Denkfabrik

Denkfabrik

Eine Denkfabrik (nach engl. think tank) ist ein nicht gewinnorientiertes Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, (ehemaligen) Politikern und/ oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale und wirtschaftliche Konzepte oder Strategien entwickeln und entsprechende öffentliche Debatten fördern, also wissenschaftliche Politikberatung betreiben. In der Bundesrepublik Deutschland werden Denkfabriken überwiegend öffentlich finanziert, etwa durch die Leibniz-Gemeinschaft; daneben gibt es auch einige privat finanzierte Denkfabriken, die von Unternehmen, Verbänden, privaten Stiftungen oder Einzelpersonen unterstützt werden.

Zu den wichtigsten Funktionen von Denkfabriken zählen die Forschung, das Agenda Setting, die Beratung von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit, die Forcierung einer öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte und (zumindest in den USA) die Ausbildung eines Pools von Experten, die später als Regierungsbeamte Teil der Verwaltung werden (siehe auch Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft).

Man kann verschiedene Typen von Think Tanks unterscheiden[1]:

  • „Universitäten ohne Studenten“ bzw. akademische Think Tanks: Sie arbeiten sehr wissenschaftlich und veröffentlichen viel (Bücher, Artikel, Beiträge auf ihrer Homepage). Sie haben einen langfristigen Zeithorizont, um das Elitenmeinungsklima zu beeinflussen. „Stammvater“ dieser Art ist die Brookings Institution in den USA.
  • Advokatische Think Tanks: Sie propagieren ihre Ideen, mitunter geradezu missionarisch. Sie forschen selten selbst; meist geben sie schon existierenden Ideen einen Spin. Vorbild dieses Typus ist die US-amerikanische Heritage Foundation. Sie führte die Idee der Policy Briefs ein, die so kurz und prägnant sind, dass sie z. B. auf dem Weg vom Flughafen in den Kongress durchgelesen werden können. Sie setzen v.a. auf kurzfristige Entscheidungshorizonte und nutzen intensiv die Medien. Das Team besteht meist aus wenigen Wissenschaftlern und vorwiegend aus PR-Leuten, die die Ideen „verkaufen“. Sie werden von Interessengruppen ins Leben gerufen und haben eine klare gesellschafts- und wirtschaftspolitische Ausrichtung. Die Neutralität der Ergebnisse ihrer Arbeit wird deshalb oft angezweifelt, was sie in die Nähe von Junk Science rückt. Gerade Denkfabriken diesen Typs betreiben oft Öffentlichkeitsarbeit, um für ihre Ziele zu werben. Ihnen wird oft vorgeworfen, hinter den Kulissen Einfluss auszuüben (Lobbyismus).
  • Auftragsforschung: Sie sind vor allem auf Studien im Regierungsauftrag fokussiert, Urform ist die RAND Corporation. Sie stehen oft unter Druck der Auftraggeber, die allerdings mitunter auch kritische Stimmen schätzen.
  • Parteinahe Stiftungen: Ein deutscher Sonderfall. Nach Schätzungen investieren sie 15–20 Prozent ihres Budgets in Think-Tank-Aktivitäten.

Der Erfolg der Arbeit von Think Tanks ist schwer quantifizierbar. Erfolgversprechend scheint aber vor allem das „Denken auf Vorrat“ zu sein, also Konzepte auszuarbeiten, noch bevor Probleme ins Bewusstsein der politischen Sphäre dringen. Denn wenn ein Problem auftaucht, hält die Denkfabrik dann optimalerweise schon einen Lösungsvorschlag bereit.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Zu den ältesten Denkfabriken gehört die bereits 1916 gegründete Brookings Institution in Washington. Die liberale Mont Pelerin Society wurde 1947 gegründet und die Rand Corporation 1948.

Bis dahin wurden Denkfabriken auch nicht als solche bezeichnet, die wenigen Dutzend Institute waren schlicht unter ihrem Namen bekannt. Erst während des Zweiten Weltkriegs bildeten sich Gruppenbezeichnungen heraus, zuerst als Brain Box („Gehirnkiste“). Die Bezeichnung Think Tank ist erst seit 1945 für Vorläufer der Rand Corporation belegt.

Bis in die 1970er blieb es bei den wenigen Dutzend bekannter Denkfabriken, die für allgemeine und unabhängige Beratung von politischen und militärischen Stellen in den USA herangezogen wurden. Dazu standen ihnen meist viel Personal und Geld zur Verfügung. Erst danach explodierte die Anzahl der Denkfabriken, und es bildeten sich viele kleinere Institutionen heraus, die häufiger zur Unterstützung zielgerichteter Lobbyarbeit gegründet wurden.

