwangerschaftsdiabetes kann der Test im Rahmen der Vorsorge zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. In Deutschland ist der orale Glucosetoleranztest für Schwangere keine regelmäßige Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland.

Aktuell (Oktober 2010) bieten folgende Krankenkassen den Test für ihre Versicherten an:

  • AOK Sachsen und Thüringen[5]
  • Barmer GEK [6]
  • BKK-Mobil-Oil [7]
  • hkk[8]
  • DAK Unternehmen Leben [9]

Die Angebote der Krankenkassen ändern sich häufig. Teilweise existieren auch landesspezifische Verträge zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen.

Die American Diabetes Association (ADA) empfiehlt zum Screening von Gestationsdiabetes einen 3-h 100-g Glukose oGTT falls ein 1-h 50-g oGTT mit ≥140 mg/dl (≥7.8 mmol/l) auffällig ist. Die Kriterien von Carpenter und O'Sullivan haben eine hohe Sensitivität für eine große Spannbreite von Frauen (Alter, Ethnizität etc.), gelten also als zuverlässige Indikatoren[4].

Interpretation

2006er WHO Diabetes Kriterien und Einstufung[10]  
Einstufung Nüchternblutzucker (venös) Blutzucker im oGTT
nach 2 Stunden (venös)
Normal <110 mg/dl
<6,1 mmol/l
<140 mg/dl
<7,8 mmol/l
Abnorme
Nüchternglukose (IGF)
≥110–<126 mg/dl
≥ 6,1–<7,0 mmol/l
< 140 mg/dl
< 7,8 mmol/l
Gestörte
Glukosetoleranz (IGT)
<126 mg/dl
<7,0 mmol/l
≥140–<200 mg/dl
≥7,8–<11,1 mmol/l
Diabetes mellitus ≥126 mg/dl
≥7,0 mmol/l
≥200 mg/dl
≥11,1 mmol/l
Blutzucker-Werte gemäß den Diabetes-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) Version Mai 2008(Quelle vom Netz genommen)[11]  
Messung Normale Werte
(Test negativ)
Gestörte
Glucosetoleranz (IGT)
Diabetes
mellitus
nüchtern < 100 mg/dl
< 5,5 mmol/l
100–110 mg/dl
5,5–6,1 mmol/l
> 110 mg/dl
> 6,1 mmol/l
nach 2 Std. kapillar < 140 mg/dl
< 7,8 mmol/l
140–200 mg/dl
7,8–11,1 mmol/l
> 200 mg/dl
> 11,1 mmol/l
venös < 120 mg/dl
< 7,0 mmol/l
120–180 mg/dl
7,0–10,0 mmol/l
> 180 mg/dl
> 10,0 mmol/l


Einstufung gemäß den Diabetes-Leitlinien DDG 2007[3]  
Einstufung Bluttyp Nüchternblutzucker Blutzucker im oGTT nach 2 Stunden
Abnorme
Nüchternglukose (IGF)
venös ≥100–<126 mg/dl
≥5,6–<7,0 mmol/l
k.A.
kapillär ≥90–<110 mg/dl
≥5,0–<6,1 mmol/l
k.A.
Gestörte
Glukosetoleranz (IGT)
venös k.A. ≥140–<200 mg/dl
≥7,8–<11,1 mmol/l
kapillär k.A. ≥140–<200 mg/dl
≥7,8–<11,1 mmol/l
Diabetes mellitus venös ≥126 mg/dl
≥7,0 mmol/l
≥200 mg/dl
≥11,1 mmol/l
kapillär ≥110 mg/dl
≥6,1 mmol/l
≥200 mg/dl
≥11,1 mmol/l

Mögliche Störfaktoren

Ein oGTT kann falsch positiv sein bei:

Zu falsch negativ Ergebnissen kann führen:

  • zu geringer Kohlenhydratzufuhr an den vorangegangenen Tagen
  • Malabsorption
  • Einnahme von Medikamenten (blutzuckersenkend)
  • körperlicher Aktivität, Rauchen während der Testphase
  • u. v. a.

Einzelnachweise

  1. What diagnostic tests should be used to define glycaemic status? (englisch) (pdf). Definition and Diagnosis of Diabetes Mellitus and Intermediate Hyperglycemia S. 30. www.who.int (2006). Abgerufen am 20. Februar 2011.
  2. DECODE Study Group.: Will new diagnostic criteria for diabetes mellitus change phenotype of patients with diabetes? Reanalysis of European epidemiological data. In: The Lancet. 21;354(9179), 21. Oktober 1999, S. 610-611. doi:10.1016/S0140-6736(98)12131-1. PMID 10466661. Abgerufen am 20. Februar 2011.
  3. a b W. Kerner (12. Oktober 2007): Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus (pdf). Diabetologie 2007 S. 147-149. Deutsche Diabetes-Gesellschaft. Archiviert vom Original am 16. Dezember 2007. Abgerufen am 20. Februar 2011.
  4. a b Assiamira Ferrara et.al.: Prevalence of Gestational Diabetes Mellitus Detected by the National Diabetes Data Group or the Carpenter and Coustan Plasma Glucose Thresholds. In: care.diabetesjournals.org (Hrsg.): Diabetes Care. 25, Nr. 9, 2002-09-01, S. 1625-1630. doi:10.2337/diacare.25.9.1625. Abgerufen am 21. Februar 2011.
  5. Schwangerschaftsdiabetes. aokplus-online.de. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  6. Test auf Schwangerschaftsdiabetes. barmer-gek.de. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  7. Gestationsdiabetes-Screening: Zusatzleistung für mehr Sicherheit in der Schwangerschaft. bkk-mobil-oil.de. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  8. Schwangerschaftsdiabetes. hkk.de. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  9. Willkommen, Baby!. dak.de. Abgerufen am 12. Juli 2011.
  10. Definition and Diagnosis of Diabetes Mellitus and Intermediate Hyperglycemia (englisch) (pdf). World Health Organization S. 36. www.who.int (2006). Abgerufen am 20. Februar 2011.
  11. Diagnose Diabetes – die Chance für erfolgreiche Behandlung.
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