- Politiktransfer
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Politiktransfer bezeichnet den Prozess, bei welchem politische Ideen und Konzepte von einem Ort oder Zeitpunkt zu einem anderen Ort oder Zeitpunkt transferiert werden.
Inhaltsverzeichnis
Grundsätzliches
Politiktransfer kann beschrieben werden, indem entlang des gesamten Prozesses folgende Fragestellungen beantwortet werden:
- Wer transferierte von wem politische Ideen und Konzepte?
- Woher werden politische Ideen transferiert?
- Welche Mechanismen und Gründe gibt es für Politiktransfer?
- Welche konkreten Inhalte werden transferiert?
- In welchen Abstufungen und Schattierungen findet Politiktransfer statt?
- Welche Hindernisse und Restriktionen sind regelmäßig zu beobachten?
Alle diese Fragen, welche keineswegs einen abschließenden Katalog bilden, sollen nachfolgend dargestellt werden. Daraus ergibt sich eine kohärente Übersicht zum Thema Politiktransfer.
NB: Dieser Artikel verwendet aus Gründen der Einfachheit und Übersichtlichkeit die weibliche Form. Die Formulierung ist jedoch geschlechtsneutral zu verstehen.
Akteure im Politiktransfer
Grundsätzlich können sämtliche Personen und Institutionen eines politischen Systems Politiktransfer betreiben, wobei jedoch die Bedeutung der einzelnen Akteure durchaus variieren kann. Zu nennen sind somit: Die Regierung, einzelne Regierungsmitglieder, Verwaltungsbeamte (meist höheren Ranges), Parlamente und Parlamentsabgeordnete, Gerichte, politische Parteien und Interessenverbände, Medien. Außerhalb des politischen Systems können internationale Organisationen (UNO, Weltbank, OECD, WTO, WHO, usf. Denkfabriken, Wissenschaftler und Berater eine Rolle spielen. Einzelne Bürger mögen sich ebenfalls engagieren. Dann allerdings muss aus realistischer Sicht gesagt werden, dass sich nicht der einzelne Bürger, sondern der Bürger vermittels einer Partei, den Medien oder einem Interessenverband Gehör verschafft.
Alle diese Institutionen sind sowohl als Sender wie auch als Empfänger von Politik denkbar. So kann es durchaus vorkommen, dass bestimmte Aspekte des Programms einer politischen Partei durch eine Partei eines anderen Landes übernommen wird. Oder aber die Medien übernehmen eine Idee, welche jüngst in einem Parlament im Ausland diskutiert wurde. So können freilich weitere Kombinationen gebildet und empirisch überprüft werden.
Ursprünge – Woher kommt die Politik?
Politische Ideen oder Konzepte können von einem Ort und/oder Zeitpunkt zu einem anderen Ort und/oder Zeitpunkt transferiert werden. Bezüglich der Örtlichkeit kommen andere Staaten, subnationale Einheiten (z. B. Bundesländer, Kantone, Gemeinden) oder aber supranationale Einrichtungen wie die Europäische Union resp. die Europäische Kommission in Frage. Bezüglich der Zeit muss insbesondere die eigene Geschichte einer politischen Einheit oder die Geschichte anderer politischer Einheiten genannt werden. So z. B. ist es gängig, aus Fehlschlägen der Vergangenheit Implikationen für die Zukunft zu entwickeln. Oder man beobachtet, dass bestimmte Politiken in einem anderen Land nicht funktioniert haben. Dies könnte beispielsweise für Fälle gescheiterter Privatisierungen oder wirtschaftspolitischer Maßnahmen gelten.
