Peter Haeberle

Peter Haeberle

Peter Häberle (* 13. Mai 1934 in Göppingen) ist ein deutscher Staatsrechtslehrer.

Inhaltsverzeichnis

Familie

Peter Häberle ist als Sohn von Dr. med. Hugo Häberle und Ursula Häberle, geb. Riebensahm in einem überaus musikalischen Elternhaus[1] in Schwaben aufgewachsen.

Leben

Nach seinem Rechtswissenschafts-Studium in Tübingen, Bonn, Freiburg/Br. und Montpellier wurde er 1961 bei Konrad Hesse in Freiburg/Br. promoviert. Seine Dissertation „Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz“ (1962) wurde in der Staatsrechtswissenschaft viel beachtet[2] und war Gegenstand sehr kontroverser Diskussionen. Sie ist 1983 in stark erweiterter, dritter Auflage erschienen. Insbesondere seine Thesen zur Grundrechtsdogmatik haben oft leidenschaftlichen Widerspruch gefunden[3]; sie werden zum Teil als zu sozialwissenschaftlich angesehen. Anderseits waren seine provokanten Thesen auch Auslöser für eine fruchtbare Diskussion. Seine grundrechtsdogmatischen Thesen vertiefte er im Rahmen seines Referates (Grundrechte im Leistungsstaat) auf der Staatsrechtslehrertagung 1971 in Regensburg. Auch hier wurde ihm vorgeworfen, die abwehrrechtliche Seite der Grundrechte zu sehr zu vernachlässigen. Das erste Numerus-Clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist offenkundig von seinem Staatsrechtslehrerreferat beeinflusst, Stichwort Möglichkeitsvorbehalt, status activus processualis etc.[4]

Nach der Habilitation 1969 in Freiburg mit der Schrift „Öffentliches Interesse als juristisches Problem“ wurde er, nach einer Lehrstuhlvertretung in Tübingen, in Marburg zum ordentlichen Professor ernannt. Die Wege führten ihn über Augsburg später nach Bayreuth. Daneben war er zwanzig Jahre lang ständiger Gastprofessor für Rechtsphilosophie in St. Gallen.

Wirken

Er widmete sein wissenschaftliches Wirken später vermehrt der als Kulturwissenschaft begriffenen vergleichenden Verfassungslehre. Dies äußerte sich auch in seiner - auch nach seiner Emeritierung bis zum heutigen Tag fortgesetzten - Herausgebertätigkeit des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts der Gegenwart (seit 1983).

Er erarbeitete sich auch im Ausland eine hohe Reputation, seine Arbeiten wurde in 18 Sprachen übersetzt. Neben einer deutschen wurde ihm zum 70. Geburtstag auch - erstmalig für einen deutschen Staatsrechtslehrer - eine internationale Festschrift dargebracht. Viel Echo fand seine Lehre von der Rechtsvergleichung als „fünfte Auslegungsmethode[5] und vom „status activus processualis“. Der Rechtswissenschaftler gilt, auch wegen seines 1982 entwickelten kulturwissenschaftlichen Ansatzes, als Pionier internationaler Zusammenarbeit[6]. So hat er beispielsweise auf der Grundlage seines wissenschaftlichen Werkes in Polen und Estland die Parlamentsberatungen bei der Entwicklung der neuen Verfassungen begleitet und im Februar 1998 auf Einladung des Verfassungsgerichts der Ukraine wissenschaftlich beratend gewirkt.

Peter Häberle steht als Schüler von Konrad Hesse auch in der Tradition der Smend-Schule, zu der er sich in seinen grundlagentheoretischen Arbeiten auch klar bekennt, gleichzeitig auch zu Hermann Heller. In jüngster Zeit wächst das Echo auf sein Paradigma von der „Offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ vor allem in Spanien und Lateinamerika. Speziell der Supreme Court in Brasilia begründet seine Aufwertung des Verfassungsprozessrechts bzw. den Amicus Curiae mit diesem Modell.[7]

Ehrungen und Auszeichnungen

1994 erhielt Peter Häberle die Ehrendoktorwürde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Aristoteles-Universität Thessaloniki, im Jahre 2000 und 2003 folgten die jeweiligen Fakultäten der Universitäten Granada und der Katholischen Universität Lima, 2005 die Universität Brasilia, 2007 die Universität Lissabon und 2009 die Universität Tiflis sowie die Universität Buenos Aires. Er ist Großoffizier der Republik Italien und wurde mit Ehrenmedaillen der Verfassungsgerichte in Rom und Lima ausgezeichnet. Seit 1998 ist er ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und seit 1996 korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. 2007 wurde er Mitglied der Nationalen Akademie für Rechts- und Sozialwissenschaften Argentinien. 1991/1992 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

1998 erhielt er das Bundesverdienstkreuz und den Max-Planck-Forschungspreis.