Von den circa 6.300[2] Denkfabriken, die heute auf der Welt existieren, sind die Hälfte nach 1980 gegründet worden. Nach 1989 wurden vermehrt, meist mit amerikanischer finanzieller Unterstützung, (wirtschafts-)liberale Denkfabriken in Osteuropa gegründet. Im westlichen Europa wurden die beratenden Funktionen der Denkfabriken lange von Institutionen mit Hochschulstatus übernommen.

Funktion

Niklas Luhmann sieht in Organisationen, die Denkfabriken entsprechen, eine Antwort auf die – seiner Meinung nach – fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für eine Kopplung von Macht und Geld: „Man finanziert nicht Wahrheiten, sondern Organisationen, die sich um die Feststellung und Erforschung von Wahrheiten bzw. Unwahrheiten mehr oder minder erfolgreich bemühen. Mutatis mutandis ergibt sich eine ähnliche Situation bei der Konversion von Eigentum und Geld in Macht.“[3]

Siehe auch

Literatur

  • Abelson, Donald E. (2002): Do Think Tanks Matter? Assessing the Impact of Public Policy Institutes, Montreal.
  • Braml, Josef (2004): Think Tanks versus “Denkfabriken”? U.S. and German Policy Research Institutes´ Coping with and Influencing Their Environments. Strategien, Management und Organisation politikorientierter Forschungsinstitute, Baden-Baden.
  • Borchard, Michael (2004): Politische Stiftungen und Politische Beratung. Erfolgreiche Mitspieler oder Teilnehmer außer Konkurrenz?, in: Dagger, Steffen u. a. (Hg.): Politikberatung in Deutschland. Praxis und Perspektiven, Wiesbaden.
  • Brandstetter, Thomas / Pias, Claus / Vehlken, Sebastian (Hg., 2010): Think Tanks. Die Beratung der Gesellschaft, Zürich.
  • Wessels, Wolfgang/ Schäfer, Verena (2007): Think Tanks in Brüssel: „sanfte“ Mitspieler im EU-System? - Möglichkeiten und Grenzen der akademisch geleiteten Politikberatung, in: Dagger, Steffen / Kambeck, Michael (Hg.): Politikberatung und Lobbying in Brüssel, Wiesbaden, S. 197-211.
  • Florian, Daniel (2004): Benchmarking Think Tanks. Wandlungsstrategien akademischer Think Tanks, Bachelorarbeit, Bochum.
  • Florian, Daniel (2010): Think Tank Directory Deutschland, in: Ders.: [1].
  • Gehlen, Martin (2005): Politikberatung in den USA. Der Einfluss von Think-Tanks auf die amerikanische Sozialpolitik, Frankfurt am Main.
  • Gellner, Winand (1995): Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit. Think Tanks in den USA und in Deutschland, Opladen.
  • McGann, James G. (2010): The Think Tanks and Civil Societies Programm 2009. The Global "Go-To Think Tanks". The Leading Public Policy Research Organizations in the World, Philadelphia, [2].
  • McGann, James G./ Weaver, R. Kent (Eds., 2000): Think Tanks & Civil Societies. Catalysts for Ideas and Action, New Brunswick/ New Jersey.
  • Reinicke, Wolfgang H. (1996): Lotsendienste für die Politik. Think Tanks – amerikanische Erfahrungen und Perspektiven für Deutschland, Gütersloh.
  • Stone, Diane (2005): Think Tanks and Policy Advice in Countries in Transition, Hanoi.
  • Thunert, Martin (1999): Think Tanks als Ressourcen der Politikberatung. Bundesdeutsche Rahmenbedingungen und Perspektiven, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 12, H. 3, September 1999, S. 10-19.
  • Thunert, Martin (2003): Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B51/2003, S. 30-38, [3].
  • Thunert, Martin (2008): Think Tanks in Germany: Their Resources, Strategies and Potential, in: Zeitschrift für Politikberatung, Vol. 1, No. 1, März 2008, Pg. 32-52.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eine entsprechende Grundunterscheidung zwischen akademisch und advokatisch findet sich z.B. bei der Forschung von Dieter Plehwe; Martin Thunert: Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B51/2003 und Clemens Kuhne: Politikberatung für Parteien: Akteure, Formen, Bedarfsfaktoren, VS Verlag 2008
  2. The Leading Public Policy Research Organizations In The World, University of Pennsylvania, Januar 2010
  3. Niklas Luhmann, Macht (Kapitel 9, Organisierte Macht), 1975

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