Rohrrücklauf

Rohrrücklauf

Der Rohrrücklauf ist eine Vorrichtung an Geschützen, die das Rohr gegenüber der Lafette beweglich macht und so den Rückstoß aufnimmt.

Bei automatischen Handfeuerwaffen, die als Rückstoßlader mit verriegeltem Verschluss funktionieren, bewirkt ein entsprechender Mechanismus, als Entriegelung, die Trennung von Lauf und Verschluss.

Geschichte

Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren Geschützrohre in Längsrichtung starr mit der Lafette verbunden. Durch die beim Schuss auftretende Rückstoßkraft lief die Kanone meist einige Meter zurück, so dass sie wieder nach vorne in Stellung gebracht und neu gerichtet werden musste. Dies setzte die Feuergeschwindigkeit erheblich herab und erlaubte Schießen nur aus ebenen Geschützpositionen, die den Rücklauf gestatteten.

Preußische Fußartillerie um 1885 mit Walllafette und Hemmkeilen

Ein einfaches System um den Rückstoß zu kompensieren waren Rücklaufkeile. Diese Keile wurde einige Jahrzehnte, auch unter Kriegsbedingungen (1870-71,) benutzt. Der Rückstoß des Schusses trieb die Lafette die Hemmkeile hinauf und nach Erreichen des oberen Totpunktes liefen die Geschütze, mit Hilfe der Artilleristen, fast wieder in die ursprüngliche Feuerstellung zurück. Dies erleichterte das Ausrichten der Geschütze aufs Neue.

Als erste Abhilfe wurde gegen Ende des 19. Jahrhundert am Lafettenschwanz ein beweglicher Spaten angebracht, der, in die Erde eingerammt, das Geschütz durch Federkraft wieder in Stellung bringen sollte. Das Prinzip bewährte sich nicht.

Auch erste Versuche mit einem Rohrrücklauf waren nicht erfolgreich, da ein sehr kurzer Rücklauf gewählt wurde, der zwar das Schießen mit großen Rohrerhöhungen gestattete, aber auf Grund der hohen Bremskräfte zu einem Springen der Lafette bei niedrigen Rohrerhöhungen führte.

Der deutsche Ingenieur Konrad Haussner erhielt im Jahre 1891 ein Patent auf eine hydropneumatische Brems- und Vorholvorrichtung und testete diese 1893/94 an einem Versuchsgeschütz. Ähnliche Vorrichtungen waren schon wenige Jahre zuvor in Frankreich entwickelt worden, allerdings noch in unvollkommener Form.

Das erste felddiensttaugliche Rohrrücklaufgeschütz der Welt war eine französische 7,5-cm-Feldkanone, System Deport, die als Canon de 75 mle 1897 in der französischen Armee eingeführt und im Ersten Weltkrieg in großer Zahl verwendet wurde. Der Deutsche Heinrich Ehrhardt, Gründer der „Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik Akt.-Ges.“, später Rheinmetall, sowie die Firma Krupp zogen im Jahr 1900 nach.

Nach verschiedenen Versuchen entwickelte Heinrich Ehrhardt 1898 einen veränderlichen Rohrrücklauf, der den Rücklaufweg an die Rohrerhöhung anpasste. Die daraus resultierende verbesserte Schussfolge führte zu einer Umrüstung fast aller Armeen auf Geschütze mit Rohrrücklauf (in Deutschland ab 1904).

Heutzutage sind praktisch alle schweren Waffen mit Rohrrücklauf ausgestattet. Anders wären die heute üblichen Kaliber nicht zu bewältigen; so würde die Lafette der leichten Feldhaubitze 105 mm bei starrer Lagerung mit bis zu 2310 kN belastet. Ausnahmen sind Mörser, die nur in der oberen Winkelgruppe feuern, bei diesen kann die Rückstoßkraft über eine Bodenplatte vollständig in den Boden übertragen werden.

Funktionsweise

Auf der Lafette ruht eine Wiege (Oberlafette), die die Rohrbremse und die Rückholeinrichtung aufnimmt. Das Geschützrohr ist mit der Oberlafette verbunden. Beim Schuss gleitet nun das Geschützrohr zurück und wird durch die Rohrbremse gebremst. Diese besteht meist aus einem Hydraulikzylinder, in dem die Flüssigkeit durch eine Lochplatte strömt. Dabei wird durch eine zweite verschiebbare Lochplatte die Größe der Durchlassöffnungen abhängig von der Rohrerhöhung gesteuert. Weiterhin werden die Rückholfedern oder ein Pneumatikzylinder (Luftvorholer) zusammengepresst; diese bringen das Rohr wieder in die Ausgangsstellung zurück. Die Rücklaufwucht des Rohres wird heutzutage meist durch eine Mündungsbremse gemindert.

Bei der Verwendung von Federn spricht man von einem hydromechanischen, bei der Verwendung von einem oder mehreren Luftzylindern von einem hydropneumatischen Rohrrücklauf.

Kräfteverhältnisse

In hinreichend genauer Näherung können die Gewichtskräfte vernachlässigt werden, da die Massenkräfte erheblich größer sind. Damit ergibt sich für den ungebremsten Rohrrücklauf:


v_R = \frac{m_G + 0,5 m_L}{m_R} v_0

mit

mG = Masse Geschoss

mR = Masse Rohr

mL = Masse Ladung

vR = Rohrgeschwindigkeit

v0 = Geschossgeschwindigkeit an der Mündung


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