Robert Castel

Robert Castel

Robert Castel (* 1933) ist ein französischer Soziologe. Er wurde stark von Pierre Bourdieu und Michel Foucault beeinflusst und arbeitet an der École des Hautes Études en Sciences Sociales.

In den 1960er Jahren arbeitete er mit Pierre Bourdieu und interessierte sich dann für die Psychoanalyse und die Psychiatrie. Er unternahm eine kritische Soziologie dieser Bereiche und näherte sich Michel Foucault an. Schließlich wandte er sich dem Phänomen des sozialen Ausschlusses (der Exklusion) zu.

Castel versucht zu verstehen, warum die Lohnarbeit, die eine sozial verachtete Position war, nach und nach zum Modell wurde, zu einem sozialen Status mit einer bestimmten sozialen Identität, ein Modell, das heute in der "Krise der Arbeit" durch das Prekärwerden der Arbeit wiederum ins Wanken gerät.

Castel ist Mitgründer der Gruppe GRASS - Groupe d'analyse du social et de la sociabilité.

Castel'sche Zonen der Arbeitsgesellschaft

(Selbst)klassifikation von Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen.
Die Zonenübergänge sind fließend. Innerhalb einer Zone werden Kriterien wie Bruttomonatseinkommen, Beschäftigungssicherheit, Arbeitserleben, Einfluss / Entwicklungsmöglichkeit bei der Arbeit, Frustrationsgefühle, und Statusbeschreibung von den LohnarbeiterInnen verschieden erlebt und gewichtet. Die Lebensplanung reicht von "langfristig" der integrierten Gruppen bis zu "tageweise" der entkoppelten.

(Des-)Integrationspotenziale von Erwerbsarbeit - eine Typologie:

Zone der Integration

1) Gesicherte Integration ("Die Gesicherten")
2) Atypische Integration ("Die Unkonventionellen", bzw "Selbstmanager")
3) Unsichere Integration ("Die Verunsicherten")
4) Gefährdete Integration ("Die Abstiegsbedrohten")

Zone der Prekarität

5) Prekäre Beschäftigung als Chance / temporäre Integration ("Die Hoffenden")
6) Prekäre Beschäftigung als dauerhaftes Arrangement ("Die Realistischen")
7) Entschärfte Prekarität ("Die Zufriedenen")

Zone der Entkopplung

8) Überwindbare Ausgrenzung ("Die Veränderungswillingen")
9) Kontrollierte Ausgrenzung / inszenierte Integration ("Die Abgehängten")


Beispiele:

ad1) (31%) : der unbefristet Beschäftigte, mit Bruttomonatseinkommen von > 2.000 €
ad2) (3,1%): Freelancer der IT-Industrie, Werbefachleute Leiharbeiter, die ihr Beschäftigungsrisiko subjektiv durch Freiheitsgewinn, Identifikation mit ihrer Tätigkeit und Aufgehen im Beruf kompensieren.
ad3) (12,9%): stark belastende Beschäftigungsunsicherheit, ein jüngerer Arbeitnehmer besucht einen Weiterbildungskurs bevor die Firma geschlossen wird, um selbst einen etwaigen Knick in seiner Laufbahn "auszubügeln".
ad4) (33,1%): stark belastende Beschäftigungsunsicherheit, ein älterer / unqualifizierter Arbeitnehmer befürchtet einen nur mehr schwer korrigierbaren Knick in der Laufbahn.
ad5) (3,1%): Ein junger Leiharbeiter betrachtet sein prekäres Beschäftigungsverhältnis als Sprungbrett in die Normbeschäftigung. (Klebeffekt)
ad6) (4,8%): der ältere Leiharbeiter, der sich pragmatisch-illusionslos in das Pendeln zwischen Leiharbeit und Arbeitslosigkeit fügt.
ad7) (5,9%): die Zuverdienerin, die in einer festen Partnerschaft das existenzsichernde Einkommen des Partners aufbessert; eine typische Geschlechtsrollenverteilung, die sich bei seiner Arbeitslosigkeit wandeln kann.
ad8) (1,7): sieht sich als arbeitslos, sucht aktiv Arbeit.
ad9) (3,9): langzeitarbeitslose Jugendliche (mit Migrationshintergrund). Sie haben die Hoffnung auf Integration in den Normarbeitsprozeß aufgegeben und erleiden eine allmähliche Desintegration des Raum und Zeitempfindens. Sie führen Gelegenheitsjobs aus im informellen sozialen Netz der Familie und der Nachbarschaft.

zitiert aus und für Deutschland erstmalig untersucht in:

  • Ulrich Brinkmann, Klaus Dörre und Silke Röbenack: Prekäre Arbeit. Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2006, ISBN 3-89892-309-6 (PDF)

Bibliographie

  • Le psychanalisme, 1973, dt. Psychoanalyse und gesellschaftliche Macht, Kronberg: Athenäum Verlag, 1976.
  • L'ordre psychiatrique. L'âge d'or de l'aliénisme, 1976, dt. Die psychiatrische Ordnung. Das goldene Zeitalter des Irrenwesens, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, Taschenbuchausgabe 1983.
  • La société psychiatrique avancée, 1979, dt. Psychiatrisierung des Alltags: Produktion u. Vermarktung d. Psychowaren in d. USA, mit Françoise Castel und Anne Lovell, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982.
  • La gestion des risques, 1981.
  • Les métamorphoses de la question sociale, une chronique du salariat, 1995, dt. Die Metamorphosen der sozialen Frage: eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz: UVK, Univ.-Verl. Konstanz, 2000.
  • Propriété privée, propriété sociale, propriété de soi (mit Claudine Haroche), 2001.
  • L'insécurité sociale: qu'est-ce qu'être protégé?, 2003, dt. Die Stärkung des Sozialen: Leben im neuen Wohlfahrtsstaat, Hamburger Institut für Sozialforschung]. - 1. Aufl. - Hamburg: Hamburger Ed., 2005.
  • La discrimination négative, 2007, dt. Negative Diskriminierung; Jugendrevolten in den Pariser Banlieus, Institut für Sozialforschung]. - 1. Aufl.. - Hamburg: Hamburger Ed., 2008.
  • La montée des incertitudes. Travail, protections, statut de l'individu, 2009, dt. Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums, Institut für Sozialforschung]. - 1. Aufl.. - Hamburg: Hamburger Ed., 2011.

Weblinks


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