Reinkarnationsforschung

Reinkarnationsforschung

Reinkarnationsforschung untersucht Erinnerungen, die als solche an ein früheres Leben interpretiert wurden. Dabei wird geprüft, ob sich der Fall als Betrug, Selbstbetrug oder durch psychologische, parapsychologische oder spiritistische Annahmen erklären lässt. Für so scheinbar nicht erklärbare Fälle hält die Reinkarnationsforschung das Vorliegen einer tatsächlichen Reinkarnation für möglich.

Inhaltsverzeichnis

Fallstudien

Von den 1960er Jahren bis kurz nach der Jahrtausendwende untersuchte der Pionier der Reinkarnationsforschung Ian Stevenson über tausend Fälle von Kindern, die behaupteten, sich an frühere Inkarnationen zu erinnern. Seine Untersuchungen finden bei Reinkarnationsforschern besondere Beachtung. Aufgrund der hohen Anzahl untersuchter Fälle mit entsprechend hoher Validität genießen die Untersuchungen Professor Stevensons bei einigen Fachleuten Anerkennung. Beim phänomenologischen Vergleich der Reinkarnation-Erinnerungen mit Berichten zu Nahtodeserlebnissen (engl. near-death experience, NDE) und den allgemeineren außerkörperlichen Erfahrungen (AKE; engl. Out-of-the-body experience, abgekürzt OBE) ergeben sich Hinweise auf einen gemeinsamen Kern.

Autoren wie Paul Edwards haben viele der von Stevenson und anderen angeführten Fälle erneut analysiert. Sie behaupten, dass genauere Untersuchungen der betroffenen Individuen genügend Anhaltspunkte dafür liefern, um die These zu schwächen, dass es sich um glaubwürdige Beispiele von Reinkarnation handelt.

Als Fall vom Reinkarnationstyp (englisch: case of the reincarnation type) bezeichnet Stevenson den Fall einer Person, deren geäußerte Erinnerungen, Verhalten oder auch körperliche Eigenschaften auf die Möglichkeit eines früheren Lebens im Sinne der Reinkarnation hindeuten (suggestive of reincarnation).

Einteilung der Fälle in Untertypen

Primär zu unterscheiden ist zwischen gelösten Fällen (solved cases) und ungelösten (unsolved cases), je nachdem ob eine verstorbene Person gefunden wurde, auf die sich die vorhandenen Hinweise eindeutig beziehen. Weitere Einteilungskriterien sind:

  • Die frühere und die gegenwärtige Person können derselben Familie angehören (same family cases) oder nicht.
  • Das Geschlecht der früheren und der gegenwärtigen Person kann gleich oder verschieden sein.
  • Die Erinnerungen können auf unterschiedliche Weise ausgelöst worden sein. Wissenschaftlich am wertvollsten sind spontane Erinnerungen insbesondere bei kleinen Kindern (dazu zählen die meisten von Stevensons Fällen). Hypnotische Fälle hingegen erwiesen sich für die Forschung nur in Ausnahmefällen als nützlich. Ganz selten gibt es Erinnerungen unter dem Einfluss von Meditation.
  • Nach geographischen Gesichtspunkten lassen sich nationale von internationalen Fällen unterscheiden. Stevensons internationale Fälle, die nicht innerhalb derselben Familie auftraten (im Zweiten Weltkrieg in Birma getötete japanische Soldaten, an deren Leben sich birmanische Kinder erinnerten), waren bisher ausnahmslos ungelöst.
  • Grundsätzlich ist auch noch zwischen Fällen mit berühmten und unbedeutenden Vor-Inkarnationen zu unterscheiden. Allerdings sind bisher nur wenige Fälle wissenschaftlich untersucht worden, die auf ein Vorleben als berühmte Persönlichkeit hindeuteten, und diese konnten sämtlich als offensichtlicher Betrug oder Selbstbetrug identifiziert werden.

