- Determinismus
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Der Determinismus (lat. determinare „abgrenzen“, „bestimmen“) ist die Auffassung, dass zukünftige Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind. Die Gegenthese (Indeterminismus) vertritt, dass es überhaupt oder in einem bestimmten Bereich der Realität Ereignisse gibt, die auch hätten anders eintreten können.
In der heutigen Naturphilosophie wird üblicherweise „Determinismus“ spezifischer auf Ereignisse der Natur - oder einen bestimmten Bereich derselben - bezogen. Gestützt wird ein allgemeiner Determinismus zumeist durch die Annahme, dass strikte, nicht-probabilistische Naturgesetze über sämtliche natürlichen Prozesse regieren. Ob wiederum die besten physikalischen Theorien diese Annahme stützen, ist umstritten. Wenn geistige Zustände ebenfalls natürliche Zustände sind, scheint ein Determinismus Probleme für die Realität eines freien Willens zu erzeugen. Ob dieser Gegensatz besteht ist ebenso umstritten wie die jeweiligen Konsequenzen.
Es gibt keinen einheitlichen Determinismus, vielmehr lassen sich verschiedene Arten desselben unterscheiden. Paul Edwards (1967) spricht von einem ethischen, logischen, theologischen, physikalischen und psychologischen Determinismus.[1]
Gründe und Gegengründe für einen physikalischen Determinismus
Es ist in der Philosophie der Physik nach wie vor umstritten, ob die Unmöglichkeit exakter Berechnung zukünftiger Ereignisse nur einem Mangel unserer Theorien oder Perspektive geschuldet ist, oder dadurch zu erklären ist, dass die Wirklichkeit selbst nicht determiniert ist.
Die klassische Physik, insbesondere die Klassische Mechanik verwendet strikte, nicht-probabilistische physikalische Gesetze. Die von diesen Theorien beschriebenen physikalischen Systeme erscheinen dann also determiniert. Bei vollständiger Kenntnis irgendeines Systemzustands (etwa des Anfangszustandes) ist der Zustand eines geschlossenen physikalischen Systems zu jeder beliebigen, insbesondere zukünftigen Zeit berechenbar. Die Thermodynamik hingegen verwendet auch probabilistische Gesetze. Thermodynamische Prozesse sind aber Prozesse, die durch kleinste Teilchen realisiert werden, für welche auch die Gesetze der klassischen Partikelmechanik gelten. Das Verhältnis beider Theorien ist nach wie vor umstritten. Der Formalismus der Quantenmechanik ermöglicht nur probabilistische Aussagen über zukünftige Beobachtungen. Viele Interpreten, darunter insbesondere die Vertreter der Kopenhagener Interpretation, haben dies damit erklärt, dass die Wirklichkeit fundamental nicht determiniert sei. Daneben werden aber auch deterministische Deutungen oder Modifikationen verteidigt, darunter die Viele-Welten-Theorie und die De-Broglie-Bohm-Theorie.
Theologischer Determinismus und religionsphilosophische Probleme
Sowohl ein mögliches Vorherbestimmtsein der Wirklichkeit durch die Naturordnung, wie auch durch göttliche Vorherbestimmung, erzeugen zahlreiche Probleme in verschiedenen religionsphilosophischen und dogmatischen Bereichen.
Viele Religionen und deren Interpreten vertreten einen Freien Willen des Menschen; die theistischen Religionen lehren, ihren üblichsten Interpretationen zufolge, zudem die Existenz eines allwissenden und allmächtigen Gottes. Einigen Philosophen und Theologen zufolge ist es erklärungsbedürftig, ob und wie diese drei Thesen kompatibel sind. Darüber hinaus wird diskutiert, ob und wie Gottes Allmacht mit einem vollständigen Determinismus des Naturablaufs kompatibel ist, wenn Allmacht auch die Fähigkeit zu einem Eingreifen Gottes nach der Schöpfung meint. Eine klassische Lösung besteht darin, dass Gott nicht selbst der Zeit unterliegt, sondern Welt und Zeit selbst in Ewigkeit hervorbringt und dabei insbesondere auch diejenigen Ereignisse, welche Menschen als Wunder oder als Ausnahme von Naturgesetzen erscheinen, selbst hervorbringt bzw. vorbestimmt hat.
