Rechtfertigungsstrategie

Rechtfertigungsstrategie
Dieser Artikel behandelt Begründung und Rechtfertigung im erkenntnistheoretischen Sinn. Es kann sich in der Physik auch auf die Frage nach der Ursache beziehen („Das Steckenbleiben des Fahrstuhls wird mit der Überschreitung der zulässigen Personenzahl begründet“); in der Rechtswissenschaft auf die Frage nach Rechtfertigungsgründen (etwa Notwehr) zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit als Grundlage für eine Strafbarkeit oder zivilrechtliche Haftung; in der Theologie auf die Gnadenlehre, siehe Rechtfertigung (Theologie).

Eine Begründung oder Rechtfertigung ist die Angabe eines Grundes für eine Behauptung, Handlung, These, Aussage, Meinung, Überzeugung, Entscheidung, ein Urteil, einen Zweifel oder auch einen Verdacht („Ich habe begründete Zweifel an seiner Ehrlichkeit, denn ich habe erfahren, dass er schon andere belogen hat“) durch Berufung auf autoritative Kriterien oder Gründe, oder die Feststellung, dass eine solche Berufung zumindest prinzipiell möglich wäre. Die gültige Begründung macht bloßen Glauben (vorausgesetzte und noch zu begründende Annahmen) zu Erkenntnis oder Wissen (bereits begründete Annahmen). Sie stützt sich auf den Satz vom zureichenden Grund. Demnach ist für das Akzeptieren einer Aussage charakteristisch, dass ein Grund angegeben werden kann, der die Wahrheit dieser Aussage sichert, oder der mindestens das Fürwahrhalten rechtfertigt. Nach Aristoteles weiß man nur etwas, wenn man den Grund dafür erkennt, warum es so ist und damit die Gewissheit hat, dass es nicht anders sein kann.[1] Es gibt zwei Grundpositionen des begründenden Vorgehens: Den Panrationalismus, der sich auf rationale Kriterien und Autoritäten beruft (Sinneswahrnehmung, intellektuelle Intuition) und den Irrationalismus, der sich auf irrationale Kriterien beruft (Gefühle, Glaube). Heute hat die Erkenntnistheorie die Möglichkeit einer zureichenden Begründung aufgegeben und beschäftigt sich stattdessen mit so genannter ‚partieller‘, ‚zirkulärer‘, ‚epistemischer‘ oder ‚unzureichender Begründung‘.

Inhaltsverzeichnis

Arten der Begründung

Seinem Ursprung nach ist das Wort "begründen" eine Metapher aus dem Bauwesen. Ähnlich wie die Steine eines Hauses - beginnend mit dem Fundament - aufeinander aufbauen und einander stützen und tragen, so bauen auch die Sätze von Theorien logisch aufeinander auf – oder sollten es zumindest tun. Besonderen Einfluss hat die Euklidische Geometrie bei der Durchführung der Rechtfertigung bzw. in der Art und Weise der logischen Begründung ausgeübt. Viele Philosophen zeigten sich dem zu Folge bestrebt, ihr Argumentieren "more geometrico" aufzubauen, d.h. möglichst logisch-beweisend. Allerdings wurde die logische Strenge meist nicht erreicht. Doch bis heute noch wird vielfach als das allerhöchste Ideal der wissenschaftlichen Form der axiomatische Aufbau einer Theorie angesehen.

Wie eine gute Begründung beschaffen sein muss, hängt vor allem von der Art der Behauptungen ab, die begründet werden sollen. So müssen empirische Theorien anders begründet werden als mathematische oder ethische Theorien; und Beschreibungen einzelner Ereignisse müssen anders begründet werden als Aussagen über empirische Regelmäßigkeiten bzw. Naturgesetze. Was jeweils die geeigneten Methoden der Begründung sind, ist zentraler Gegenstand der Wissenschaftstheorie bzw. Erkenntnistheorie. Diese Erkenntnisstrategie wird oft verbunden mit einem theoretischen Monismus. Das ist die Grundannahme, dass für jedes Erkenntnisgebiet nur eine einzige begründete Theorie existiert. Das Erkenntnisziel besteht demzufolge darin, diese eine Theorie aufzufinden.

Begründungen sind der konstruktive Teil einer Argumentation. Wenn man eine These p begründet, dann trägt man Argumente für die Gültigkeit von p vor. Wenn man umgekehrt Argumente gegen p vorbringt, dann bestreitet oder bezweifelt man p. Eine Aussage p wird dadurch begründet, dass man p zu anderen, bereits anerkannten Aussagen in eine logische Beziehung setzt. Man zeigt z. B., dass p mit anderen, bereits anerkannten Aussagen logisch vereinbar ist. Oder man zeigt, dass p keiner anerkannten Aussage widerspricht. Im Idealfall demonstriert man, dass p logisch aus anderen anerkannten Aussagen folgt. Wenn p aus gültigen Aussagen logisch deduziert wird, spricht man von einem Beweis für p, der stärksten Form einer Begründung.

