- Personengeschichte
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Die Personengeschichte ist ein Teilbereich der Geschichtswissenschaft. Sie erforscht historische Einzelschicksale sowie das Verhältnis zwischen Person und Gemeinschaft.
Entwicklung
Als Biographie gibt es die Personengeschichte seit der Antike (z.B. Plutarch). In der Alten Geschichte ist sie als Prosopographie eine der relevanten modernen Forschungsmethoden. Die Biografie ist generell eine populäre Form der Geschichtsdarstellung. Besonders seit den 1960er Jahren wurde sie aber von Kritikern ihrer beschränkten Sichtweise als unvereinbar mit der Strukturgeschichte gesehen, in Deutschland vor allem von den Vertretern der Historischen Sozialwissenschaft (z. B. Hans-Ulrich Wehler). Die personalisierende Geschichtsdarstellung habe im 19. Jahrhundert Persönlichkeiten derart betont, dass bedeutende historische Personen idealisiert oder gar heroisiert (z. B. Thomas Carlyle) wurden, kritisierte Imanuel Geiss. Hauptsächlich nahmen „große“ Persönlichkeiten eine herausragende Stellung ein, wobei vor allem „geistige Führer, Staatsmänner, Erfinder, Entdecker, Glaubenshelden […] wegen ihres besonderen erzieherischen Einflusses […] lebendig“ gemacht werden sollten, analysiert Joachim Rohlfes. Der einfache „kleine“ Mensch (Mann und Frau) als politisch Handelnder und gesellschaftliche Strukturen, auf die die Strukturgeschichte zielt, wurden bei der starken Personalisierung außer Acht gelassen. Historische Prozesse wurden unzulässig auf Einzelne reduziert und vereinfacht, individualisiert und entpolitisiert (Michael Sauer). Demnach liegen die Hauptprobleme der Personalisierung darin, dass sie die Rolle und Bedeutung der „Massen“ unterschätzt und die Strukturgeschichte vernachlässigt. Diese kritische Sicht liegt fast auf der Linie des historischen Materialismus, wie sie in Bertolt Brechts Gesicht Fragen eines lesenden Arbeiters popularisiert wurde, doch ohne den historischen Determinismus zu teilen.
Ein didaktisches Problem kann darin liegen, dass dies zu Anpassungsbereitschaft, Ohnmachtsgefühl und Manipulierbarkeit junger Menschen führt. Historiker und Geschichtsdidaktiker wie Klaus Bergmann machten darauf aufmerksam, dass sich die Personalisierung, vor allem wenn sie gleichgesetzt wird mit Heroisierung, besonders nachteilig auf das Geschichtsbewusstsein und die politische Einstellung der Menschen auswirke. Dem setzte er 1972 die Personifizierung, entgegen: die Darstellung von Geschichte an „namenlosen“ handelnden und leidenden Personen, den so genannten „kleinen Leuten“, die ihre eigene Perspektive auf die Geschichte hätten, so Michael Sauer. Gleichzeitig repräsentieren diese Personen bestimmte soziale Gruppen. Das bedeutet nicht, dass nun ausschließlich untere oder unterpriviligierte Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt des Interesses rücken sollten, sondern vielmehr, dass Gruppen, die nur generalisierend und abstrahierend beschrieben werden können, anhand von Personen ein Gesicht bekommen. Dabei spielt nicht das Individuum die entscheidende Rolle, sondern die Person als Typus, als Stellvertreter für die ganze Gruppe. So kann z.B. die lange vermisste Alltagsgeschichte in die Geschichtsdarstellung miteinfließen.
Gegenwärtig untersucht die Personengeschichte einzelne Personen in ihrem historischen Umfeld. Das Leben und Wirken von Personen und Personengruppen (wie z.B. Familien und andere soziale Gruppen, Berufsgruppen, konfessionelle Gruppierungen) in ihrer Zeit stehen im Mittelpunkt der Forschung, weil davon ausgegangen wird, dass es Personen und die von Personen geformten sozialen Gruppen sind, aus denen sich Gesellschaften bilden. So werden Persönlichkeiten und Strukturen nicht mehr als ein sich ausschließender Gegensatz gesehen, sondern als ein „interdependentes Verhältnis, bei dem das eine ins andere greift“ (Joachim Rohlfes). Das Motto lautet also nicht Strukturen oder Persönlichkeiten, sondern Strukturen und Persönlichkeiten.
Literatur
- Bergmann, Klaus, Personalisierung im Geschichtsunterricht- Erziehung zu Demokratie?, Stuttgart 1972.
- Ders., Personalisierung und Personifizierung, in: Ders., Geschichtsdidaktische Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens, Schwalbach/Ts. 2000 (2. Auflage), S. 158-161.
- Ders., Personalisierung, Personifizierung, in: Klaus Bergmann u.a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, Düsseldorf 1985 (3. Auflage), S. 268-271.
- Bosch, Michael (Hrsg.), Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte, Düsseldorf 1977.
- Rohlfes, Joachim, Ein Herz für die Personengeschichte? Strukturen und Persönlichkeiten in Wissenschaft und Unterricht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50 (1999) Heft 5/6, S. 305-320.
- Sauer, Michael, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze-Velber 2004 (3. Auflage), S. 73-76.
- Speckmann, Thomas, Die Welt als Wille und Vorstellung. Chancen und Probleme einer biografischen Geschichtsschreibung des „kleinen Mannes“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2003) Heft 7/8, S. 412-426.
- Hans-Ulrich Wehler, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980
Weblinks
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