Retromandibulie

Retromandibulie
Klassifikation nach ICD-10
K07.1 Anomalien des Kiefer-Schädelbasis-Verhältnisses
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Eine mandibuläre Retrognathie, auch Retrogenie oder Retromandibulie, umgangssprachlich auch Vogelgesicht und in der angelsächsischen Fachliteratur mandibular retrognathism oder mandibular retrognathia genannt, ist eine Hypoplasie des Unterkiefers. Der verkürzte Unterkiefer wird dabei vom normal entwickelten Oberkiefer überragt. Bei einer extremen Unterentwicklung des Unterkiefers spricht man von einer Mikrognathie.

Inhaltsverzeichnis

Ätiologie

Die mandibuläre Retrognathie ist sehr häufig erblich bedingt. Daneben können auch Störungen des Kieferwachstums, beispielsweise durch eine Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung), eine Gelenkfortsatzfraktur oder eine Ankylose, zu dem Symptom führen. Auch Entzündungen an den Wachstumsfugen im Kiefer kann zu einer Retrogenie führen.[1]

Symptomatik

Die betroffenen Patienten weisen ein „fliehendes Kinn“ und eine vorspringende Oberlippe auf. Die mandibuläre Retrognathie tritt meist beidseitig auf, kann aber im nicht angeborenen Fall auch einseitig auftreten. Sie ist durch eine signifikante Unterentwicklung (Hypoplasie) des Unterkiefers gekennzeichnet, die eine Rücklage des Kinns und somit einen Distalbiss (Überbiss) bewirkt. Die mandibuläre Retrognathie kann in einzelnen Fällen auch zusammen mit einer maxillären Prognathie (Fehlstellung der Zähne im Oberkiefer) auftreten. Das Öffnen des Mundes ist im Fall von Gelenkfrakturen oder Ankylosen meist eingeschränkt. Die Schneidezähne sind sehr häufig verlängert, da sie beim Wachstum keinen natürlichen Widerstand in Form der oberen Zahnreihe hatten. Beim Schlussbiss treffen die unteren Schneidezähne auf die Gaumenschleimhaut. Mit der mandibuläre Retrognathie sind oft auch andere Syndrome, wie beispielsweise das Schlafapnoe-Syndrom assoziiert.[2][3]

Während die meisten Patienten mit Retrogenie sonst völlig gesund sind, kann das Symptom in manchen Fällen mit einigen genetisch bedingten Syndromen, wie beispielsweise Trisomie 9, Zellweger-Syndrom, Pierre-Robin-Sequenz oder De-Grouchy-Syndrom, assoziiert sein.

Therapie

Wird die Fehlstellung des Unterkiefers nicht rechtzeitig behandelt, so steigt die Wahrscheinlichkeit von Schädigungen der Zähne und des Zahnhalteapparates. Beides kann zu einem frühzeitigen Zahnverlust führen.

Die Vorverlagerung der Unterkiefers lässt sich nur durch eine Verlängerung der aufsteigenden Äste des Unterkieferknochens erreichen. Dies ist kieferchirurgisch durch eine Knochentransplantation oder eine Kallusdistraktion (allmähliches Auseinanderziehen der zuvor aufgetrennten Knochenfragmente, siehe Verlängerungsosteotomie) möglich.

Verweise

Einzelnachweise

  1. W. Stelzenmüller und J. Wiesner: Therapie von Kiefergelenkschmerzen. Georg Thieme Verlag, 2004, S. 103–104. ISBN 3-131-31381-1
  2. D. N. Faircloth u. a.: Pulmonary dysfunction secondary to mandibular retrognathia in Marfan's syndrome. In: Chest 105, 1994, S. 1610–1613. PMID 8181376
  3. R. M. Berger: Mandibular Retrognathia and sleep apnea. In: JAMA 247, 1982, S. 2234. PMID 7069876

Fachbücher

  • S. Schamsawary: Dysgnathien. Verlag Urban&Fischer, 2007, ISBN 3-437-05620-4
  • H. H. Horch und J. Bier: Mund-kiefer-gesichtschirurgie. Verlag Urban&Fischer, 2007, ISBN 3-437-05417-1
  • A. Kübler und J. Mühling: Leitlinien für die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, 1997, ISBN 3-540-63566-1

Fachartikel

  • D. A. Walker: Management of severe mandibular retrognathia in the adult patient using distraction osteogenesis. In: J Oral Maxillofac Surg 60,2002, S. 1341–1346. PMID 12420271
  • M. R. Tucker: Management of severe mandibular retrognathia in the adult patient using traditional orthognathic surgery. In: J Oral Maxillofac Surg 60, 2002, S. 1334–1340. PMID 12420270
  • R. Schwestka-Polly u. a.: Harmonization of free mandibular movements by orthodontic-surgical treatment of patients with mandibular retrognathism. In: Int J Adult Orthodon Orthognath Surg 15, 2000, S. 205–231. PMID 11307200
  • J. I. Leira und O. T. Gilhuss-Moe: Sensory impairment following sagittal split osteotomy for correction of mandibular retrognathism. In: Int J Adult Orthodon Orthognath Surg 6, 1991, S. 161–167. PMID 1812181
  • R. P. Harper u. a.: Lateral pterygoid muscle activity in mandibular retrognathism and response to mandibular advancement surgery. In: Am J Orthod Dentofacial Orthop 91, 1987, S. 70–76. PMID 3467583
  • R. W. McNeill und R. A. West: Severe mandibular retrognathism: orthodontic versus surgical orthodontic treatment. In: Am J Orthod 72, 1977, S. 176–182. PMID 268148
  • W. H. Bell: Surgical correction of mandibular retrognathism. In: Am J Orthod 52, 1966, S. 518–528. PMID 5220417

Weblinks

Siehe auch

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