Gründe und Mechanismen des Politiktransfers
Ein hauptsächlicher Grund für den Transfer liegt in der Unzufriedenheit mit dem Status Quo. Sobald politische Prozesse nicht erfolgreich sind, werden Alternativen gesucht. Die Ideen kommen dann meist aus dem Ausland oder der eigenen Vergangenheit, allenfalls auch durch eigene Innovationen. Zweitens ist auch die Politik stets bestrebt, die beste Möglichkeit zu realisieren, um so möglichst erfolgreich zu sein. Ein damit verwandter Mechanismus ist der regulatorische oder Systemwettbewerb, wodurch politische Einheiten gezwungen werden, möglichst effiziente/effektive Politikinstrumente zu besitzen. Alle diese Gründe und Mechanismen basieren jedoch auf Freiwilligkeit. Es gibt auch andere. Normative Gründe können darin gesehen werden, dass bestimmte politische Programme aus übergeordneten Gründen verfolgt werden müssen, beispielsweise, wenn andere Staaten politischen Druck ausüben. Davon zu differenzieren, ist der zwangsweise Politiktransfer. Dieser findet z. B. in der Europäischen Union statt, wenn auf supranationaler Ebene eine bestimmte politische Vorgabe an die Mitgliedstaaten beschlossen wird. Analoges gilt für das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
Eine spezielle Form, welche Berührungspunkte mit den oben genannten hat, ist ein auf Anreize basierender Politiktransfer. Z. B. verleiht die Weltbank nur dann Kredite, wenn das Empfängerland eine bestimmte politische Maßnahme trifft. Zwar ist das betreffende Land „frei“ zu entscheiden, ob es die Reform durchführen will, riskiert aber den Verlust von Entwicklungskrediten. Deshalb kommen normative oder sogar zwangsweise Elemente hinzu.
Inhalte
Die folgende Aufzählung ist nicht abschließend: Politische Programme, Instrumente, Gesetze, Neuerungen in der öffentlichen Verwaltung, usf. Prinzipiell kann jede Idee, jedes Konzept, das im politischen Prozess eingesetzt wird, Gegenstand des Politiktransfers sein.
Abstufungen und Schattierungen
Freilich gibt es verschiedene Grade, zu welchen Politik in einem anderen Land übernommen werden kann. Es kann zwar vorkommen, dass eine schier perfekte Kopie eingeführt wird, dürfte jedoch eher eine Ausnahme sein. Selbst die Europäische Union lässt im Rahmen ihrer Richtlinien Raum für bestimmte Anpassungen durch die Mitgliedstaaten. Wahrscheinlicher ist es, dass Praktiken in anderen Systemen mit eigenen Ideen zusammengeführt oder als Inspirationsquelle verwendet werden.
Hindernisse und Restriktionen
Schließlich ist es möglich, dass ein Politiktransfer an äußeren Restriktionen scheitert. Diese können in der finanziellen oder administrativen Kapazität liegen. Dies dann z. B., wenn Politik von einem hoch entwickelten zu einem weniger entwickelten Land transferiert wird. Darin liegt wohl ein Hauptproblem in der Arbeit internationaler Organisationen; sie müssen Konzepte stets auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer anpassen. Beispielsweise ist es wenig sinnvoll, hochmoderne IT-Infrastrukturen einzuführen, wenn weder die personellen noch die finanziellen Mittel vorhanden sind, um diese Infrastruktur langfristig produktiv betreiben zu können. Ein zweites Hindernis ergibt sich aus dem politischen Willen der Entscheidungsträger. Sie können relativ viel verlieren, namentlich ihr Mandat, wenn sie Konzepte einführen, die später nicht erfolgreich sind. Verhalten sie sich risikoavers, so können sie Transferprozesse blockieren. Auch ein Regierungswechsel kann einmal angegangene Prozesse zurückbinden. Ein überaus wichtiger Grund liegt – gerade im internationalen Kontext – in der nationalen Kultur oder der Organisationskultur (z. B. der öffentlichen Verwaltung). Denn sie sorgt dafür, dass dieselben Konzepte in zwei verschiedenen Ländern entweder unterschiedlich gehandhabt werden oder in einem Land schlicht nicht praktikabel sind, weil sie z. B. nicht mit der herrschenden Kultur vereinbar sind. Sinnbildlich könnten hier die (letztlich nicht gelungenen) Privatisierungs- und Dezentralisierungsversuche in Großbritannien genannt werden, wenn auch andere als kulturelle Gründe mit eine Rolle gespielt haben.
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