Einige Sonderfälle treten nur sehr selten auf:

  • Xenoglossie: Kenntnisse fremder, im gegenwärtigen Leben nicht erlernter Sprachen, die zu einem erinnerten Vorleben passen.
  • Zeitliche Überlappungen: Es sind einige Fälle untersucht worden, bei denen der Tod der identifizierten früheren Person nach der Geburt der gegenwärtigen stattgefunden hat. Das Ausmaß beträgt durchwegs nur wenige Tage. In einem Fall jedoch (dem Fall Jasbir in Indien) waren es dreieinhalb Jahre. In diesem Alter starb Jasbir vermeintlich an den Pocken, erwachte aber wieder und nahm danach die Persönlichkeit eines 22-jährigen Mannes an, der kurz zuvor in einem anderen Dorf plötzlich verstorben war. Zeitliche Überlappungen der Schwangerschaft mit dem Leben der später erinnerten früheren Person treten häufiger auf.
  • Für die Forschung besonders interessant sind Fälle, in denen schriftliche Protokolle über die Äußerungen eines Kindes gemacht wurden, bevor man begann, sie zu überprüfen.
  • Ebenfalls bedeutend sind Fälle, die in einem dem Reinkarnationsglauben feindlichen kulturellen Umfeld auftreten. Die wichtigsten Beispiele dafür waren Moslem-Kinder in Indien, die sich an ein Vorleben als Hindus erinnern.

Beobachtungen, die für die Forschung relevant sind

Folgende Elemente spielen in Fällen von Reinkarnationstypen für die Forschung eine wichtige Rolle:

  • Erinnerungen, die sich verifizieren lassen: Diese sind umso bedeutender, je unwahrscheinlicher es ist, dass die sich erinnernde Person die erinnerten Informationen auf gewöhnlichem Weg erfahren haben könnte. Deshalb wird der Möglichkeit früherer Kontakte zwischen den beiden betroffenen Familien große Aufmerksamkeit gewidmet.
  • Verhaltens-Eigenschaften, die im Zusammenhang mit dem erinnerten Vorleben psychologisch sinnvoll sind. Dazu zählen:
    • Phobien, also Furcht vor Dingen, die der Vorinkarnation Schaden zufügten, insbesondere vor solchen, die mit ihrem gewaltsamen Tod im Zusammenhang stehen (beispielsweise gegen Wasser bei einer Erinnerung an einen Tod durch Ertrinken).
    • Philien, also Zuneigungen zu Dingen, die schon für die Vorinkarnation mit Lustgewinn verbunden waren (z. B. bestimmte Speisen)
    • emotionale Beziehungen zu bestimmten Personen in gleicher Weise, wie sie der oder die Verstorbene zeigte oder in einer vergleichbaren Situation wohl gezeigt hätte
    • kollektive Freund-Feind Beziehungen, wie sie z. B. im Nationalismus oder der Blutrache zum Ausdruck kommen
    • religiöse Einstellungen und die Intensität der Religiosität
    • Sprechgewohnheiten
    • Besitzansprüche auf das Eigentum der Vorinkarnation
    • das soziale Selbstverständnis
    • geschlechtsspezifische Verhaltensweisen bei Geschlechtswechsel
    • sexuelle Verhaltensweisen
    • Spiele von Kindern, die früheren (privaten oder beruflichen) Tätigkeiten entsprechen
    • der hygienische Standard
    • allgemeine Charaktereigenschaften (z. B. Mut)
  • Ankündigungen. Entweder äußert sich die frühere Person vor ihrem Tod über ihre Wünsche hinsichtlich der Wiedergeburt in einer bestimmten Familie, oder es treten Ankündigungsträume der späteren Mutter oder einer nahestehenden Person auf, die zumeist eine Anfrage des Verstorbenen zum Inhalt haben, ob er willkommen ist. Wegen der Möglichkeit der Beeinflussung durch eine solche Ankündigung ist der wissenschaftliche Wert angekündigter Fälle vergleichsweise niedriger einzustufen.
  • Körperliche Merkmale und Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Vorleben: Dazu zählen Muttermale, aber auch angeborene Fehlbildungen an Stellen früherer (und häufig tödlicher) Verletzungen. Für die Forschung ist dies wichtig, weil sich solche körperliche Phänomene völlig objektiv und unstrittig feststellen lassen. Stevenson hat eine große Zahl derartiger birthmarks fotografiert.