2007 wurde er vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Schriften (Auszug)

  • Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL Bd. 30 (1972), S. 43 ff.
  • Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: JZ 1975, S. 297 ff.
  • Kommentierte Verfassungsrechtssprechung, Athenaeum, Königsstein, 1979.
  • Kulturpolitik in der Stadt - ein Verfassungsauftrag, R.v.Decker&C.F.Müller,Heidelberg, 1979.
  • Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981.
  • Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981.
  • Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft, 1982.
  • Das Grundgesetz der Literaten, 1983.
  • Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz – Zugleich ein Beitrag zum institutionellen Verständnis der Grundrechte und zur Lehre des Gesetzesvorbehalts, 3. Aufl., Heidelberg 1983.
  • Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, 2. Aufl. 2006.
  • Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, S. 261 ff.
  • Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates - Methoden und Inhalte, Kleinstaaten und Entwicklungsländer, 1992.
  • Europäische Rechtskultur, 1994.
  • Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999.
  • Das Prinzip der Subsidiarität aus der Sicht der vergleichenden Verfassungslehre, in: AöR 119 (1994), S. 169 bis 206.
  • Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1995. Übersetzungen ins Japanische, Italienische, Spanische und zuletzt ins Portugiesische, Porto Alegre, 2008.
  • Verfassungslehre als Kulturwissenschaft", Duncker und Humblot, 2. Aufl. stark erweiterte Aufl. 1998, 1188 S.; auch teilübersetzt: ins Spanische ("Teoría de la Constitutión como ciencia de la cultura", 2000), Italienische ("Per una dottrina della costituzione come scienza della cultura", 2001) und Japanische (in: Kobe Law Journal, Vol. 50, No. 4, March 2001).
  • Verfassung als öffentlicher Prozeß, Duncker und Humblot, SöR Bd. 353, 1. Aufl., 1978, 3. Aufl., Berlin 1998.
  • Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?, 2000.
  • Kleine Schriften, hrsg. von W. Graf Vitzthum, 2002.
  • L´Etat Constitutionnel, Paris 2004.
  • El Estado constitucional, Buenos Aires 2007.
  • Nueve Ensayos Constitucionales y una Lección Jubilar, Lima 2004.
  • Conversaciones Académicas con Peter Häberle, Comp. D. Valadés, Mexiko-Stadt 2006 (Übers. ins Portugiesische, Brasila 2008).
  • Europäische Verfassungslehre, Baden-Baden, Nomos, 2008, 5., aktualisierte und erw. Aufl.
  • Das Menschenbild im Verfassungsstaat, Berlin, Duncker und Humblot, 2008, 4., erw. Aufl.
  • Der Sonntag als Verfassungsprinzip, 2., erw. Auflage 2006.
  • Estado Constitucional Cooperativo, São Paulo 2007.
  • Nationalhymnen als kulturelles Identitätselement des Verfassungsstaates, Berlin, Duncker und Humblot, 2008.
  • Nationalflaggen: bürgerdemokratische Identitätselemente und internationale Erkennungssymbole, Berlin, Duncker und Humblot, 2008.
  • Constitução e cultura, O Direito ao Feriado...,Lumen Juris, Rio de Janeriro, 2008.

Literatur

  • Martin Morlok: Peter Häberle zum 70. Geburtstag, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Band 129 (Jahrgang 2004), S. 327 ff.
  • Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz u.a.: Verfassung im Diskurs der Welt, Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2004
  • Francisco Balaguer Callejón (Hrsg.): Derecho Constitucional y Cultura, Estudios en Homenaje a Peter Häberle (int. Festschrift), Madrid 2004.
  • F.F. Segado: Presentación, in P. Häberle: La Garantía del contenido esencial..., Dykinson, Madrid 2003, S. XIII - LXI.
  • A.A. Cervati:Il diritto costituzionale tra methodo comparativo..., in P.Häberle: Lo Stato costituzionale, Enciclopedia Italiana Treccani, Rom 2005, S. 295 - 322.
  • B. Ehrenzeller u.a. (Hrsg.):Präjudiz und Sprache, Erstes Kolloquium der Peter Häberle-Stiftung an der Universität St. Gallen, Dike, Zürich/St. Gallen 2008.

Nachweise

  1. Flyer zu dem Buch:"Nationalhymnen als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates", Duncker & Humblot - Berlin.
  2. Alexander, Blankennagel; Ingolf, Pernice; Helmuth, Schulze-Fielitz: "Verfassung imm Diskurs der Welt", Tübingen 2004, Vorwort; Francisco, Balaguer Callejón: "Derecho constitucional y cultura", Madrid 2004, S. 17 - 20; In drei Auflagen erschienen und überdies drei Mal übersetzt in Italien, Spanien und Peru, was den herausragenden Stellenwert dieser Dissertation untermauert.
  3. Peter Häberle: "Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz", 3. Aufl., Heidelberg 1983; mit Rezensionsnachweisen auf der Rückseite des Deckblatts sowie auf S. VI - XI.
  4. E. Friesenhahn, Juristentagsrede, 1972 in Düsseldorf; L. Michael/M. Morlok, Grundrechte, Nomos 2008, S. 32, 39, 402.
  5. Peter Häberle: Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat – Zugleich zur Rechtsvergleichung als „fünfter“ Auslegungsmethode, Juristenzeitung (JZ) 1989, S. 913 ff.; bestätigt bei dems.: Wechselwirkungen zwischen deutschen und ausländischen Verfassungen, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.): Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I: Entwicklungen und Grundlagen, Heidelberg 2003, § 7 Rn. 26.
  6. Würdigung durch K.Hesse in Martin Morlok (Hrsg.): "Die Welt des Verfassungsstaates", Baden-Baden 2001, S.11; T. Fleiner in derselb. (Hrsg): Die multikulturelle und multi-ethnische Gesellschaft, Fribourg, 1995, S. IX - XII; D. Valadés, in P. Häberle: El Estado constitucional Depalma, Buenos Aires, Jahr 2007, S. 1 - 79.
  7. Nachweise bei G. Mendes, in: Conversas academicas com P. Häberle, Brasilia 2009, S. XI ff.; ders., in: Valor EU&, Nr. 424/2008, S. 14 f.

Weblinks


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