- Reichsheimstättengesetz
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Die Reichsheimstätte war ein deutsches Rechtsinstitut von 1920, wodurch das Eigentumsrecht an Immobilien eingeschränkt wurde. Dieses Rechtsinstitut wurde aus sozialen Gründen mit dem Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920[1] geschaffen. Das Reichsheimstättengesetz wurde durch das Gesetz zur Aufhebung des Reichsheimstättengesetzes vom 17. Juni 1993[2] mit Wirkung zum 1. Oktober 1993 aufgehoben.
Der Zweck war der vor möglichen Gläubigern geschützte Besitz von Wohneigentum und die Bindung des Eigentümers an bestimmte bodenpolitische Ziele. Die sogenannten Heimstätten wurden zumeist durch staatliche oder kommunale Einrichtungen ausgegeben. Der sogenannte Heimstätter konnte das Eigentum an einer Heimstätte erwerben. Die Rechte aus dem Eigentum waren jedoch zu Gunsten des Ausgebers eingeschränkt. Diese Einschränkungen dienten auch zum Schutz des Eigentümers einer Heimstätte. Zu Gunsten des Heimstätters war die Zwangsvollstreckung in das Grundstück beschränkt. Dem Ausgeber stand ein gesetzliches Vorkaufsrecht zu. Für die Belastung oder Teilung eines Grundstücks war die Zustimmung des Ausgebers erforderlich. Im Falle einer missbräuchlichen Verwendung einer Heimstätte hatte der Ausgeber ein Rückkaufsrecht (Heimfallanspruch). Zudem war eine Reichsheimstätte nicht frei vererbbar.
Das Rechtsinstitut der Heimstätte wurde auch in der Schweiz gesetzlich geregelt und hat dort keinerlei praktische Bedeutung erlangt.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung des Reichsheimstättenrechts
Mit dem Begriff „Heimstätte“ verbindet man fast automatisch die nach dem ersten Weltkrieg einsetzende Entwicklung, den aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten Wohnraum in die Form sog. „Kriegerheimstätten“ zur Verfügung zu stellen. Dabei wird aus heutiger Sicht meist übersehen, dass der Heimstättengedanke historisch wesentlich tiefere Wurzeln besitzt und dass die praktische Umsetzung dieser Idee nicht nur im ländlichen Bereich durch die Kriegerheimstätten der frühen 20er Jahre geschieht, sondern eben auch durch moderne großstädtische Siedlungen des Neuen Bauens wie der Frankfurter Siedlung Praunheim als der größten deutschen Heimstättensiedlung.
Die tiefere Idee der Heimstätte liegt darin, dass bei dieser besonderen Form sozialpolitisch gebundenen Eigentums unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des selbstnutzenden Eigentümers Grund und Boden und das darauf befindliche Wohnhaus unter allen Umständen dem Zugriff eventueller Gläubiger entzogen bleibt: Haus und Hof kann man durch unglückliche Umstände verlieren oder leichtsinnig verspielen, eine Heimstätte aber bleibt als Hort der Familie dauerhaft erhalten. Damit besitzt die Heimstätte zwei zentrale Funktionen: Zum einen sichert sie durch die räumliche Abgrenzung des Sonderrechts den Schutz des Bodens im Sinne einer gerechteren Eigentumsverteilung; zum anderen sichert sie den Schutz des Menschen durch den Erhalt eines gewissen Mindestbedarfs an Grundeigentum. Die Wurzeln der Heimstättenidee gehen auf die Besiedlung Nordamerikas im frühen 19.Jahrhundert zurück; in Texas wird im Jahre 1839 das erste „homestead extension law“ erlassen. In Europa lassen sich im 19. Jahrhundert bereits seit den 60er Jahren ähnliche Gesetze zum Schutz des landwirtschaftlichen Besitzes in Rumänien (1864) und Serbien (1865) nachweisen; gesetzgeberische Anregungen gibt es seinerzeit in der Schweiz (1882), Belgien (1889 und 1893), Deutschland (1890 und 1905), Italien (1894 und 1910) und Frankreich (1894), es kommt aber vorerst in keinem der Staaten zur rechtlichen Kodifizierung. Erst im frühen 20.Jahrhundert werden das Schweizer Zivilgesetzbuches von 1907 und des französischen „Loi sur la constitution d'un bien de famille insaisissable“ von 1909 als erste gesetzliche Grundlage für auf die reine Wohnfunktion zugeschnittene Heimstätten verabschiedet. Die schlechten Wohnbedingungen der arbeitenden Klasse führen in Deutschland noch im 19.Jahrhundert zur Wohnungsreformbewegung und zu strukturellen Überlegungen einer gezielten Abhilfe; als Indiz für diese Entwicklung stehen die Gründungen von Baugenossenschaften, Mietervereinen und politisch agierenden Verbänden. Die Heimstättenbewegung erhält weiteren Auftrieb, als sich der „Bund deutscher Bodenreformer“ kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges dieser Idee annimmt. Nach dem verlorenen Krieg kommt es zu einer Verklammerung der sozialpolitischen Heimstättenidee mit dem im Volk positiv besetzten Gedanken, vor allem den Kriegsbeschädigten dauerhaft gesicherten Besitz eines begrenzten Stückes Heimatboden zu verschaffen.
Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920
Die Entstehung des Reichsheimstättengesetzes zog sich über einen längeren Zeitraum hin. Schon 1916 ersuchte der deutsche Reichstag den Reichskanzler mittels einer einstimmig verabschiedeten Entschließung, dem Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Bis zur Gesetzesreife auf Reichsebene dauerte es allerdings noch ein paar Jahre; in der Zwischenzeit erlassen unmittelbar nach Kriegsende einige kleinere Bundesstaaten landeseigene Heimstättengesetze. Knapp zwei Jahre nach Beendigung des verlorenen Krieges, dem Ende des Kaiserreichs und dem erfolgreichen Ablauf der Revolution von 1918 kam es mit dem Erlass des „Reichsheimstättengesetzes“ doch noch zu einer einheitlichen Rahmengesetzgebung: Nach einer langen Phase der Entwicklung wurde am 10. Mai 1920 von der verfassungsgebenden Nationalversammlung nahezu einstimmig das Reichsheimstättengesetz verabschiedet; verfassungsmäßige Rechtsquelle für dieses Gesetzesvorhaben bot der Artikel 10, Ziffer 4 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919. Weitergehendere Vorstellungen der Gewerkschaften und des Bundes Deutscher Bodenreformer zu einer grundlegenden Bodenreformpolitik enden in einer gemeinsam mit dem Gesetz verabschiedeten Resolution.
Das Reichsgesetz beschränkte sich als ein Rahmengesetz darauf, reichseinheitlich die Rechtsform der „Reichsheimstätte“ zu regeln; so werden neben der rechtlichen Sonderstellung einer Heimstätte insbesondere „Ausgeber“ und „Heimstätter“ definiert und ihr internes Verhältnis öffentlich-rechtlich festgelegt: Als Ausgeber kommen nach _ 1 RHG generell nur das Reich, die Länder und die Kommunen infrage; die Länder können aber weitere gemeinnützige Unternehmen mit der Ausgebereigenschaft ausstatten. Als Heimstätter sind natürlich „Kriegsteilnehmer, insbesondere Kriegsbeschädigte, sowie Witwen der im Kriege Gefallenen und kinderreiche Familien ... vorzugsweise zu berücksichtigen“; grundsätzlich können aber auch andere Personenkreise bei der Vergabe einer Heimstätte berücksichtigt werden.
Zur inhaltlichen Begrifflichkeit einer Heimstätte wird im RHG lediglich ausgeführt, dass es sich um eine in Eigentum ausgegebene „Wohnheimstätte“ (Einfamilienhaus mit Nutzgarten) oder „Wirtschaftsheimstätte“ (Anwesen zur Bewirtschaftung durch eine Familie) handeln kann. Die Sonderstellung einer Reichsheimstätte besteht neben dem persönlichen Schutz der Heimstätterfamilie in der direkten Verhinderung einer spekulativen Verwertung durch die Eigentümer; daraus resultiert die dauerhafte Zweckerhaltung der Heimstätte als sozial gebundener Wohnort. Zur Absicherung der Bindungen ist die Heimstätteneigenschaft unter Nennung des jeweiligen Ausgebers und dem entsprechenden Bodenwert in das Grundbuch eingetragen; der hier in die Abteilung II eingetragene „Heimstättenvermerk“ steht dabei an der ersten Rangstelle.
