Regelbeispiel

Regelbeispiel

Im deutschen Strafrecht spricht man von Regelbeispielen, wenn zu einem Delikt beispielhaft Fälle aufgezählt werden, bei denen „in der Regel“ ein strafschärfender besonders schwerer Fall vorliegt. Anders als die Qualifikation, die als speziellerer Straftatbestand den Grundtatbestand verdrängt, beeinflusst das Regelbeispiel demnach nur die Strafzumessung. Beispiel (Diebstahl):

Wer [...] wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 242 Abs. 1 StGB - Diebstahl)
In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. [...]
2. [...]
3. [...] (§ 243 Abs. 1 StGB - Besonders schwerer Fall des Diebstahls)

Regelbeispiele sind somit weder zwingend noch abschließend. Das Gericht kann also trotz Vorliegens eines dem Regelbeispiel entsprechenden Sachverhalts den besonders schweren Fall verneinen, weil etwa besondere Umstände vorliegen, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat: Es greift eben nur „in der Regel“ ein, indiziert also nur den besonders schweren Fall („Regelwirkung“). Umgekehrt kann das Gericht aber auch einen besonders schweren Fall annehmen, obwohl keines der Regelbeispiele vorliegt, einen sog. „unbenannten“ oder „atypischen besonders schweren Fall“.

Inhaltsverzeichnis

Beurteilung und Beispiele

Weil Regelbeispiele somit flexibler als qualifizierte Delikte sind, ist die Regelbeispielstechnik beim Gesetzgeber immer beliebter geworden. Insbesondere der E 1962 hatte hier Vorbildfunktion. So sind heute viele ehemals selbständige Tatbestände nur noch Regelbeispiele (so etwa die Vergewaltigung als besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung).

Allerdings wird der weite Entscheidungsspielraum des Richters auch kritisiert. Der möglicherweise höheren Einzelfallgerechtigkeit stehe ein geringerer Einfluss des Gesetzgebers gegenüber. Teils wird in der Regelbeispielstechnik sogar ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gesehen. Andererseits führen die konkretisierenden Regelbeispiele jedenfalls zu größerer Rechtssicherheit als besonders schwere Fälle ohne Regelbeispiele, die es schon immer gab und auch heute noch gibt. Somit sind die Regelbeispiele ein Kompromiss zwischen der Rechtssicherheit der tatbestandlichen Qualifikationen und der Einzelfallgerechtigkeit der unbenannten Strafschärfungsgründe.

Schwierigkeiten bereitet mitunter die Tatsache, dass der Gesetzgeber zwar zahlreiche Regelbeispiele im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs eingeführt hat, aber keine allgemeinen Regelungen dieser Technik normiert hat.

Dogmatik

Bei solchen Strafzumessungsregeln, die aber tatbestandsähnlich ausgestaltet sind, stellt sich jeweils die Frage nach der Anwendbarkeit der Regeln des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches. Diese Regeln sind nämlich auf Straftatbestände zugeschnittenen.

Vorsatz

Allgemein anerkannt ist, dass der Täter vorsätzlich handeln muss, obwohl § 15 StGB unmittelbar nicht anwendbar ist. Auch § 16 StGB (Tatbestandsirrtum) wird analog angewandt.

Versuch

Sehr umstritten sind dagegen Probleme, die bei den Regelbeispielen im Zusammenhang mit dem Versuch entstehen.

Sicher ist, dass man ein Regelbeispiel schon begrifflich nicht „versuchen“ kann, eben weil es keinen Tatbestand darstellt. Gestritten wird aber darüber, ob und wann die Indizwirkung des Regelbeispiels dennoch eingreift. Im einzelnen lassen sich sehr unterschiedliche Fälle unterscheiden. So kann etwa die Tat vollendet sein, die Merkmale des Regelbeispiels aber nicht alle verwirklicht oder umgekehrt die Tat nur versucht, die Merkmale des Regelbeispieles aber verwirklicht. Die Rechtsprechung gelangt wegen der Tatbestandsähnlichkeit der Regelbeispiele weitgehend zu Lösungen, die im Ergebnis einer entsprechenden Anwendung der Versuchsregeln auf Regelbeispiele ähneln. Dem wird in der Literatur entgegnet, es handle sich der Sache nach um eine verbotene Analogie zu Lasten des Täters.

Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Unterschriftenfälschung — Urkundenfälschung ist die Herstellung unechter Urkunden, die Verfälschung echter Urkunden, und der Gebrauch unechter oder verfälschter Urkunden in der Absicht, den Rechtsverkehr zu täuschen. Die Urkundenfälschung ist im deutschen Recht nach § 267 …   Deutsch Wikipedia

  • Unterschriftsfälschung — Urkundenfälschung ist die Herstellung unechter Urkunden, die Verfälschung echter Urkunden, und der Gebrauch unechter oder verfälschter Urkunden in der Absicht, den Rechtsverkehr zu täuschen. Die Urkundenfälschung ist im deutschen Recht nach § 267 …   Deutsch Wikipedia

  • Arbeitsgerät — Werkzeuge Ein Werkzeug ist ein Hilfsmittel, um auf Gegenstände (Werkstücke oder Materialien im weitesten Sinne) mechanisch einzuwirken, im weiteren Sinne für Hilfsmittel im allgemeinen. Die Gesamtheit der Werkzeuge, die nötig für eine Tätigkeit… …   Deutsch Wikipedia

  • Betrugsprüfung — Versicherungsbetrug ist die unberechtigte Erlangung einer Geld oder Sachleistung von einem Versicherungsunternehmen durch den Versicherungsnehmer oder einen Anspruchsteller in betrügerischer Absicht. Dies entspricht dem allgemeinen Tatbestand des …   Deutsch Wikipedia

  • Der Versuch ist strafbar — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Der Versuch bezeichnet im Strafrecht ein Deliktsstadium vor Vollendung (§ 22 StGB) …   Deutsch Wikipedia

  • Fehlgeschlagener Versuch — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Der Versuch bezeichnet im Strafrecht ein Deliktsstadium vor Vollendung (§ 22 StGB) …   Deutsch Wikipedia

  • Geschlechtliche Nötigung — Sexuelle Nötigung ist ein strafrechtlicher Sammelbegriff für sexuelle Handlungen, die gegen den Willen des Sexualpartners, der dementsprechend Opfer ist, vorgenommen werden. Inhaltsverzeichnis 1 Deutsche Rechtslage 2 Österreichische Rechtslage 3… …   Deutsch Wikipedia

  • Handwerkzeug — Werkzeuge Ein Werkzeug ist ein Hilfsmittel, um auf Gegenstände (Werkstücke oder Materialien im weitesten Sinne) mechanisch einzuwirken, im weiteren Sinne für Hilfsmittel im allgemeinen. Die Gesamtheit der Werkzeuge, die nötig für eine Tätigkeit… …   Deutsch Wikipedia

  • Liturgisches Gerät — Weinkanne. Abendmahlskelch …   Deutsch Wikipedia

  • Rücktritt (Strafrecht) — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Der Versuch bezeichnet im Strafrecht ein Deliktsstadium vor Vollendung (§ 22 StGB) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”