- Rechtfertigungsgrund
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Rechtfertigungsgründe sind Erlaubnistatbestände, die ein an sich verbotenes Handeln im Einzelfall ausnahmsweise gestatten.
Öffentliches Recht
Nach dem Rechtsstaatsprinzip werden dem Menschen Grundrechte in Form von Menschen- und Bürgerrechten gewährt. Diese sind als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat konzipiert. Die Gewährung dieser Rechte kann aber nicht schrankenlos sein. Vielmehr greift der Staat durch sein Handeln vielfach in diese Rechte ein. Diese Eingriffe müssen jedoch gerechtfertigt sein, sie bedürfen folglich eines Rechtfertigungsgrundes. Verfassungsrechtlich werden die Grundrechte durch ihre sog. Schranken begrenzt. In der Regel werden die Schranken des Grundrechts durch Gesetze bestimmt. Diese Schranke wird auch als Gesetzesvorbehalt oder - schärfer - als Parlamentsvorbehalt bezeichnet. Grundsätzlich ist auch die Verfassung selbst geeignet, Schranken zu formulieren. Diese Schranken sind die sog. verfassungsimmanenten Schranken. Als dritte Schranke kommen die Grundrechte anderer in Betracht. Müssen zwei Grundrechte mit einander abgewogen werden und gegenseitig eingeschränkt werden, so wird dies als sog. praktische Konkordanz bezeichnet.
Strafrecht
Nach dem deutschen dreistufigen Deliktsaufbau (im Sinne der nicht nur vereinzelt oder früher vertretenen Handlungslehren im Strafrecht) begründet allein das Verletzen eines Strafgesetzes (die sogenannte Tatbestandsmäßigkeit) noch nicht die Strafbarkeit des Täters.
Vielmehr ist schon auf der zweiten wichtigen Prüfungsstufe die Rechtswidrigkeit der Tat ausgeschlossen, wenn dem Täter ein Rechtfertigungsgrund zukommt. Unrecht wird nicht begangen, wenn der Täter sich auf einen solchen Rechtfertigungsgrund berufen kann. Das deutsche Strafrecht kennt zahlreiche Rechtfertigungsgründe, die nicht abgeschlossen aufgezählt sind.
Obwohl es sich dabei um materiell-rechtliche Vorschriften handelt, stehen sie nicht zwingend im Strafgesetzbuch, sondern sind teilweise zivilrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur; Rechtfertigungsgründe können auch durch Gewohnheitsrecht entstehen, da sie zugunsten des Täters eingreifen.
Allen Rechtfertigungsgründen ist gemeinsam, dass sie objektiv vorliegen, wenn eine bestimmte Gefahr, ein Angriff oder sonst ein schädigendes Ereignis abgewehrt werden soll. Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter, der sich auf den Rechtfertigungsgrund beruft, auch mit dem Willen zur Abwehr dieser Gefahr oder des Angriffs handelt.
Falls kein Verteidigungs- oder Rettungswille des Täters vorliegt, wird die Tat als rechtswidrig angesehen und der Täter bestraft. Dabei ist strittig, wie der Täter zu bestrafen ist.
Eine Ansicht bezieht die Tatsache, dass der Taterfolg zumindest objektiv im Einklang mit der Rechtsordnung steht, in die Strafzumessung ein. Diese Meinung hält an der Rechtswidrigkeit der Tat bei fehlendem subjektiven Verteidigungswillen fest und bestraft Vorsatz und Fahrlässigkeitstaten als Konsequenz.
Eine andere Ansicht zieht die Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit heran, um eine Lösung zu finden. Im Rahmen der §§ 22 ff. StGB findet eine Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht statt. Da beim Versuch der Taterfolg nicht eingetreten ist, entfällt auch das Erfolgsunrecht. Der Versuch kann gemäß § 22, § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 StGB milder bestraft werden. Denn bei einem strafbaren Versuch wird nur noch das Handlungsunrecht bestraft. Übertragen auf den fehlenden Verteidigungswillen bedeutet dies, dass der Täter rechtswidrig handelt (Handlungsunrecht), der Taterfolg aber wegen der vorliegenden objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes nicht rechtswidrig oder schuldhaft ist und somit das Erfolgsunrecht entfällt. Die zweite Ansicht zieht als Konsequenz den Schluss, bei fehlendem Verteidigungswillen, aber sonst vorliegenden objektiven Voraussetzungen, die Tat wie einen Versuch zu bestrafen. Der Täter macht sich folglich des Versuchs der Tat strafbar, wenn es sich um eine Vorsatztat handelt. Liegt eine Fahrlässigkeitstat zugrunde, reicht für eine Rechtfertigung oder Entschuldigung bereits das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe aus, da es den Versuch einer Fahrlässigkeitstat nicht gibt. Der zweiten Ansicht kann gefolgt werden, da diese dem System des Handlungs- und Erfolgsunrechts des StGB, welches auch der Versuchsstrafbarkeit zugrunde liegt, Rechnung trägt.
Einige Rechtfertigungsgründe sind:
- Notwehr, § 32 StGB
- rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
- defensiver (verteidigender) Notstand, § 228 BGB
- aggressiver (angreifender) Notstand, § 904 BGB
- Selbsthilfe, § 229 BGB
- Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB
- Einwilligung
- rechtfertigende Einwilligung
- mutmaßliche Einwilligung
- Vorläufige Festnahme, § 127 Abs. 1 StPO
- Sachwehr, § 859, § 860 BGB
- Widerstandsrecht, Art. 20 Abs. 4 GG
- Die medizinische oder kriminologische Indikation beim Schwangerschaftsabbruch, § 218a StGB
- Pflichtenkollision (umstritten, ob nicht Entschuldigungsgrund)
- Rechtfertigung nach dem Grundsatz des erlaubten Risikos
- rechtmäßiger Befehl (grds. Rechtfertigungsgrund, nur bei offensichtlichen fehlenden Voraussetzungen Entschuldigungsgrund)
- rechtswidriger Befehl (rechtlich umstritten; jedoch Entschuldigungsgrund)
- rechtmäßige Dienstausübung (z.B. Handlungen eines Polizisten)
Keine Rechtfertigungsgründe sind:
- das Einverständnis (denn es schließt schon den Tatbestand aus)
- der Nötigungsnotstand (ist Entschuldigungsgrund)
- der entschuldigende Notstand (ist Entschuldigungsgrund)
- der Notwehrexzess
- das elterliche Züchtigungsrecht (nach h.M. mit § 1631 Abs. 2 BGB a.F. seit 2000 abgeschafft, a.A. etwa Kühl AT, § 9 Rn. 77b)
- Unzurechnungsfähigkeit (ist ggf. Schuldausschließungsgrund)
- Strafunmündigkeit (ist Schuldausschließungsgrund)
- Notwehrprovokation
Der Irrtum über das tatsächliche Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ist der Erlaubnistatbestandsirrtum.
Zivilrecht
Im Bereich des Deliktsrechts hat der Gesetzgeber die Schadensersatzpflicht für unerlaubte Handlungen geregelt. Auch hier wird zunächst wie im Strafrecht durch die Verwirklichung des Tatbestandes die Rechtswidrigkeit der Handlung indiziert. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Tatbestandsmäßigkeit insoweit, als Rechtfertigungsgründe eingreifen. Das Deliktsrecht stützt sich dabei auf sämtliche Rechtfertigungsgründe der Rechtsordnung. Da es jedoch vor allem um die Restitution von Schäden geht, besteht teilweise eine Ersatzpflicht für die in der Notstandslage verursachten Schäden.
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