Demnach ist das Reichsheimstättengesetz ein bodenpolitisches Grundlagengesetz und kein Finanzierungsgesetz. Als materiell-rechtliche Bestimmungen findet sich im RHG ausschließlich die Befreiung „von allen Gebühren, Stempelabgaben und Steuern des Reichs, der Länder und sonstigen öffentlichen Körperschaften“; hierdurch können in den 20er Jahren bei der Errichtung bei jeder einzelnen Heimstätte rund 400 bis 500 RM eingespart werden. Dieser für damalige Zeiten durchaus beachtliche Betrag entspricht in etwa der üblichen Eigenbeteiligung der Heimstätter dem Kauf des Hauses. Darüber hinausgehende generelle Regelungen zur materiellen Ausgestaltung des Heimstättenwesens überlässt man ebenso wie weitere Konkretisierungen zur Durchführung jeweils der Landesgesetzgebung; von den teilweise erst nach einigen Jahren dem RHG nachfolgenden Landesgesetzen ist das preußische Ausführungsgesetz vom 18. Januar 1924 nebst den Ausführungsbestimmungen des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 25. April 1924 und den Richtlinien vom 18. Januar 1929 das Bedeutendste.
Eine Besonderheit dieses sich ausschließlich auf Wohnheimstätten beschränkenden Ausführungsgesetzes liegt in der nach _ 4 Pr.AFG ermöglichten Ausweisung von „Heimstättengebieten“; in den durch eine Ortssatzung der im eigenen Wirkungskreis hierfür zuständigen Kommune abgegrenzten Gebieten dürfen dann nur noch Wohnheimstätten errichtet werden. Unabhängig von derartigen Gebietsausweisungen können Heimstätten auch außerhalb der extra ausgewiesenen Gebiete, d.h. überall begründet werden. Durch die kommunale Ausweisung einen Heimstättengebietes wird ein bodenrechtliches und städtebauliches räumliches Sonderrecht in einer Art Doppelstrategie auf zwei unterschiedlichen Wegen begründet: Einerseits soll mit der Möglichkeit der Gebietsausweisung insbesondere für größere Städte die Bodenvorratspolitik z.B. durch direkte Enteignungsmöglichkeiten erleichtert werden. Andererseits stellen die Heimstättengebiete aber baurechtlich eine Besonderheit dar, denn in den Gebieten kann die kommunale Planungshoheit partiell aufgehoben werden.
Zur Umsetzung des Heimstättengedankens
Die praktische Umsetzung der Heimstättenidee ließ trotz der intensiven Vorarbeiten der genannten doch unerwartet lange auf sich warten und erreichte insgesamt nicht den Umfang, den die hinter dieser Idee stehenden Betreiber annahmen. Über den Gesamtumfang aller während der 1920er Jahre als Reichsheimstätten neu errichteten Wohnbauten gibt es keine verlässlichen Zahlen. Ganz grob kann man davon ausgehen, dass in der Zeit der Weimarer Republik insgesamt im Deutschen Reich rund 20.000 neu erbaute Kleinhäuser mit dem Reichsheimstättenvermerk versehen wurden. Im Dritten Reich wird das RHG durch das Änderungsgesetz vom 24. November 1937 neu formuliert und in der bis vor kurzen gültigen Neufassung veröffentlicht. Bezüglich der praktischen Umsetzung kann man kann ganz grob davon ausgehen, dass die Anzahl der Heimstätten sich zwischen 1933 und 1936 auf rund 40.000 verdoppelt und sich dann bis 1945 noch einmal auf eine grob geschätzte Gesamtzahl von 80.000 verdoppelt. Diese auf einer groben Schätzung beruhenden Zahlen würden bedeuten, dass rund 60.000 Einheiten und damit etwa 3/4 der Heimstätten erst im Dritten Reich errichtet werden.