Geschichte

  • Antike Berichte über Erinnerungen an frühere Leben gibt es betreffend Pythagoras und Apollonius von Tyana.
  • Der indische Herrscher Aurangzeb, der von 1658 bis 1707 regierte, ließ, obwohl er Moslem war, einen Fall von Rückerinnerung untersuchen.
  • Der nächste bekannte Fall war der des 1815 geborenen Japaners Katsugorō, der 1897 publiziert wurde:
    Der Japaner Katsugorō wurde 1815 in Nakano im Distrikt Tama-gōri der Provinz Musashi (Japan) als zweiter Sohn des Korbflechters Koyada (= Familienname) Genzō und seiner Frau Sei geboren. Als Kind äußerte er Erinnerungen an ein Vorleben als Tōzō (1805-1810), den Sohn des Bauern Kyūbei in Hodokubo (im selben Distrikt). Katsugorō wies auch ein zu seinen Erinnerungen passendes Muttermal auf. Der erste Bericht über den Fall stammt von Lafcadio Hearn, der ihn in seinem Buch Gleanings in Buddha-fields (1897) beschrieb. Da lange vor und nach diesem Fall kein weiterer bekannt ist, wird er in der Literatur oft erwähnt.
  • 1898 erschien das Werk The soul of a people von Fielding Hall, das sechs weitere Fälle aus Birma beschreibt.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde über einige Fälle sporadisch in Zeitungen und okkultistischen Zeitschriften berichtet. Die meisten von ihnen ereigneten sich in Indien.

  • Shanti Devi: der bekannteste der indischen Fälle. Die am 12. Oktober 1926 in Delhi (Indien) als Tochter von Rang Bahadur und seiner Frau Prem Pyari geborene Shanti Devi begann im 3. oder 4. Lebensjahr Erinnerungen an ein Vorleben im Muttra (= Mathura in Uttar Pradesh) zu erzählen. Damals sei sie Lugdi Devi gewesen, die zweite Gattin des Stoffhändlers Kedar Nath Chubey, die am 18. Januar 1902 geboren wurde und nach der (am 25. oder 26. September 1925 erfolgten) Geburt ihres Sohnes Nabinata Lal am 4. Oktober 1925 in Agra im Wochenbett starb. Am 13. November 1935 erhielt Shanti Devi den Besuch von Kedar Nath und seinem Sohn und am 24. November 1935 fuhr sie (begleitet von einer Untersuchungs-Kommission) selbst erstmals nach Muttra, wo sie angeblich mehrere Personen und Örtlichkeiten wiedererkannte. Auch soll sie ungewöhnliche Kenntnisse des lokalen Dialekts von Muttra gezeigt haben (siehe Xenoglossie).
  • 1956 erregte ein hypnotischer Fall in Amerika mit einem Vorleben in Irland (als Bridey Murphy) internationales Aufsehen.
  • 1961 unternahm Ian Stevenson seine erste Forschungsreise nach Indien, wo er zu seiner Verwunderung auf zahlreiche Fälle von Reinkarnation stieß. 1966 veröffentlichte er 20 davon in seinem weltweit bekannten Werk Twenty cases suggestive of reincarnation, das auch Fälle aus Ceylon (heute Sri Lanka) und Brasilien, dem Libanon (bei den Drusen) und Alaska (bei den Tlingit-Indianern) enthielt. Stevenson, der 2007 starb, war trotz seines zuletzt hohen Alters bis zu seinem Tod in der Erforschung solcher Fälle aktiv, die sich später auch auf die Türkei (bei den Aleviten), Birma, Thailand und Westafrika erstreckten.

Die Erklärungsversuche

Einzelfälle

Jeder Fall ist individuell daraufhin zu untersuchen, welche Erklärung für ihn am wahrscheinlichsten zutrifft.

