Rolandslied

Rolandslied

Das Rolandslied (französisch La Chanson de Roland) (zwischen 1075 und 1110 entstanden) ist ein altfranzösisches Versepos über das heldenhafte Ende Rolands. Es umfasst 4002 assonierende zehnsilbige Verse in 291 Strophen (sog. Laissen) und ist eines der ältesten Werke der Gattung Chansons de geste. Um 1900 wurde es in Frankreich zu einer Art frühem Nationalepos stilisiert, und zwar wegen der Liebe, mit der es von „la douce France“ (dem süßen Frankreich) spricht, und wegen der herausragenden Rolle, die es den „Français de France“ (den Franzosen aus der Île de France) in dem multi-ethnischen Heer von Kaiser Karl dem Großen zuweist.

Das Rolandslied wurde verfasst oder aufgeschrieben, vielleicht aber auch nur diktiert und/oder öfter vorgetragen von einem sonst nicht weiter bekannten Turoldus, von dem der letzte Vers nicht genau deutbar sagt, er habe das Werk „dekliniert“ (Ci falt ("hier endet") la geste que Turoldus declinet).

Das Werk ist in sieben vollständigen Handschriften sowie drei Fragmenten erhalten. Die wichtigsten sind die sogenannte Oxforder Handschrift (Digby 23), die im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts offenbar auf englischem Boden entstand und deren Sprache stark vom anglonormannischen Dialekt gefärbt ist, sowie eine in Venedig aufbewahrte Handschrift des 14. Jahrhunderts, die jedoch nur 3846 Verse enthält, die der Oxforder Fassung nahe verwandt sind (Marc. 225). Darauf folgt eine sonst nicht überlieferte Darstellung der Belagerung von Narbonne, darauf folgt die Handlung den gereimten Versionen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Die Handlung

Roland stürmt den Tempel Mahomets (P, fol. 57v) Diese Abbildung stammt aus der Heidelberger Handschrift P (Cod. Pal. germ. 112, Ende 12. Jh.).

Das Rolandslied umfasst zwei größere Teile: in den ersten drei Fünfteln (Vers 1-2396) ist eindeutig Roland der Protagonist, in den letzten zwei (Vers 2397-4002) eher Karl der Große.

Dieser hat zu Beginn der Handlung in sieben Jahren Krieg fast das ganze heidnische Spanien erobert bis auf Saragossa. Dessen König Marsilie, „der Mohammed dient und Apollo anruft“, bietet ihm nun Unterwerfung und Übertritt zum Christentum an - beides aber nur zum Schein, um den Abzug des fränkischen Heeres zu erreichen. Karl versammelt den Rat der Barone, in dem sein Schwager Ganelon rät, das Angebot anzunehmen, während sein Neffe Roland, der zugleich ungeliebter Stiefsohn Ganelons ist, den Kampf fortsetzen will. Karl, der schon alt und kriegsmüde ist, schließt sich Ganelon an, worauf Roland mit verletzender Ironie diesen als Sendboten vorschlägt.

Der beleidigte Ganelon sinnt auf Rache. Er begibt sich zu König Marsilie, dem er Roland als einen Kriegstreiber darstellt, ohne dessen Beseitigung es keinen Frieden geben werde. Marsilie soll deshalb mit einer Übermacht die Nachhut des abziehenden fränkischen Heeres überfallen; Ganelon will dafür sorgen, dass Roland ihr Befehlshaber ist.

Alles geschieht wie geplant. Als Roland mit seinen zwölf befreundeten Recken als Unterführern den Hinterhalt bemerkt, wird er von seinem besonnenen Freund und Schwager in spe Olivier gedrängt, mit dem Signalhorn Olifant das fränkische Heer zu Hilfe zu rufen, doch stolz lehnt er ab. Erst als nach verlustreicher Abwehr der ersten Angriffswelle die Lage aussichtslos ist, bläst er auf Rat des streitbaren Bischofs Turpin das Horn. Nach der zweiten Welle (deren heldenhafte Kämpfe wiederum liebevoll-ausführlich dargestellt werden) ist nur noch Roland übrig. Nachdem auch er durch einen Hagel von Speeren und Pfeilen tödlich verletzt ist, fliehen die Heiden, weil sie Karls Heer zu hören glauben. Roland stirbt auf dem Schlachtfeld in der Pose des Siegers, mit dem Gesicht gen Saragossa. Der Erzengel Gabriel und zwei weitere Engel geleiten seine Seele ins Paradies.

Karl, der in der Tat herbeigeeilt ist, verfolgt und vernichtet die Heiden, deren Reste mit dem schwer verwundeten König Marsilie nach Saragossa flüchten. Dort trifft gerade ein riesiges Heidenheer ein, geführt von „Admiral“ Baligant von „Babylonien“, den Marsilie schon vor Jahren um Beistand gebeten hatte. Doch auch dieses Heer vernichtet Karl, nicht ohne dass er selbst, der trotz seines Alters noch rüstig ist, im Schlachtgetümmel auf Baligant trifft und ihn in langem Zweikampf mit Hilfe eines Engels besiegt. Nach der Einnahme Saragossas und der Zwangsbekehrung seiner Einwohner kehrt Karl zurück in seine Residenz Aachen.