Rolle der Reichsheimstättenrecht nach 1945
Neue Reichsheimstätten werden nach dem zweiten Weltkrieg kaum noch ausgegeben, auch wenn noch in den frühen 50er Jahren die öffentliche Förderung von Eigenheimen und Kleinsiedlungen teilweise von der Begründung der Reichsheimstätteneigenschaft abhängig gemacht wird. Durch das II.Wohnungsbaugesetz von 1956 wird die von den Bewilligungsbehörden verlangte Bindung der öffentlichen Förderung an diese besondere Eigentumsform durch den § 52 WoBauG direkt untersagt. Seitdem ist die Rechtskonstruktion der Reichsheimstätte für die zukünftige, öffentlich geförderte Wohnungsversorgung praktisch bedeutungslos. Im weiteren werden einzelne Paragraphen des RHG durch Änderungsartikel schon im Laufe der Zeit außer Kraft gesetzt. Dennoch ist das Reichsheimstättengesetz in der BRD rechtssystematisch nicht grundsätzlich aufgehoben und gilt daher für alle bisher auf dieser Rechtsgrundlage begründeten und nicht wieder gelöschten Heimstätten bis 1993 fort. Die durchaus mögliche nachträgliche Ausweisung von bestehenden Einfamilienhäusern als Reichsheimstätten wird noch Ende der 70er Jahre in offensichtlich stärkerem Maße von Käufern gebrauchter Eigenheime betrieben, um die beim Kauf anfallende Grunderwerbssteuer von damals noch 7 % des Kaufpreises einzusparen; auch die Gerichtsgebühren für die Grundbucheintragung und die Gebühren der Katasterämter und Baubehörden entfallen hierbei und sogar die Notare haben für den Kaufvertrag Gebührenermäßigung zu gewähren. Seitdem ist es aber still geworden um diese besondere Rechtskonstruktion des sozial gebundenen Eigentums. Nach einer langen Zeit des unveränderlichen Status quo lassen sich seit 1988 erste Tendenzen der Aufhebung erkennen. Mit Erlass vom 22. August 1988 weist der Hessische Minister des Innern im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen die Ausgeber im Lande Hessen an, bei Anträgen auf Aufhebung diesen ohne weitere Prüfung stattzugeben. Die im Laufe der Jahrzehnte von den Heimstättern ersparten Gebühren und Steuern werden entgegen der bisherigen Rechtslage nicht zurückverlangt. Infolge dieses Erlasses wird der Heimstättenvermerk in ca. 180 von den rund 1000 Reichsheimstätten in der Frankfurter Siedlung Praunheim gelöscht.
Als letzte Entwicklung bereitet die Bundesregierung seit Sommer 1992 die inzwischen erfolgte Aufhebung des Gesetzes vor. Grund für diese überraschende Aktivität ist zum einen die generelle Deregulierung des Wohnungswesens, zum anderen aber auch die besondere Situation der Heimstätten in den neuen Ländern; hier ist die Heimstätteneigenschaft schon zuvor durch das Zivilgesetzbuch der DDR aufgehoben und durch den Einigungsvertrag von 1990 erneut wieder in Kraft getreten. In der Gesetzesvorlage zur Aufhebung wird auf eine Rückzahlung der ersparten Gebühren ausdrücklich verzichtet; dass durch dieses „Geschenk“ an die Eigentümer nicht nur direkte Verluste, sondern im Falle der Vermarktung zu wesentlich höheren Kaufpreisen langfristig durchaus merkliche Steuerausfälle zu verzeichnen sein werden, wird vom Gesetzgeber außen vor gelassen. Wohnpolitisch muss man diese Wendung nach der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes zum 1. Januar 1990 als einen weiteren Verlust bisher gewachsener Strukturen empfinden, auch wenn natürlich die Relevanz des Heimstättenrechts nicht mit der des Gemeinnützigkeitsrechts zu vergleichen ist. Aber gerade jetzt nach dessen Aufhebung hätte die gebundene Eigentumsform vielleicht noch einmal eine Renaissance erleben können. Statt dessen kommt der Abschied.
Anmerkungen
- ↑ RGBl. Seite 962; später in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. November 1937 im RGBl. I auf der Seite 1291.
- ↑ BGBl. 1993 I S. 912.
Literatur
- Erich Brockhaus: Wohnheimstätten. Diss. Göttingen 1931
- Ronald Kunze: Wohnen mit sozialer Bindung. Aufstieg und Niedergang des Reichsheimstättenrechtes. In: Difu (Hg.): Informationen zur modernen Stadtgeschichte. Wohnen in der Stadt. Heft 2/1993, S. 24-29
- Remmer Mauritius: Heimstätten noch interessant? Auslegung von Grundstücken nach dem Reichsheimstättengesetz - ein Weg, um vorläufige Grunderwerbssteuerbefreiung zu erlangen. In: AIZ - Allgemeine Immobilien-Zeitung. Heft 3/1977, S. 46-48
- Mewes: Heimstätte. In: Josef Brix; Hugo Lindemann; Otto Most; Hugo Preuss; Albert Südekum (Hg.) : Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften. Jena 1922, S. 492-495
- Rudolf Meyer: Heimstätten und andere Wirtschaftsgesetze in den Vereinigten Staaten von Amerika. Berlin 1883
- Heinrich Simon: Heimstättenrecht. In: Herrmann Wandersleb (Hg.): Handbuch für Wohnungs- und Siedlungswesen. Bonn 1959, S. 1248-1250
- Heinrich Zeul: Heimstätten. Rechtliche Grundlagen und ihre Bedeutung für Frankfurt. In: DIE SIEDLUNG. Heft 8/1929, S. 5-6 und Heft 9/1929, S. 4-6
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