Nelson Pike meint, dass Vorherwissen und Vorherbestimmung im Falle eines allwissenden Wesens, das sich nicht irren kann, enger zusammen hängen.[2] Anthony Kenny weist darauf hin[3], dass Gleichzeitigkeit eine transitive Relation sei. Wenn Gottes Wirken mit jedem Augenblick gleichzeitig ist, dann sind alle Ereignisse gleichzeitig. Ersteres lehrt ihm zufolge Thomas von Aquin. Da letzteres absurd sei, müsse ein solcher Gottesbegriff aufgegeben werden.
In monotheistischen Theologien wurden unterschiedlich starke Thesen über die objektive oder menschlich einsichtige Planmäßigkeit göttlichen Wirkens und über das Ausmaß des Bewirktwerden des Einzelnen durch Gott vertreten. Eine Extremform ist die These, dass überhaupt nur einzelne Atome für je nur zu einzelne Zeitmomente von Gott geschaffen werden und es weder eine fortdauernde Substanz noch stabile Naturgesetze gibt - ein sog. Okkasionalismus, der u.a. in einigen Schulen des arabischen Kalam vertreten wurde und mit einer starken Betonung des göttlichen Willens (sog. Voluntarismus) einhergeht, welchem gegenüber die menschliche Rationalität und die von ihr unterstellten Stabilitäten und Gesetzmäßigkeiten haltlos werden. Dieser Okkasionalismus ist offensichtlich inkompatibel mit einem physikalischen Determinismus.
Je stärker Gottes Wirken als Hervorbringung bzw. Vorherbestimmung von Einzelereignissen verstanden wird, desto erklärungsbedürftiger wird die Vereinbarkeit des Übels mit dem Verständnis der Güte Gottes.
Weitere theologische Problembereiche sind die Diskussion über eine Vorherbestimmung (Prädestination) einzelner Individuen zu ihrem jeweiligen endzeitlichen Heil bzw. zur Möglichkeit, überhaupt religiös zu glauben oder Gnadengaben zu erwerben. (Siehe hierzu den Hauptartikel Prädestination).
Probleme in der Philosophie des Geistes
Die Vereinbarkeit von Determinismus und Willensfreiheit wird in der Philosophie des Geistes nach wie vor kontrovers debattiert.
Zahlreiche Philosophen vertreten: wenn die Wirklichkeit deterministisch ist, dann ist Willensfreiheit eine Illusion. (sog. Inkompatibilismus) Die Gegenthese lautet, dass auch dann, wenn die Wirklichkeit deterministisch ist, Willensfreiheit real sein kann (sogenannter Kompatibilismus). Ein Inkompatibilist muss also, wenn er die Willensfreiheit für real hält, den Determinismus für falsch halten. Alle vier möglichen Positionen wurden und werden vertreten. Eine inkompatibilistische Position wird zumeist begründet durch die Verteidigung einer Reduzierbarkeit mentaler Zustände auf natürliche bzw. physikalische Zustände. Denn wenn ein mentaler Zustand identisch ist mit einem Zustand, der mit Termini deterministischer physikalischer Theorien beschrieben wird, dann sind auch mentale Zustände und insbesondere willentliche Entscheidungen determiniert. Einen solchen Reduktionismus oder eine Nichtexistenz des Geistigen (Eliminativismus) vertreten insbesondere Theoretiker, die grundsätzlich verteidigen, dass es überhaupt nur natürliche Objekte gibt, sogenannte Naturalisten.
Die Zufälligkeit thermodynamischer oder quantenmechanischer Prozesse wird für die Möglichkeit von Willensfreiheit vielfach für irrelevant gehalten mit einem Argument dergestalt, dass unser Freiheitsbegriff eine durch Gründe selbstbestimmte Entscheidung meint und kein natürliches Zufallsexperiment.
Auch die theologische Annahme eines Vorherbestimmtseins aller Ereignisse durch Gott (theologischer Determinismus) wirft für einige Theoretiker Probleme für die Realität eines freien Willens auf (siehe oben).
Probleme der Ethik, der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie
- Siehe die ausführlichere Darstellung rechtswissenschaftlicher und ethischer Probleme im Hauptartikel Freier Wille.
Falls die gesamte Wirklichkeit inklusive unserer Entscheidungen unausweichlich vorherbestimmt ist, scheinen unsere Begriffe von Verantwortung bis hin zu Begriffen vom Sinn des Lebens schwer aufrechtzuerhalten, ebenso wie die übliche Praxis von Rechtsprechung und Sanktionierung.
