Protschen

Protschen

Reiner Protsch (* 14. Januar 1939 in Berlin) ist ein deutscher Anthropologe, der sich selbst seit einigen Jahren Reiner Protsch von Zieten nennt. Er war seit 1973 als Professor am "Institut der Anthropologie und Humangenetik für Biologen" an der Universität Frankfurt tätig, bevor er nach Unterschlagungs- und Betrugsvorwürfen im April 2004 zunächst vom Dienst suspendiert wurde und im Februar 2005 aus der Universität ausscheiden musste. Mit gefälschten Schädeldatierungen hatte er einen der größten Wissenschaftsskandale in Deutschland ausgelöst.

Als Professor für Anthropologie besaß Protsch aufgrund seiner Ausbildung in den USA zunächst einen guten Ruf als Paläoanthropologe und publizierte zahlreiche sensationelle Datierungen von Schädelfragmenten, die er in die Altsteinzeit datiert, angeblich mithilfe eigener Analysen (Radiokarbonmethode). Protsch, der 1991 seinen Namen in Protsch von Zieten änderte, will nach eigenen Angaben vom Reitergeneral Hans Joachim von Zieten abstammen. Dies wird nicht nur aus der eigenen Familie bestritten.

Gegen Protsch wurden durch den Medizinhistoriker der Universität Mainz und Frankfurter Orthopäden Klaus-Dieter Thomann auch Vorwürfe erhoben, im Jahre 2001 Akten der nationalsozialistischen Rassenhygieneforschung von Otmar Freiherr von Verschuer und Josef Mengele, die seit 1935 am damaligen Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene wirkten, vernichtet und deren Existenz zuvor bestritten zu haben. Teile dieses Aktenbestands wurden jedoch im Jahre 2004 außerhalb seines Instituts wieder aufgefunden.

Inhaltsverzeichnis

Chronik eines Wissenschaftsskandals

  • 1984:[1] Ein Fachkollege weist in einer Veröffentlichung Protsch nach, dass dieser Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler in eigenen Veröffentlichungen verwendete, ohne deren Herkunft anzugeben. Der Universitätsleitung werden diese Plagiatsvorwürfe bekannt; ein Versuch der Hochschulleitung, Maßnahmen zu ergreifen, bleibt jedoch erfolglos. Erst 1998 werden an der Universität Frankfurt "Grundsätze zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" und "Maßnahmen zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten" beschlossen.
  • 2001: Der Greifswalder Privatdozent Thomas Terberger und ein Kollege, Martin Street, wundern sich über die Häufung sensationell alter Schädelfunde des modernen Menschen, die immer wieder mit dem Namen Protsch in Verbindung stehen. Sie lassen Fundstücke von einem Labor in Oxford mit der C14-Methode erneut datieren. Als Ergebnis wird festgestellt, dass verschiedene Schädelfunde aus der menschlichen Vorgeschichte um Zehntausende von Jahren vordatiert waren.
  • Andere frühgeschichtliche Fundstücke (wie die "Dame von Kelsterbach" – Protsch datierte sie auf ein Alter von 31.200 Jahren) sind aus dem Institutssafe verschwunden und stehen für eine Nachmessung nicht zur Verfügung.
  • Januar 2004: Nachdem die Universität Frankfurt erfahren hat, dass Protsch eine einzigartige Schimpansenschädelsammlung des Instituts für Anthropologie im Ausland zum Verkauf anbietet, wird am 16. des Monats der Ombudsmann über die Vorgänge informiert, ferner kommen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Gang.
  • März 2004: Nach Untersuchungen der Vorwürfe durch die Rechtsabteilung der Universität wird Strafanzeige gegen Protsch erstattet, zugleich erteilt der Präsident der Universität Hausverbot und untersagt ihm die Führung der Geschäfte bis zur Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens.
  • Juni 2004: Die Universität leitet ein förmliches Disziplinarverfahren ein; gleichzeitig wird er einstweilig vom Dienst enthoben und es werden ihm die Dienstbezüge gekürzt.
  • August 2004: Ein Artikel im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" macht die Unterschlagungsvorwürfe und die wiederholten Fehldatierungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Universität Frankfurt reagiert mit der Einberufung einer "Kommission zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten" zur Beurteilung des Falles Protsch.
  • Februar 2005: In ihrem Abschlussbericht erhebt die Kommission schwere Vorwürfe. Er hat nach Auffassung der Kommission sein Amt in hohem Maße missbraucht und sich dafür sowohl fachlich als auch in seiner Amtsführung disqualifiziert. Er habe Auftraggeber von Schädeldatierungen getäuscht und das geistige Eigentum anderer missbraucht oder gestohlen. Seine Regelverletzungen habe er systematisch verschleiert, sich Gegenstände aus dem Eigentum Anderer rechtswidrig angeeignet oder falsche Herkunftsangaben gemacht. Er habe "im Verlauf der vergangenen 30 Jahre immer wieder wissenschaftliche Fakten gefälscht und manipuliert".
    • Die Kommission äußerte sich "überzeugt davon, dass die vor 1982 und nach 1985 von Protsch ausgesprochenen Datierungen mit hoher Wahrscheinlichkeit Fälschungen sind. Kombinierte Datierungsnummern (FRA-UCLA) wurden offenbar erfunden." Zwischen 1982 und 1985 war bei ihm ein Assistent beschäftigt, der die Messapparate bedienen konnte.
    • "Nach Erkenntnissen der Kommission hat Protsch Gegenstände aus dem Nachlass seines Vorgängers Prof. Fleischhacker eigenhändig mit dem Schriftzug 'Franz Weidenreich', eines Anthropologen jüdischer Herkunft und NS-Opfers, versehen, um die Stücke für eine Ausstellung des Jüdischen Museums (Berlin) interessant zu machen. Tatsächlich wurden sie dort auch ausgestellt."
    • Bestätigt wurden im Kern auch die Vorwürfe von Thomann: "Bedenkenlos wurden Glasplattenbilder, Patientenakten und Vaterschaftsgutachten (aus der NS-Zeit und aus der Nachkriegszeit) vernichtet, ohne dass zuvor eine sachkundige Prüfung stattgefunden hätte. Auch wenn ein Teil des vermissten Materials wieder aufgetaucht ist, liegt in der Anordnung der Vernichtung ein gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten."
    • Als Totalfälschung gilt auch seine zweite, in Wien akzeptierte Doktorarbeit, die sich auf einen von Protsch angeblich in der Schweiz (Egerkingen) aufgefundenen fossilen Affenschädel stützte, den er aber in Frankreich erworben zu haben scheint.
  • Im April 2005 endet die Geschichte des Frankfurter Instituts für Anthropologie und Humangenetik für Biologen: Das Institut wird geschlossen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen versuchter Unterschlagung dauern noch an. Ebenso das Verfahren zur Aberkennung seines zweiten Doktortitels und die Bestrebungen der Universität Frankfurt, ihm rückwirkend erworbene Rechte aus seinem Professorenamt abzuerkennen.

