Produktionsleitsystem

Produktionsleitsystem
MES in der Automatisierungspyramide

Als Manufacturing Execution System (MES) wird ein prozessnah operierendes Fertigungsmanagementsystem bezeichnet. Oft wird der deutsche Begriff Produktionsleitsystem synonym verwendet. Es zeichnet sich gegenüber ähnlich wirksamen Systemen zur Produktionsplanung, dem sog. ERP (Enterprise Resource Planning), durch die direkte Anbindung an die Automatisierung aus und ermöglicht die Kontrolle der Produktion in Echtzeit. Dazu gehören klassische Datenerfassungen und Aufbereitungen wie Betriebsdatenerfassung (BDE), Maschinendatenerfassung (MDE) und Personaldatenerfassung, aber auch alle anderen Prozesse, die eine zeitnahe Auswirkung auf den Fertigungs-/Produktionsprozess haben.

Der Begriff MES bezieht sich in der Regel auf ein Gesamtsystem, das den Bereich zwischen dem ERP der Unternehmensleitebene und dem eigentlichen Fertigungs- bzw. Produktionsprozess in der Fertigungs- bzw. Automatisierungsebene abdeckt.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Der Begriff Produktionssteuerung steht für die umfassende Beschreibung dieser Aufgabe. MES bilden demgegenüber im allgemeinen branchenspezifische Schwerpunkte der konkreten Produktionsaufgabe auf ein EDV-System ab. Dabei lassen sich einige Gemeinsamkeiten aus den verschiedenen Branchenlösungen extrahieren, die ein grundlegendes MES den Anwendern im Betrieb bieten muss:

  • einen Fertigungsablaufplan für jedes Produkt
  • ein Fertigungsplanungssystem
  • Produktionsleitstände in der Fertigung

Darüber hinaus bieten MES oft noch folgende Möglichkeiten:

  • Verwaltung von Produktionsmitteln (Zuordnung zu Produkten, Sicherstellen geplanter Wartungsarbeiten)
  • Erfassung von Produktions- und Produktdaten zur statistischen Auswertung
  • Schnittstellen zur Materialwirtschaft, zur Konstruktion und zur kaufmännischen Auftragsabwicklung

Andere verwendete Begriffe

Der Begriff Produktionsleitsystem wird im deutschen Sprachgebrauch sehr branchenspezifisch verwendet. Grundsätzlich kann man zwischen Fertigungsleittechnik (Stückgutproduktion) und der Verfahrensleittechnik (prozesstechnische Produktion) unterscheiden. Je nach Sichtweise werden auch andere Bezeichnungen bevorzugt. So sprechen Informatiker, speziell Wirtschaftsinformatiker in diesem Zusammenhang auch von CIM. Diesem Begriff haftet jedoch in der industriellen Praxis noch ein etwas zweifelhafter Ruf an, da in diesem Zusammenhang in den 80er und 90er Jahren zu viele unhaltbare Versprechungen gemacht wurden.

Alternativ zum Begriff MES existiert auch der Ausdruck CPM (Collaborative Production Management), welches auf eine "kollaborative" Zusammenarbeit der Produktion mit den produktionsperipheren Bereiche, wie z.B. Einkauf, Beschaffung und Controlling, hindeutet.

In einigen Branchen z.B. in den Tagebauen von RWE-Power wird in diesem Kontext auch von Betriebsführungssystemen gesprochen. Systeme zur Führung der Instandhaltung von Produktionsanlagen sind darin subsumiert.

In den letzten Jahren hat sich der Begriff MES gegenüber den anderen Begriffen zunehmend auch in deutschen Texten durchgesetzt.

Aufgaben

Das MES soll im Wesentlichen dazu beitragen die Konkurrenzfähigkeit des Betriebes durch Optimierung der gesamten technischen Auftragsabwicklung zu erhöhen. Oft werden dazu folgende Größen explizit erfasst bzw. ausgewertet:

  • Durchlaufzeit
  • Maschinenauslastung
  • Maschinenverfügbarkeit
  • Produktausbeute

Integration

MES liegen in einer Softwarearchitektur typischerweise unterhalb der ERP Ebene. Dies bedeutet, dass häufig auf der ERP Ebene die Planung für die Produktion erstellt wird und dann an die MES Ebene der Produktionsplan übergeben wird. Die MES Ebene meldet hingegen an die ERP Ebene den Abarbeitungsstatus der einzelnen Aufträge weiter, so dass diese dort für die logistische Steuerung wie bspw. die Planung der nächsten Perioden verwendet werden kann.