  • Betrug: Der bekannteste höchstwahrscheinlich betrügerische Fall war der eines israelischen Kindes, das sich an ein Vorleben als König David erinnert haben soll. Nachprüfungen zeigten, dass der Fall praktisch zur Gänze frei erfunden war. Klar betrügerische Fälle sind sehr selten, weil es für sie kaum eine nennenswerte Motivation gibt. Die häufig geäußerte Vermutung, die Betreffenden versuchen, durch die Erfindung eines reichen oder berühmten Vorlebens ihre soziale Position zu heben, ist in Bezug auf die Länder Südasiens gegenstandslos, in denen die meisten untersuchten Fälle auftraten: Nach dem dort herrschenden Karma-Glauben ließe ein sozialer Abstieg nur auf schwere Verfehlungen im Vorleben schließen.
  • Selbstbetrug: Es gibt Fälle, die sich am leichtesten dadurch erklären lassen, dass Eltern Äußerungen ihres Kindes missverstanden und sich in ihrer Phantasie einen Fall zusammengereimt haben. Das bekannteste Beispiel dafür ist eine angebliche Reinkarnation des amerikanischen Präsidenten Kennedy in dem kurz nach seinem Tod geborenen Türken Kenedi Alkan (sein Vorname ist die türkische Schreibweise von Kennedy).
  • Kryptomnesie: Unter Kryptomnesie versteht man eine Schein-Erinnerung an Dinge, deren Informationsquelle man vergessen hat. So kann ein historischer Roman oder Film den Inhalt einer vermeintlichen Erinnerung an ein Vorleben bilden.
  • Paramnesie: (siehe Paramnesie) Fehlerhafte Erinnerungen von Eltern an das, was ihre Kinder bezüglich ihrer Vorinkarnationen sagten, könnten auftreten, nachdem Nachforschungen (bzw. Kontakte mit der früheren Familie des Kindes) neue Informationen erbracht hätten. Durch Vergleiche von Zeugenaussagen verschiedener Informanten und derselben Personen zu verschiedenen Zeiten (über Jahre hinweg) schließt Ian Stevenson, dass Gedächtnisfehler zumeist kein ernstes Problem darstellen. Um Paramnesie völlig auszuschließen, ist es wichtig, vor dem Beginn von Nachforschungen die noch unverifizierten Aussagen zu protokollieren.
  • genetisches Gedächtnis: Dies ist eine oft geäußerte, aber unbewiesene Erklärung. Zu den am häufigsten geschilderten Ereignissen gehört der Tod der früheren Person. Das genetische Gedächtnis (die genetische Übertragung von Wissen) ist bei vielen Tieren zu beobachten, vor allem aber bei Insekten (Spinnen lernen nicht, wie man Netze spinnt, sondern tun es automatisch).
  • außersinnliche Wahrnehmung: Bei der außersinnlichen Wahrnehmung (ASW) handelt es sich um ein parapsychologisches Phänomen, über dessen Existenz in der Wissenschaft noch kein Konsens besteht. Die starke Identifikation einer Person mit einer ganz bestimmten Verstorbenen kann es nicht erklären. Überdies schneiden Menschen mit Erinnerungen an frühere Leben bei Messungen ihrer ASW-Fähigkeiten nicht besser ab als der Durchschnitt.
  • Besessenheit: Die Besessenheit ist ein spiritistisches Modell, das annimmt, der Geist eines Verstorbenen beeinflusse die lebende Person oder verdränge sie vorübergehend. Für beide Varianten gibt es in der Parapsychologie je einen Vorzeige-Fall, der sie dringend nahezulegen scheint. Es sind dies der Fall Thompson-Gifford und das bekannte Watseka-Wunder. Allerdings weisen die meisten Fälle vom Reinkarnationstyp wenig Züge der Beeinflussung eines Menschen durch einen anderen auf, und eine Verdrängung geht in Reinkarnation über, wenn sie das ganze Leben vorhält.
  • Reinkarnation: Für alle jene Fälle, deren Erklärung auf eine bisher genannte Weise nicht möglich oder extrem unplausibel wäre, vermutet die Reinkarnationsforschung das Vorliegen einer tatsächlichen Reinkarnation, da weitere Alternativen nicht bekannt sind.

Die Gesamtheit der Fälle

Für die Forschung ist die Reinkarnation ein Naturphänomen, das auftreten kann, aber nicht unbedingt muss. Dafür führt sie auch Argumente ins Treffen, die sich aus der statistischen Gesamtbetrachtung aller untersuchten Fälle ergeben.