Geschichtsphilosophischer Determinismus
Mehrere Philosophen und Historiker haben vertreten oder bestritten, dass es Gesetze gibt, die über historische Prozesse regieren und Vorhersagen ermöglichen.[4] Hierzu könnte beispielsweise die Kulturzyklentheorie oder Oswald Spenglers Geschichtsmorphologie gezählt werden.
Begriffliche Abgrenzung
Die philosophischen Positionen Fatalismus und Prädestination zeichnen sich ebenfalls durch Vorherbestimmung aus. Im Detail ist die Besonderheit des Determinismus die Kausalität, also dass der Zustand eines isolierten Systems zur Zeit t+dt durch seinen Zustand zur Zeit t determiniert ist. Bei Fatalismus und Prädestination wird von einem offenen System ausgegangen, dessen zukünftiger Zustand durch den äußeren Eingriff des Schicksals determiniert wird und nicht durch den aktuellen Zustand. Fatalismus und Prädestination unterscheiden sich untereinander wiederum dadurch, dass hypothetische Götter im Fatalismus ebenfalls dem Schicksal unterworfen sind und in der Prädestination das Schicksal durch einen hypothetischen freien Willen steuern.
Sonstige Wortverwendungen
Außerhalb des naturphilosophischen Kontextes wird auch unspezifischer von Determinismus gesprochen, um ein Bestimmtsein von etwas durch etwas anderes zu bezeichnen. Beispiele sind das Bestimmtwerden des Menschen durch die Technik und nicht umgekehrt oder ein Bestimmtwerden individueller Handlungen durch gesetzliche Vorgaben.
Vertreter
- Alfred Jules Ayer (1910–1989)
- Georg Büchner (1813–1837)
- Albert Einstein (1879–1955)
- Sigmund Freud (1856-1939)
- Thomas Hobbes (1588–1679)
- Paul Thiry d'Holbach (1723–1789)
- David Hume (1711–1776)
- William James (1842–1910)
- Pierre-Simon Laplace (1749–1827)
- John Locke (1632–1704)
- Marshall McLuhan (1911–1980)
- Julien Offray de La Mettrie (1709-1751)
- John Stuart Mill (1806–1873)
- Max Planck (1858–1947)
- Baruch de Spinoza (1632–1677)
Literatur
Philosophie des Geistes und praktische Philosophie
- Für Literatur zum Problem des Freien Willens siehe dort.
- Ted Honderich: Wie frei sind wir? Das Determinismus-Problem. Reclam, Stuttgart 1995, ISBN 3-15-009356-2.
- Ted Honderich: Determinism and Freedom. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 3, S. 24–29.
- Ulrich Pothast (Hrsg.): Seminar: Freies Handeln und Determinismus. 2. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-27857-6.
Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie
- Jeremy Butterfield: Determinism and Indeterminism. In: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, London 1998.
- Robert C. Bishop: Determinism and Indeterminism. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 3, S. 29–35.
- David Bohm: Causality and Chance in Modern Physics. Routledge & Kegan Paul, London 1957.
- Mario Bunge: Kausalität, Geschichte und Probleme. Mohr, Tübingen 1987.
- John Earman: A Primer on Determinism. Reidel, Dordrecht 1986.
- Klaus Mainzer: Determinismus. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2. Auflage. 2005, S. 167–169.
Religionsphilosophie
- Shams Inati: Determinism, Theological. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 3, S. 23f.
Ideengeschichte
- W. H. Dray: Determinism in History. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 3, S. 35–41.
- Richard Taylor: Determinism, A Historical Suvey of. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 3, S. 4–23.
Sozialwissenschaften, Kultur- und Geschichtsphilosophie
- Ernest Nagel: Determinism in History. In: Philosophy and Phenomenological Research. 20, 1960, S. 291–317.
- Alan Donagan: Social Science and Historical Antinomianism. In: Revue Internationale de Philosophie. 11, 1957, S. 433–449.
Weblinks
Wiktionary: Determinismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen- Carl Hoefer: Causal Determinism, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
- Robert M. Kingdon: „Determinism in Theology“ im Dictionary of the History of Ideas (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Bernard Berofsky: „Free Will and Determinism“ im Dictionary of the History of Ideas (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Alan Donagan: „Determinism in History“ im Dictionary of the History of Ideas (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Angelika Karger: Die Leitidee des "Determinismus" in Wissenschaft, Philosophie und Gesellschaft (PDF-Datei; 121 kB)
Einzelnachweise
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