Grund für die Trennung zwischen ERP und MES sind die technisch und betriebswirtschaftlich verschiedenen Anforderungen. Während ein ERP das gesamte Unternehmen im Fokus hat und dort über Werke und Linien hinweg eine logistische Optimierung auf aggregiertem Niveau ermöglichen soll, die zumeist keine Onlineaktualität erfordert, verwaltet ein MES meist nur eine Produktionslinie und muss dort neben den erforderlichen logistischen Steuerdaten auch beispielsweise technische Parameter online verwalten, die für ein ERP nicht von Interesse sind. MES sind in diesem Sinne der ausführende Arm von ERP.

Realisierungen

Als Produkt erscheint MES sowohl als Gesamtpaket als auch in einzelnen Komponenten, in Form von Software, ggf. ergänzt um Hardware zur Datenerfassung und Steuerung. Wie schon bei der Automatisierung stellt sich auch hier das Problem der Verbindung der einzelnen Komponenten zu einem effektiven Ganzen. Größere Anbieter liefern "alles aus einer Hand", während die kleineren Anbieter sich auf einzelne Bereiche des MES (z. B. Qualitätssicherung) spezialisieren.

Für gewöhnlich sind die großen ERP-Anbieter im Bereich der Fertigungssteuerung sehr starr konzipiert. So sind zum Beispiel die Module der Feinplanung sowie der Maschinendatenerfassung (MDE) nicht im vergleichbaren Funktionsumfang ausgeprägt wie bei Konkurrenzprodukten. Aus diesem Grund werden zumeist MES-Systeme als zusätzliche Komponenten zwischen den ERP-Modulen implementiert. Der Datenaustausch der Systeme erfolgt dabei zumeist über RFC-Schnittstellen in Echtzeit, kann aber auch asynchron über ASCII-Dateien ausgetauscht werden. Zukünftig werden vermutlich Web-Dienste bei der Kommunikation MES<>ERP eine vorherrschende Rolle einnehmen.

MES Systeme finden ihren Platz vor allem bei der Varianten- und Kundenauftragsfertigung. Hier kann die zeitnahe automatische Fertigungssteuerung mit Hilfe eines MES-Systems aufgrund der Komplexität der Variantenfertigung ihre ganze Stärke entfalten.

Werden die Feinplanungmodule mit zusätzlichen Ressourceninformationen wie z. B.: Mitarbeitermatrizen, also die Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter innerhalb einer Schicht so wie deren Ausbildung, hinterlegt, so können tagesaktuelle Fertigungsplanungen erzeugt werden, die die tatsächliche Mitarbeiterkapazität sowie deren Fähigkeiten berücksichtigen.

Standardisierung

Der Begriff MES wird in Deutschland durch die VDI-Richtlinie 5600 und das NAMUR-Arbeitsblatt NA 94 transparent gehalten.

Die Standardisierungsorganisation der Automatisierungsbranche ISA hat zum Thema MES mehrere Standards veröffentlicht. Hier sei auf ISA S95 für die Integration von MES in die Anwendungsarchitektur eines Unternehmens und auf ISA S88 für die Modellierung von Prozessen (Statuskonzept etc.) eines MES verwiesen. Die ISA arbeitet dabei mit Branchengremien wie beispielsweise der MESA zusammen.

Grundlegende Arbeiten zur Standardisierung in diesem Bereich leistet die ISA[1] im Projekt SP95. Die entsprechenden Spezifikationen werden von der JWG5, einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von IEC/SC65E und ISO/TC184/SC5 [2], in die Standardserie ISO/IEC 62264 überführt. Die Teile 1 bis 3 sind bereits publiziert, an den Teilen 4 und 5 wird zurzeit gearbeitet.

In der ISO befasst sich das TC184 [3], Industrielle Automation und Integration, mit diesem Thema, wobei zurzeit gerade erst die gezielte Einordnung verschiedener Aktivitäten in die Modelle der ISO/IEC 62264 begonnen hat.

Das SC4 des TC184 befasst sich mit der Standardisierung von Datenstrukturen und Inhalten zur Produktmodellierung. Es ist eines der größten Gremien in der ISO und durch die umfangreiche Normenreihe ISO 10303, STEP, Standard for Exchange of Product Model Data, bekannt geworden.

