Psychologische Anthropologie

Psychologische Anthropologie

Die Psychologische Anthropologie ist ein Teil der empirischen Anthropologie, d.i. die auf Erfahrung basierende Lehre vom Menschen.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Die Wortverbindung psychische Anthropologie erscheint zu Anfang des 18. Jahrhunderts als Titel der Lehrbücher von Gottlob Ernst Schulze (Psychische Anthropologie, 1816) und Jakob Friedrich Fries (Handbuch der psychischen Anthropologie oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes, 1820/21, 2. Aufl. 1837/38) und bedeutet hier so viel wie empirische Menschenkunde.

Die doppelte Aufgabe der Psychologischen Anthropologie

Innerhalb einer umfassenden, interdisziplinären Anthropologie hat die Psychologie zwei einander ergänzende Aufgaben: Die allgemeine Psychologie des Menschen und die Psychologie der Menschenbilder.

Allgemeine Psychologie des Menschen

Nach Ansicht der Psychologischen Anthropologie bliebe eine nur philosophische, geisteswissenschaftliche oder theologische Anthropologie in zentralen Bereichen inhaltsarm, wenn nicht die Psychologie, die [Sozialwissenschaft] und Biologie des Menschen einbezogen würden. Alle Teilgebiete der Psychologie werden hier als relevant angesehen: die Allgemeine Psychologie, die Entwicklungspsychologie und Sozialpsychologie, die Angewandte Psychologie, doch eine herausragende Rolle hat die Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Hier existiert eine übergroße Vielfalt heterogener, mehr oder minder ausgeformter Persönlichkeitstheorien. Eine übergreifende Sicht, eine Metatheorie der unterschiedlichen Persönlichkeitstheorien zu entwickeln, gelingt der Psychologischen Anthropologie nicht.

Psychologie der Menschenbilder

Die Psychologie der Menschenbilder hat mehrere Perspektiven. Sie fragt zum einen, welche grundlegenden Annahmen über den Menschen bei den Einzelnen bzw. in der Bevölkerung vorzufinden und zum anderen, welche wissenschaftlichen Theorien aus den Lehrbüchern der Psychologie zu entnehmen sind. Eine weitere Perspektive geben die speziellen Inhalte der Lehrbücher, denn die Autoren würden unvermeidlich eigene Überzeugungen erkennen lassen, wenn sie bestimmte Theorien auswählen und darstellen. Schließlich können die Biographien, insbesondere der Autobiographien von Psychologen, Psychotherapeuten oder Philosophen inhaltlich ausgewertet werden, ob sie Hinweise auf das Menschenbild geben. Grundsätzlich erstreckt sich diese Perspektive auch auf die Versuche von biographischen und (Ideologie-)kritischen Interpretationen der Menschenbilder einzelner Philosophen und philosophischer Richtungen. – Neben Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches Psychologisieren kann auch das selbstkritische Motto von Johann Gottlieb Fichte aus seiner Wissenschaftslehre zitiert werden: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was für ein Mensch man ist“ (1797, S. 195).

In der Frage nach dem Menschenbild der Psychologen und Philosophen ging es meist um die Frage, ob der Autor mehr oder weniger auf dem Boden des Christentums oder der jüdischen Religion stand. Eine genauere Auskunft über ihr religiöses Bekenntnis zu geben, war auch Psychotherapeuten wie etwa Viktor Frankl, Carl Gustav Jung und Carl Rogers aus ihrer Sicht wahrscheinlich unerheblich, da sie ihr Menschenbild ja nicht direkt als theologisch fundiert begriffen. Die Psychologische Anthropolige will diese unartikulierten Bekenntnisse sichtbar machen.

In seinem Buch Der Gott der Philosophen hat Wilhelm Weischedel ideengeschichtlich dargestellt, wie die großen Philosophen ihr Denken in Bezug auf zentrale Inhalte des christlichen Dogmas entwickelten, wie sie sich mit dem Gottesproblem und den Gottesbeweisen auseinander setzten, und sich mit der Theodizee beschäftigten.

Die Psychologische Anthropologie fordert, dass jegliches philosophische Denken über den Menschen auch vor dem Hintergrund des religiösen Glaubens bzw. des Atheismus oder Agnostizismus interpretiert werde. Von philosophischer Seite werden solche Interpretationsversuche, ebenso wie die Verknüpfung mit der Biographie des Autors, als Ausdruck des Psychologismus kritisiert.

Die in der Psychologie deutliche Vielfalt von Persönlichkeitstheorien und Menschenbildern rechnet sich an, in vielen Beiträgen der Psychologie und auch der Philosophischen Anthropologie einseitige Annahmen über den Menschen zu erkennen.

Psychologische und Philosophische Anthropologie

Die Philosophische Anthropologie verzichtet ihrer Methode gemäß auf empirische Anthropologie und reflektiert auf den Menschen schlechthin. Von Seite der Psychologischen Anthropologie wird - im Missverständnis der Philosophie - die Ausklammerung empirischer Anthropologie moniert. Nichtsdestoweniger können die Ergebnisse der humanwissenschaftlichen Forschung neue Perspektiven und Anregungen zur philosophischen Diskussion geben.

Literatur

  • Psychologische Anthropologie = Band 5 der Neuen Anthropologie, hrsg. von Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler. Georg Thieme Verlag, Stuttgart (ISBN 3-13-476501-2) und Deutscher Taschenbuch Verlag, München (ISBN 3-423-04073-4). 1973
  • Jens Asendorpf: Psychologie der Persönlichkeit. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-71684-6
  • Jochen Fahrenberg: Annahmen über den Menschen. Menschenbilder aus psychologischer, biologischer, religiöser und interkultureller Sicht. Asanger, Heidelberg 2004. ISBN 3-89334-416-0
  • Jochen Fahrenberg: Die Wissenschaftskonzeption der Psychologie bei Kant und Wundt. http://www.jp.philo.at/texte/FahrenbergJ2.pdf (199KB).
  • Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Gesamtausgabe B. I, 4 (hrsg. von R. Lauth & H. Gliwitzky). Frommann, Stuttgart-Bad Cannstatt 1797/1970.
  • Hermann-Josef Fisseni: Persönlichkeitspsychologie. Ein Theorienüberblick. Hogrefe, Göttingen 2003. (5. Aufl.) ISBN 3-8017-0981-7
  • Norbert Groeben (Hrsg.): Zur Programmatik einer sozialwissenschaftlichen Psychologie. Band 1-3. Aschendorff, Münster 1997. ISBN 3-402-04604-0
  • Gerd Jüttemann (Hrsg.): Psychologie als Humanwissenschaft. Ein Handbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. ISBN 3-525-46215-8
  • Lawrence A. Pervin: Persönlichkeitstheorien. München, Reinhardt 1981. (4. Aufl.) ISBN 3-8252-8035-7
  • Ludwig J. Pongratz (Hrsg.): Psychotherapie in Selbstdarstellungen. Huber, Bern 1973.
  • Wolfgang Schönpflug: Geschichte und Systematik der Psychologie. Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim 2004. ISBN 3-621-27559-2
  • Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998. ISBN 3-485-03537-8
  • Lawrence S. Wrightsman: Assumptions about human nature. Sage, Newbury Park CA 1992. ISBN 0-8039-2774-6
  • Christoph Wulf: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Rowohlt, Reinbek 2004. ISBN 3-499-55664-2
  • Christoph Wulf (Hrsg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Beltz, Weinheim 1997. ISBN 3-407-83136-6

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