Dem widerspricht der Einwand des Modellfalls. Die Übereinstimmung verschiedener Fälle von Reinkarnationstyp bezüglich mehrerer Charakteristika ist zwar ein wichtiges Argument für das Vorliegen eines erklärungsbedürftigen Phänomens, verliert aber an Aussagekraft, wenn man annimmt, dass es (insbesondere bei Völkern, deren Religionen die Reinkarnation lehren) bestimmte kulturspezifische Reinkarnationsmodelle gibt, an denen sich im Einzelfall Beteiligte und Informanten unbewusst orientieren. Evans und Wentz vermuten als Erklärung von Beobachtungen, die für die Modelltheorie sprechen (wie z. B. das Fehlen von Fällen mit Geschlechtswechsel bei den Drusen, deren Religion diese Möglichkeit ausschließt), dass reale Reinkarnationsvorgänge durch die religiösen Erwartungen beeinflusst werden. Laut Stevenson weisen die Berichte in allen von ihm untersuchten Kulturen sowieso viele Eigenheiten auf, die von der Religion unabhängig sind, so das statistisch signifikante Überwiegen eines gewaltsamen Endes des vorangegangenen Lebens, das keine Religion lehrt.

Fallstudien

  • Dolores Jay, hypnotischer Fall mit xenoglossem Deutsch
  • Der Pollock-Fall ist der bedeutendste Fall in Europa. Er ereignete sich in England:
Die Schwestern Jacqueline und Joanna Pollock (sechs und elf Jahre alt) wurden am 5. Mai 1957 auf dem Weg zur Kirche von einem Auto getötet. Als deren Mutter (Florence Pollock) wieder schwanger wurde, glaubte ihr Vater (John Pollock) entgegen ärztlichen Vorhersagen fest an Zwillinge, in denen die verunglückten Mädchen reinkarnieren würden. Tatsächlich wurden am 4. Oktober 1958 die eineiigen Zwillinge Jennifer und Gillian in Hexham (Northumberland) geboren, die im Alter zwischen zwei und vier Jahren einschlägige Erinnerungen äußerten und Gegenstände (Spielsachen) wiedererkannten. Jennifer hatte überdies zwei Muttermale, die einem Muttermal Jacquelines an der linken Hüfte und einer Stirnnarbe entsprachen, die Jacqueline bei einem Sturz im Alter von drei Jahren erhalten hatte. Auch im Verhalten zeigten sich starke Ähnlichkeiten: Jennifer war ebenso abhängig von ihrer (etwas) älteren Schwester Gillian, wie früher Jacqueline von Joanne. Gillian lernte auch viel leichter die richtige Handhabung des Bleistiftes. Der Fall wurde von Hemendra Nath Banerjee und (ab 1964) von Ian Stevenson untersucht.
  • Der Fall Tin Aung Myo ist ein ungelöster internationaler Fall in Birma:
Die Birmanin Tin Aung Myo wurde am 26. Dezember 1953 in Nathul geboren. Während der Schwangerschaft hatte ihre Mutter Aye Tin einen Ankündigungstraum bezüglich eines japanischen Armee-Kochs, den sie im Krieg gekannt hatte. Tin Aung, den zusätzlichen Namen Myo gab sie sich erst später, um männlicher zu wirken, war etwa vier Jahre alt, als sie begann, von einem Vorleben als ein in Nathul stationierter japanischer Soldat zu erzählen, der dort beim Kochen von einem Flugzeug aus erschossen wurde.
Tin Aung Myo hatte als Kind panische Angst vor Flugzeugen. Verschiedene ihrer Verhaltensweisen (im Hinblick auf Essen, Wetter etc.) waren weit mehr für Japaner als für Birmanen typisch. Auch das Erlernen ihrer birmanischen Muttersprache fiel ihr schwer. Oft (insbesondere an trüben Tagen) äußerte sie Heimweh nach Japan. Sie war Linkshänderin, was sie auch von ihrer Vorinkarnation behauptete. Am ausgeprägtesten (und anhaltendsten) war ihre Identifikation mit dem männlichen Geschlecht. So wurde sie beispielsweise mit elf Jahren von ihrer Schule gewiesen, weil sie sich weigerte, Mädchenkleider zu tragen. Die Untersuchung des Falls durch Ian Stevenson und Win Maung begann 1972.
Stevenson fand noch etliche weitere Fälle von Birmanen, die von Erinnerungen an ein Vorleben als japanischer Soldat im Zweiten Weltkrieg berichteten. Sie sind (wie alle internationalen Fälle, die nicht auf eine Familie beschränkt sind) sämtlich ungelöst, d. h. es konnte keine zu den spärlichen Angaben passende verstorbene Person gefunden werden.