Der Standardposition in der philosophischen Erkenntnistheorie zufolge kann eine Meinung gerechtfertigt sein, auch wenn sie nicht wahr ist, nämlich dann, wenn "gute" Gründe für sie vorliegen. Umgekehrt sind viele wahre Meinungen nicht gerechtfertigt, sondern können auch etwa aus "schlechten" Gründen für wahr gehalten werden. Traditionell wird der Begriff des Wissens als "gerechtfertigte wahre Meinung" analysiert. Diese Analyse hat zahlreiche Probleme; deren bekannteste sind die von Gettier beschriebenen Gegenbeispiele. Wie genau der Begriff der Rechtfertigung auszuarbeiten ist, bildet einen großen Teilbereich jüngerer epistemologischer Diskussionen.

Kritik besteht bei begründetem Vorgehen daraus, zu überprüfen, ob eine Behauptung auf die Kriterien oder Autoritäten zurückgeführt werden kann, mit der sie begründet ist. Die Begründung einer Behauptung wird also in den Vordergrund gestellt, während der Behauptung selbst eine eher nebensächliche Rolle zukommt. Durch ein derartiges Vorgehen sollen die unbegründeten Voraussetzungen einer Behauptung offengelegt werden und der Gültigkeitsanspruch der Behauptung auf den Bereich eingeschränkt werden, für den die vorhandenen Begründungen hinreichend sind.

Das Problem des unendlichen Regresses

Man kann auch anerkannte Aussagen in Frage stellen und nach deren Begründung fragen. Die dabei zur Begründung verwendeten Aussagen lassen sich ebenfalls hinterfragen usw. usf., so dass man zu keinem Ende kommt (unendlicher Regress). Dies zeigt, dass die deduktive Logik für die Begründung von Theorien und Behauptungen allein nicht ausreicht.

Hinzukommen müssen Aussagen, deren Anerkennung nicht auf einer logischen Ableitung beruht. Diese Aussagen sollten unmittelbar einsichtig (evident) sein, d.h. dass sich über sie ohne Schwierigkeiten eine intersubjektive und dauerhafte Übereinstimmung herstellen lässt.

Übereinstimmende Wahrnehmungen als Ausgangspunkt von Begründungen

Dies ist z. B. bei den Axiomen der Mathematik der Fall. Entsprechendes gilt für Sätze, die eine unmittelbar zugängliche Wahrnehmung wiedergeben wie "Das Thermometer vor mir zeigt gegenwärtig mehr als 100 Grad Celsius an". Über eine solche Aussage lässt sich in der Regel ohne Probleme ein intersubjektiver und dauerhafter Konsens herstellen indem man sagt: "Überzeuge Dich doch mit Deinen eigenen Augen von der Richtigkeit der Aussage!"

Allerdings sind derartige Aussagen nicht unbezweifelbar, wie Popper in seiner Kritik an der Konzeption der "Basissätze" (oder "Protokollsätze") der Positivisten gezeigt hat. So könnte man im angeführten Beispiel bezweifeln, dass es sich um ein Thermometer handelt. Es könnte vielleicht auch ein Hygrometer sein.

Die Frage ist, ob man die übereinstimmenden Wahrnehmungen mehrerer Beobachter als hinreichende Begründung gelten lassen will. Hierzu werden unterschiedliche Positionen vertreten. Eine weit verbreitete Position besagt: Solange es keinen konkreten Grund für einen Zweifel gibt, bilden die übereinstimmenden Wahrnehmungen der Individuen eine tragfähige Grundlage für darauf aufbauende empirische Theorien.

Dagegen sehen Vertreter des Fallibilismus wie z. B. Albert hier einen willkürlichen Abbruch der Begründung. Albert verwirft das Konzept der Begründung insgesamt, weil es seiner Ansicht nach dem Trilemma von Zirkelsschluss, infinitem Regress oder willkürlichem Abbruch nicht entkommen kann.

Sätze, die sich nicht ohne Selbstwiderspruch bestreiten lassen

Wenn jemand etwas behauptet, so erhebt er für diese Behauptung einen Anspruch auf Wahrheit (bzw. Richtigkeit) und damit auf eine allgemeine und dauerhafte Zustimmung zu dieser Behauptung.

Ein Anspruch auf Wahrheit lässt sich nur durch das Vorbringen von einsichtigen Argumenten einlösen. Wenn dagegen Individuen einer Behauptung nur aufgrund von Drohungen und Versprechungen zustimmen, so ist dies für die Frage nach der Wahrheit dieser Behauptung ohne Bedeutung, denn auf diese Weise könnte genauso gut die Zustimmung zur Verneinung dieser Behauptung erzielt werden. Zwischen einem Anspruch auf Wahrheit und dem Erzwingen von Gehorsam bestünde dann kein Unterschied.

Drohungen sind deshalb in Diskussionen, bei denen es um die Wahrheit von Behauptungen geht, unzulässig. Dies lässt sich nach Karl-Otto Apel nicht sinnvoll bestreiten und kann deshalb ein tragfähiger Ausgangspunkt für die Begründung philosophischer Theorien sein.