Hier muss er der Verlobten Rolands, Aude, die Nachricht seines Todes überbringen, was auch ihren Tod bewirkt. Er will nun Gericht halten lassen über Ganelon, doch dreißig Verwandte stellen sich schützend vor diesen, darunter Pinabel, der ihn im gerichtlichen Zweikampf vertreten will. Erst als Thierry, der junge Bruder des Grafen von Anjou, sich für die gerechte Sache zu kämpfen erbietet und Pinabel mit Gottes Hilfe besiegt, kann Karl Ganelon samt seiner Familie bestrafen. Noch dieselbe Nacht erscheint ihm der Erzengel Gabriel und fordert ihn auf, König Vivien zu helfen, der in seiner Stadt „Imphe“ von Heiden belagert wird. Karl weint und rauft sich den Bart – aber man ahnt: er wird gehen.

Historischer Hintergrund

Basis der Handlung ist ein Kriegszug, den Karl der Große 778 gegen die Mauren in Spanien führte. Anlass war das Hilfeersuchen des Sulayman ben al-Arabí gegen den Emir Abderrahman von Córdoba, Ziel die erst später vollzogene Sicherung der (nordost)spanischen Mark. Der Kriegszug wurde nach anfänglichen Erfolgen abgebrochen, möglicherweise um einen Aufstand der Sachsen niederzuschlagen. Beim Rückzug kam die fränkische Nachhut beim Pyrenäenort Roncesvalles (Navarra) in einen Hinterhalt, allerdings nicht von islamischen Mauren, sondern von christlichen Basken. Der Führer der Nachhut war möglicherweise Hruotland (französisiert Roland), der als Roland von Cenomanien, Markgraf der bretonischen Mark des Frankenreichs bezeugt ist. Mit ihm fielen der Graf Eginhard von Metz und Graf Anselm von Worringen am 15. August 778 (→ Schlacht von Roncesvalles).

Deutung

In der Gattung Chanson de geste, zu der das Rolandslied zählt, geht es überwiegend um die Kriegszüge Kaiser Karls des Großen oder Kaiser Ludwigs des Frommen und/oder ihrer Heerführer gegen die Heiden, d. h. die aus Marokko kommenden islamischen Mauren, die seit ihrem Einfall nach Europa im Jahr 711/12 Süd- und Mittelspanien beherrschten. Aber auch der Kampf der Franken gegen die zunächst noch heidnischen Sachsen wird behandelt. Die Thematik der Heidenkriege war lange Zeit aktuell, einmal dank der Reconquista (=Rückeroberung) Spaniens, die gegen 1000 vom christlich gebliebenen Nordspanien her intensiviert wurde, und zum anderen dank der 1095 beginnenden Kreuzzüge, d. h. der Versuche christlicher Ritterheere, das seit 500 Jahren von Moslems beherrschte Jerusalem zu erobern und das heilige Grab unter christliche Herrschaft zu bringen. Die Gattung der Chansons de geste scheint besonders in den Klöstern entlang der Pilgerstraßen durch Frankreich nach Santiago de Compostela in Nordwestspanien gepflegt worden zu sein, als Mittel zur Unterhaltung und Erbauung der dort jeweils übernachtenden Pilger.

Wirkung

Das Rolandslied war nicht nur in Frankreich wohlbekannt und verbreitet, sondern lieferte auch die Vorlage oder den Stoff für zahlreiche Übertragungen, Bearbeitungen und sonstige Texte in anderen europäischen Sprachen. Eine der frühesten dieser anderssprachigen Versionen war um 1170 die deutsche Nachdichtung von Konrad dem Pfaffen, der diverse spezifisch französische Aspekte durch allgemein christliche ersetzt. Auch altnordische, englische, niederländische und spanische Versionen sind erhalten oder bezeugt. In Italien verarbeiteten 1476 Matteo Maria Boiardo und nach 1505 Ludovico Ariosto den Stoff für ihre vielgelesenen heroisch-komischen Versromane Orlando innamorato (=Der verliebte R.) und Orlando furioso (‚Der rasende Roland‘), die ihrerseits der Figur Rolands neue große Bekanntheit verschafften.

Das Rolandslied bildete auch die Basis für die spätere Popularität der Rolandstatuen in Europa.

Analyse

Franz Borkenau hat als Soziologe das Rolandslied als programmatisches Epos erschlossen, das den Übergang vom Heldentum der Völkerwanderung zur normannischen Heeresdisziplin kennzeichnet.[2]

Einzelnachweise

  1. Alexandre Micha: Überlieferungsgeschichte der französischen Literatur des Mittelalters. In: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. 2. Überlieferungsgeschichte der mittelalterlichen Literatur. Zürich 1964, S. 187-259, hier S. 238-240
  2. Ende und Anfang, Stuttgart: Klett-Cotta 1984. ISBN 3-608-93032-9. S. 489-507

Weblinks


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