Abseits der erwähnten formalen Studien gibt es eine Vielzahl von Berichten, die mit erstaunlichen Details aufwarten, wie sie sonst nur spezialisierten Historikern bekannt sind. Diese Phänomene sind unstrittig, die weitergehende Fragestellung konzentriert so darauf, die Ursache für diese Erinnerung zu ergründen sowie die Eigeninterpretation der Berichtenden zu analysieren.

Forschungsergebnisse

Folgende Ergebnisse lassen sich formulieren, wenn man die Existenz der Reinkarnation voraussetzt:

  • Die untersuchten Fälle zeigen einen signifikanten Überhang an Erinnerungen an einen gewaltsamen Tod. Beim Rest mit Erinnerungen an einen natürlichen Tod trat dieser überwiegend plötzlich und zu einem Zeitpunkt ein, in dem der Verstorbene noch mitten im Leben stand. Stevenson verwendet dafür die Bezeichnung unfinished business. Ein Beispiel dafür wäre etwa eine Mutter mit kleinen Kindern.
  • Die weit verbreitete Meinung, ein plötzlicher Tod bei starken Bindungen an das Leben würde zu einer früheren Reinkarnation führen, wird durch die Statistik unterstützt. Da solche den Großteil der untersuchten Fälle ausmachen, ist die Zwischenzeit zwischen dem Tod der früheren und der Geburt der gegenwärtigen Person zumeist kürzer als 3 Jahre.
  • Die allermeisten Kinder, die Erinnerungen an ein Vorleben äußern, beginnen damit im Alter von 2 bis 5 Jahren. Ein Großteil von ihnen vergisst diese Erinnerungen bis zum Eintritt der Pubertät wieder.
  • Fälle vom Reinkarnationstyp treten zwar nicht ausschließlich, aber doch sehr gehäuft in Ländern auf, in denen der Glaube an die Reinkarnation weit verbreitet ist. Das wird von Kritikern als Argument gegen die Echtheit der für die Reinkarnation sprechenden Fälle angeführt, die sie für ein kulturelles Konstrukt halten. Demgegenüber nimmt die Evans-Wentzsche Hypothese an, dass die religiösen Erwartungen zu Lebzeiten Einfluss auf postmortale Gegebenheiten und auch auf die Erinnerungsbereitschaft haben können. Durch Stevensons letztes Buch "Reinkarnation in Europa" relativiert sich das Gegenargument, dass Reinkarnationserinnerungen nur in solchen Ländern auftreten, in denen die meisten Menschen an Wiedergeburt glauben, erneut.
  • Aus den bisherigen Untersuchungen ergaben sich keine Argumente zugunsten eines Karma, obwohl der Glaube daran in den Ländern Südasiens, in denen die meisten Fälle auftraten, ebenso stark ist wie der an die Reinkarnation selbst.
  • Es zeige sich die Gültigkeit der "Story'schen Vermutung" (benannt nach Francis Story, der mit Stevenson zusammenarbeitete), wonach Menschen dazu neigen würden, in der Nähe ihres Todesortes zu reinkarnieren, solange kein besonderer Grund für eine größere Entfernung vorliegt.
  • Fast in allen Fällen gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen der früheren und der gegenwärtigen Person, wobei der familiäre der häufigste ist. Auch die Leiche des Toten kann ein solches Verbindungsglied sein (beispielsweise in dem Fall der Bergung eines aus einem Fluss geborgenen Toten, an dessen Leben sich das bald danach dort geborene Kind später erinnert).
  • In den meisten Fällen, die Zwillinge betreffen, zeigen sich Erinnerungen an enge Beziehungen dieser beiden in einem Vorleben.
  • Ungelöste Fälle zeigen im Vergleich mit gelösten nur zwei statistisch signifikante Unterschiede: eine geringere Dauer der Erinnerungen (vermutlich bedingt durch vermindertes Interesse und die fehlende Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit den früheren Verwandten) und ein höherer Anteil an gewaltsamen Todesarten. Letzteres wird im Rahmen der Reinkarnationshypothese damit erklärt, dass solche Todesarten für die Betroffenen sehr eindrucksvoll sind, und deshalb leichter erinnert werden als andere, für die Identifizierung wichtige Details (wie etwa der Name).