Denn wenn jemand diese Argumentationsregel für falsch erklärt (und Drohungen zulassen will), so stellt er damit einerseits eine Behauptung mit Wahrheitsanspruch auf. Andererseits betrachtet er diesen Anspruch nach eigenen Angaben aber als ein Erzwingen von Gehorsam. Dies ist ein performatorischer Selbstwiderspruch.

Grenzen der Begründbarkeit bei Aussagen über Zukünftiges

Richtig und unbestritten ist, dass sich allgemeine Gesetzmäßigkeiten wie z. B. "Der Schmelzpunkt von Eisen liegt bei x Grad Celsius" niemals definitiv begründen bzw. beweisen lassen, weil dabei induktiv von Vergangenem auf Zukünftiges geschlossen wird. Die induktive Verallgemeinerung ist jedoch kein gültiger deduktiver Schluss, bei dem die Wahrheit der Voraussetzungen (Prämissen) auf die Schlussfolgerung (Konklusion) übertragen wird. Deshalb können noch so viele Einzelbeispiele auch kein Beweis für die Richtigkeit einer generellen Aussage sein.

Begründung durch Berufung auf Autoritäten

Eine besondere Form der Begründung ist die Begründung durch Bezugnahme auf die Aussagen einer Autorität. So reichte in der stalinistischen Sowjetunion ein Zitat von der Art "Schon Marx hat in seiner Schrift … festgestellt, dass …") als Begründung immer aus. Ähnlich ist es, wenn z. B. Fragen zur Erdgeschichte durch Bibelzitate beantwortet werden.

Die Begründung einer Behauptung p durch den Hinweis, dass bestimmte andere Personen ebenfalls p für richtig halten, ist im Alltag weit verbreitet. Wenn es nur einen Augenzeugen für einen Vorgang gibt, ist ein solches Verfahren sogar unvermeidlich. Als Kinder waren alle Menschen auf die Ratschläge und Warnungen der Eltern angewiesen und hätten ohne Übernahme von Erfahrung und Wissen der Eltern wohl kaum überlebt.

Trotzdem können Zitate niemals Beweise für die Richtigkeit von Behauptungen sein, da sich zugleich die Frage stellt: "Kann die zitierte Autorität nicht auch irren?".

Das Problematische an einer Begründung durch Bezug auf Autoritäten ist, dass eine solche Begründung für andere, die nicht an diese Autorität glauben, nicht nachvollziehbar ist. Damit wird eine derartige "Begründung" ununterscheidbar von einem dogmatischen Anspruch auf Glauben.

Die modernen Wissenschaften verdanken ihren Fortschritt der Ablösung von Autoritäten und Vorbildern als Quellen der Erkenntnis. An deren Stelle trat nach und nach in fast allen Disziplinen die intersubjektiv überprüfbare Beobachtung und Erforschung der Wirklichkeit.

Kritik

Die Gegenposition zur Begründung ist ‚nicht auf Begründung abzielende Kritik‘ (eine Synthese von Skeptizismus und Absolutismus), die Behauptungen an sich angreift und die hauptsächlich von einigen Vertretern des Kritischen Rationalismus vertreten wird: W. W. Bartley, David Miller und Karl Popper. (Aber nicht alle Befürworter des Kritischen Rationalismus stellen sich radikal gegen die Rechtfertigungsstrategie; sie wird beispielsweise von John W. N. Watkins vertreten). Aus ihrer Sicht gibt es Begründungen nicht; wenn es sie gäbe, wären sie nutzlos; und sie haben mit Vernunft auch nichts zu tun. Sie vertreten eine Auffassung, die entgegen dem aristotelischen Wissens-Begriff die Fragen der Wahrheit und der Gewissheit bzw. die Entscheidbarkeit oder Sicherheit der Wahrheit von Aussagen scharf unterscheidet. Da eine Letztbegründung für sie als unerreichbar gilt, orientiert sie sich auf das wechselnde Verfahren von Konstruktion und Kritik. Es werden keine argumentativen Begründungen eingesetzt. Zur Maximierung der Kritisierbarkeit setzt sie die Konstruktion und vergleichsweise Bewertung von kritischen Alternativen zu jeglicher vorgeschlagenen Lösung ein. Sie ergänzt sich daher um den Theorienpluralismus; das methodische Verfahren, das sich dabei anbietet, ist ein Theorievergleich.

Bartley nennt auch noch eine dritte Position, die er als Kritischen Rationalismus in einem engeren Sinn bezeichnet, und die er Poppers sozialphilosophischem Werk Offene Gesellschaft zuschreibt. Sie hat die Begründung aufgegeben, aber noch nicht zu ‚nicht auf Begründung abzielender Kritik‘ gefunden. Statt sich auf Kriterien und Autoritäten zu berufen, versucht sie, diese zu beschreiben und zu explizieren.

Quellen

  1. Kurt von Fritz: Die APXAI in der griechischen Mathematik, in: Archiv für Begriffsgeschichte, I, 1955, S. 21

Siehe auch

Literatur

Weblinks


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