Die Anklage gegen Protsch

Am 22. Juli 2006 berichtete die FAZ unter Berufung auf die Frankfurter Staatsanwaltschaft, Protsch werde angeklagt wegen Urkundenfälschung, Untreue, Unterschlagung, versuchtem Betrug und Verstößen gegen den Artenschutz. Protsch habe sich u.a. im Jahr 2001 von der Frankfurter Universität eine Spendenquittung über 300.000 Mark für eine Fossilien-Sammlung ausstellen lassen, die angeblich aus seinem eigenen Besitz stammte, tatsächlich aber einem Hamburger Paläontologen gehörte, der die Sammlung der Universität Frankfurt als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hatte. In diesem Zusammenhang habe Protsch auch gefälschte Expertisen eingereicht. Protsch habe ferner aus wertvollen Büchern der Universitätsbibliothek deren Eigentumsnachweise entfernt und seinen eigenen Stempel hineingesetzt.

Als Urkundenfälschung bewertet wurde von der Staatsanwaltschaft auch, dass Protsch die Registriernummer aus Schimpansenschädeln ausfräsen und durch sein eigenes Signum "RPvZ" ersetzen ließ. Die Schädel gehören zur einzigartigen, so genannten PAN-Sammlung von 278 in Afrika zusammengetragenen Exemplaren, die bereits in den 50er- und 60er-Jahren für das Frankfurter Institut erworben worden waren. Protsch habe diese Sammlung als sein Eigentum ausgegeben und im Jahr 2002 unter Vorlage gefälschter Kaufbescheinigungen für 70.000 Dollar einem US-Kollegen angeboten. Dieser versuchte Verkauf, der nach dem deutschen Artenschutzgesetz genehmigungspflichtig gewesen wäre, hatte seinerzeit erste Nachforschungen gegen Protsch zur Folge gehabt.

Die FAZ schrieb, die strafrechtlich relevanten Vorwürfe der Staatsanwaltschaft "verstärken das Bild eines zutiefst unehrlichen Menschen."[2]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Die Angaben in diesem Artikel stammen im Wesentlichen aus den am 17. Februar 2005 von der Pressestelle der Universität veröffentlichten Pressemitteilungen
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 168(2) vom 22. Juli 2006, S. 57

Weblinks


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