Argumente gegen die Reinkarnationshypothese

Im einzelnen wird gegen die Reinkarnationshypothese vorgebracht:

  • Die Formulierung einer Seele als kohärentes übertragbares Medium wäre ein Verstoß gegen das für die empirischen Wissenschaften geltende wissenschaftliche Sparsamkeitsprinzip, wonach man nicht unnötig neue Elemente in ein Modell bringen soll, insbesondere wenn sich diese Elemente selbst eines Existenzbeweises entziehen. Die Einzelkritik an den Fällen ist daher bestrebt, aufzuzeigen, dass die Phänomene sehr wohl auf bekannte Prinzipien zurückführbar sind. In den verbleibenden Fällen ist die Beweislage unvollständig.
  • Die in der Öffentlichkeit sehr bekannte Methode zur Untersuchung der Phänomene mit Hilfe von hypnotischer Regression eines Mediums steht oftmals im Zentrum kritischer Auseinandersetzungen mit der Reinkarnationsforschung. Es wird kritisiert, dass der allergrößte Teil der auf diese Weise gewonnenen Informationen über angebliche Vorinkarnationen völlig illusorisch und wissenschaftlich wertlos sind, weil die Medien in der Hypnose ihre eigenen Phantasien wiedergeben. Oft können sie später im Wachen genau unterscheiden, was wirkliche Erinnerungen waren, und sie empfinden die Erlebnisse der Person, in deren geistigen Kosmos sie geschlüpft sind, als ihre eignen. Phantasien stehen dagegen isoliert in der Zeit, ändern von Session zu Session ihre Gestalt, werden dramatisch, aber unklar dargestellt und hängen mit dem Wachbewusstsein nicht direkt zusammen.[1]
  • Kritiker fordern auch, dass der Forschungsdrang hinsichtlich der Reinkarnations-Hypothese besser verstärkt auf die Erfassung bekannter Phänomene verwendet werden sollte. So ist der Mechanismus, gehörte Erlebnisse als Eigenerlebnisse zu reproduzieren, zwar als Kryptomnesie bekannt, aber noch unzureichend erforscht.

Insgesamt kann die Hypothese einer Reinkarnation wie jede Hypothese vielfältig in Zweifel gezogen werden. Die Reinkarnationsforschung liefert hier Studien, die für die auftretenden Fälle vom Reinkarnationstyp zumindest den Erklärungsrahmen einer phänomenologischen Untersuchung stark einengen. Auch wenn die Phänomenologie primär eine philosophische Erkenntnismethodik ist, so ist sie heute akzeptierter Teil des wissenschaftlichen Vorgehens, um aus bekannten Daten mögliche Theorien herauszukristallisieren, für die dann Fragenstellungen in einer Form formuliert werden, die mittels Test widerlegt werden können.

Literatur

  • Ian Stevenson: alle dort angegebenen Werke
  • Michael Newton: Die Reisen der Seele: Karmische Fallstudien. 10. Auflage, Astrodata Verlag 2009, ISBN 978-3907029503.
  • Michael Newton: Die Abenteuer der Seelen: Neue Fallstudien zum Leben zwischen den Leben. 4. Auflage, Astrodata Verlag 2009, ISBN 978-3907029718.
  • Eberhard Bauer: Lässt sich Reinkarnation wissenschaftlich beweisen? Methodologie und Ergebnisse der empirischen Reinkarnationsforschung. In: Perry Schmidt-Leukel (Hrsg.): Die Idee der Reinkarnation in Ost und West, München 1996, S. 152-176.
  • Ian Stevenson, Satwant Pasricha, Godwin Samararatne: Deception and self-Deception in cases of the reincarnation type: Seven illustrative cases in Asia. In: Journal of the American Society for Psychical Research 82 (1988) 1 p1-31.
  • David Reed Parker, Satwant K. Pasricha: Reincarnation cases in Fatehabad: A systematic survey in North India. Journal of Asian and African studies 14 (1979) p231-240.
  • Antonia Mills, Erlendur Haraldsson, Jürgen Keil: Replication studies of cases suggestive of reincarnation by three independent investigators. Journal of the American Society for Psychical Research 88 (1994) p207-219.
  • Paul Edwards: Reincarnation. A critical examination [1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Thorwald Dethlefsen: Das Erlebnis der Wiedergeburt. Heilung durch Reinkarnation. München, C. Bertelsmann 1976, S. 113-115

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