Piktorialismus

Piktorialismus
Clarence H. White (1871-1925): Regentropfen (1903)
Hugo Henneberg (1863–1918): Motiv aus Pommern, 1895-96, gedruckt 1902
Hans Watzek (1848–1903): Schafe, 1901
Kazuma Ogawa alias Ogawa Isshin (1860-1928): Samurai in historischer Rüstung, ca. 1880

Der Pictorialismus ist eine Stilrichtung, die beweisen wollte, dass die Fotografie ein vollwertiges künstlerisches Ausdrucksmittel sei. Stilistisch ist der Pictorialismus charakterisiert durch Verschwommenheit, sorgfältige Wahl des Ausschnitts, fließende Übergänge, Vorliebe für Nacht- und Nebelszenen, 'künstlerische' Sujets (Landschaften, Porträts, Akte), Bearbeitung der Abzüge oder Negative um malerische Effekte zu erreichen. Seine Blütezeit ist Ende des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, doch findet man Pictorialisten bis in die 1950er Jahre.

Die Diskussion, ob die Fotografie eine Kunst sei oder jemals eine werden könne, beschäftigte die Kunsttheoretiker seit der Erfindung Daguerres. Während sich das neue Medium für Porträts und Reportagen rasch durchsetzte, blieb die künstlerische Anwendung selten. Das Hauptargument dafür, die Fotografie könne keine Kunst sein, war, bei diesem mechanischen Prozess bleibe dem Fotografen nichts weiter zu tun als abzudrücken; die Fotografie sei eine simple Kopie der Natur, während wahre Kunst eine Verarbeitung sein müsse.

Die theoretische Grundlage des Pictorialismus ist Pictorial Effect in Photography von Henry Peach Robinson, erschienen 1869, und das Werk von Peter Henry Emerson, Naturalistic Photography for Students of the Arts (1889). Die Hauptthese des zweiten Buches ist, Kunst sei die Wiedergabe der optischen Eindrücke, die unser Bewusstsein empfängt. Dies kann die Fotografie ebenso gut wie die Malerei. Um die Sinneseindrücke nachzuahmen, müsse das Bild jedoch ein Element scharf zeigen, Vorder- und Hintergrund jedoch leicht verschwommen. Für diese Theorie stützte sich Emerson auf physiologische Erkenntnisse, vor allem auf die Arbeiten von Hermann von Helmholtz. Kurz nach der Veröffentlichung seines Werkes, das beträchtliches Echo auslöste, widerrief Emerson jedoch seine Thesen und behauptete nun, die Fotografie könne nie Kunst werden. Dieser Widerruf wurde jedoch kaum zur Kenntnis genommen; die meisten Pictorialisten beriefen sich auf Emerson, obwohl sie oft wenig mehr von ihm kannten als den Begriff der 'künstlerischen Unschärfe'.

Gruppen von Fotografen schlossen sich zusammen mit dem erklärten Ziel, der künstlerischen Fotografie zum Durchbruch zu verhelfen. ('pictorialistic' wurde im Sinn von 'künstlerisch' verwendet.) Die Hauptzentren befanden sich in London (Linked Ring) und New York (Photo-Secession), doch entstanden Clubs in der ganzen Welt; der Pictorialismus gilt als erste weltumspannende Fotografiebewegung. Die Clubs waren oft Abspaltungen der bestehenden Fotografiegesellschaften, die den Pictorialisten zu sehr mit technischen und kommerziellen Fragen beschäftigt waren. Viele der pictorialistischen Vereinigungen gaben Zeitschriften heraus, die zur weltweiten Vernetzung der Fotografen beitrugen.

Merkmale der pictorialistischen Fotografien sind die Nachahmung der Malerei (vor allem des Impressionismus). Um dem Vorwurf der simplen Dokumentation zu entgehen, sind die Fotografien verschwommen und stimmungsvoll. Alle Spuren der Industrialisierung werden vermieden, mit Vorliebe zeigen die Pictorialisten Landschaften, idyllische Szenen, Porträts und Akte. Es wird oft eine arbeitsaufwändige Technik verwendet, viele Abzüge sind Unikate, um sich von der Massenfotografie abzugrenzen. Der pictorialistische Fotograf, der den ganzen Ablauf der Bildherstellung kontrolliert, greift oft auf Retusche und andere direkte Eingriffe in den Abzug zurück. Für manche ist das Negativ nur die Skizze, die erst im Ablauf von Entwicklung und Abzug zur Kunst wird. Man bedient sich bei der Ausarbeitung zumeist sehr aufwändiger Edeldruckverfahren, was die künstlerische Wirkung zusätzlich untermauert.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Pictorialismus oft hart kritisiert als bloße Imitation der Malerei, der die eigentlichen Eigenschaften der Fotografie verleugnet habe. Es ist jedoch der Pictorialismus, der die Fotografie als Kunst etablierte und diese späteren Kritiken so erst ermöglichte.


Pictoralismus in der Neuzeit

Die Kunsttheorie geht davon aus, dass sich Spuren oder Einflüsse einer Stilrichtung zyklisch wiederholen, ohne die grundlegenden Elemente zu kopieren. So erleben in der Neuzeit Einflüsse des Pictorialismus in der Stilrichtung des Reflektionismus eine Wiederbelebung, wobei die Stilelemente der ursprünglich konkurrierenden Neue Sachlichkeit (Fotografie) hineinfließen.

Wichtige Vertreter

Literatur

  • Franz-Xaver Schlegel: Pictorialism. In: Encyclopedia of Twentieth-Century Photography. New York 2006, Band 3, S. 1262-1266.
  • Franz-Xaver Schlegel: Das Leben der toten Dinge - Studien zur modernen Sachfotografie in den USA 1914-1935. 2 Bände, Art in Life, Stuttgart 1999, ISBN 300-004-407-8.

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