Das SC5 des TC184 befasst sich mit der Architektur, der Kommunikation und Rahmenfestlegungen zur Integration in der industriellen Automation. Hier sind zurzeit folgende Arbeitsgruppen aktiv:

  • WG1: Modellierung von Unternehmen, z. B. ISO 15704 und ISO 19440
  • WG4: Beschreibung von Software-Eigenschaften (für Interoperabilität und Katalogisierung), ISO 16100
  • WG5: Rahmenwerk für Profile zur Integration, ISO 15745
  • WG6: Dienstschnittstellen zur Geräteintegration (siehe auch ASAM e.V.), ISO 20242
  • WG7: Diagnose und Wartung, konkreter Bezug zu ISO/IEC 62264
  • JWG8: Gemeinsame WG von SC4 und SC5, Datenstrukturen und Inhalte von Fertigungsprozessen, ISO 15531
  • JWG5: Gemeinsame WG von SC5 und IEC/SC65E, Überführung der ISA S95 in die ISO/IEC 62264


In Deutschland wird das Thema im DIN NA 060-30-05, Normenausschuss Maschinenbau NAM[4], Fachbereich Industrielle Automation, Gremium Architektur und Kommunikation, dem deutschen Spiegel zu TC184/SC5, behandelt. Hier bemüht man sich um technische Kriterien zur Abgrenzung von MES gegen andere Applikationen. Dabei werden die oben zitierten internationalen Standards, soweit geeignet, als Basis betrachtet.

Die Übersetzung und Pflege der IEC 62264 wird in Deutschland von der DKE[5] im Fachbereich Leittechnik, Sachgebiet Systemaspekte, K 931, übernommen. Diese Arbeiten werden vom o. g. DIN-Gremium verwendet.

Verbandsaktivitäten

International befassen sich die Verbände MESA[6] und MIMOSA[7] mit dem Thema MES.

In Deutschland sind der VDI[8], der ZVEI[9], der VDMA[10] und die NAMUR[11] zum Thema MES aktiv, wobei der VDMA massiv die Arbeiten des DIN NA 060-30-05 (siehe Standardisierung) unterstützt.

Der Fachausschuss MES des VDI bemüht sich intensiv um die Schaffung einheitlicher Definitionen und der Bewahrung des Begriffs MES vor einer marketinggetriebenen "Erosion". Hierbei sollen insbesondere auch Anforderungen der MES-Anwender berücksichtigt und systematisch ausgewertet werden. Dazu wurde die Richtlinie VDI 5600 erarbeitet, die die Aufgaben und den Nutzen von MES in einer 'anwendungsnahen' Form beschreibt. Die Richtlinie VDI 5600 wendet sich in erster Linie an potenzielle Anwender in produzierenden Unternehmen, also z. B. Fertigungsleiter oder Arbeitsvorbereiter und beschreibt acht typische MES-Aufgaben:

  • Aufgabe 1: Feinplanung und Feinsteuerung
  • Aufgabe 2: Betriebsmittelmanagement
  • Aufgabe 3: Materialmanagement
  • Aufgabe 4: Personalmanagement
  • Aufgabe 5: Datenerfassung
  • Aufgabe 6: Leistungsanalyse
  • Aufgabe 7: Qualitätsmanagement
  • Aufgabe 8: Informationsmanagement

Der Schwerpunkt der Richtlinie liegt auf der Darstellung des Nutzens, die der MES-Anwender erwarten kann. Darüber hinaus zeigt die Richtlinie des VDI-Kompetenzfeldes Informationstechnik, welche Produktionsprozesse und Teilprozesse durch MES unterstützt werden. Sie ermöglicht einen fundierten Überblick über die Wirkweise und die Potenziale von MES, ohne die Einarbeitung in informationstechnische Details solcher Systeme. Sie kann als neutrale Beschreibung des möglichen „Leistungsumfangs“ und als Basis zur Erstellung von Lasten-/Pflichtenheften für MES dienen. Die Richtlinie kann über den Beuth-Verlag[12] bezogen werden.

Quellen

  1. ISA
  2. TC 184/SC5
  3. TC 184
  4. NAM
  5. DKE
  6. MESA
  7. MIMOSA
  8. VDI
  9. ZVEI
  10. VDMA
  11. NAMUR
  12. BEUTH


Siehe auch


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