Rose-Rosahl-Fall

Rose-Rosahl-Fall

Der in der Strafrechtswissenschaft intensiv diskutierte Rose-Rosahl-Fall beruht auf einer Entscheidung des preußischen Obertribunals von 1858, die in Goltdammer’s Archiv für Strafrecht abgedruckt ist.[1]

Inhaltsverzeichnis

Sachverhalt

Der Holzhändler Rosahl aus Schiepzig versprach dem Arbeiter Rose, ihn reichlich zu belohnen, wenn er den Zimmermann Schliebe aus Lieskau erschösse. Rose legte sich daraufhin zwischen Lieskau und Schiepzig (nahe Halle) in den Hinterhalt, um Schliebe, den er genau kannte, aufzulauern. Während der Dämmerung sah er einen Mann des Weges daherkommen. Diesen erschoss er, da er ihn für Schliebe hielt. In Wirklichkeit war es der 17-jährige Kantorssohn Harnisch. An der Stelle des Mordes findet sich heute ein Gedenkstein (Blutstein bei Lieskau).[2][3]

Problematik

Fraglich ist zum einen, wie der Irrtum des unmittelbaren Täters Rose über die Person seines Opfers zu beurteilen ist, also ob er wegen Mordes an Harnisch oder wegen fahrlässiger Tötung von Harnisch und versuchten Mordes an Schliebe zu bestrafen ist. Aus der Sicht des unmittelbaren Täters Rose handelt es sich um einen Irrtum über die Person des Opfers (lat.: error in persona). Das zweite Problem, für das der Rose-Rosahl-Fall prototypisch ist, liegt in den Auswirkungen des Irrtums des Täters (Rose) auf die Strafbarkeit des Anstifters (Rosahl). Denn es lässt sich argumentieren, aus dessen Sicht liege lediglich ein Fehlgehen des Tatmittels (lat.: aberratio ictus) vor.

Entscheidung des preußischen Obertribunals

Das preußische Gericht verurteilte Rose wegen Mordes an Harnisch. Der Irrtum über die Identität des Opfers (sog. error in persona) schließe den Vorsatz nicht aus. Rosahl wurde wegen Anstiftung zum Mord an Harnisch verurteilt. Nach Auffassung des Obertribunals ist der „error in persona“ des Täters für den Anstifter ebenso unbeachtlich.

Beurteilung

Die Entscheidung des Preußischen Obertribunals gehörte schon bald zu den stets neu und kontrovers diskutierten Problemen der Allgemeinen Strafrechtslehre.

Meinungen der Rechtswissenschaft

Die Beurteilung der Auswirkung des error in persona des Haupttäters für den Anstifter ist heute umstritten. Die einen verneinen den Vorsatz des Anstifters, da ein von seiner Vorstellung abweichender Kausalverlauf (sog. aberratio ictus) vorliegt, andere entscheiden weiterhin wie seinerzeit das Obertribunal. Wiederum andere (wie Wolfgang Mitsch, Hermann Blei, Günther Jakobs oder Georg Küpper) vertreten die Wesentlichkeitstheorie (Irrtum beachtlich, wenn wesentliche Abweichung vom Vorsatz).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs würde der Arbeitgeber Rosahl allerdings nach wie vor wegen Anstiftung zum Mord bestraft werden.

Hoferbenfall

Fast eineinhalb Jahrhunderte nach der Entscheidung des Preußischen Obertribunals hatte der Bundesgerichtshof die klassische Konstellation im Jahre 1990 zu entscheiden. Der Sachverhalt dieses so genannten Hoferbenfalls war:

Der Angeklagte hatte sich entschlossen, Karl-Friedrich M. – seinen Sohn aus erster Ehe und Hoferben – zu töten. Es gelang ihm, den Mitangeklagten St. gegen das Versprechen einer Geldsumme für die Tötung zu gewinnen; er selbst fühlte sich als Vater außerstande, die Tat zu begehen. St. sollte Karl-Friedrich M. im Pferdestall töten, den dieser bei seiner Heimkehr regelmäßig durchquerte; das nähere Vorgehen war ihm überlassen. St. begab sich darauf am 25. November 1985 zum Hof des Angeklagten und in den Pferdestall. St. wartete sodann in dem Stall auf das Erscheinen des Opfers. Es war dunkel, eine gewisse Helligkeit wurde lediglich dadurch erzeugt, dass Schnee lag. Gegen 19.00 Uhr betrat Bernd Sch., ein Nachbar, den Hof und öffnete die Stalltür. Er ähnelte Karl-Friedrich M. in der Statur und führte in der Hand eine Tüte mit sich, wie dies auch M. zu tun pflegte. St. nahm deshalb an, Karl-Friedrich M. vor sich zu haben und erschoss den nichtsahnenden Sch. aus kurzer Entfernung.

Das Landgericht Bielefeld verurteilte den Vater nur wegen versuchter Anstiftung zum Mord und entschied somit gegen die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 25. Oktober 1990[4] das Urteil der Vorinstanz teilweise aufgehoben und entschieden, dass der Irrtum des Täters über die Person des Tatopfers für den Anstifter unbeachtlich ist, da die Verwechslung des Opfers durch den Täter innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt. Damit folgt die moderne höchstrichterliche Rechtsprechung im Wesentlichen der im Fall Rose-Rosahl vorgezeichneten Linie des Preußischen Obertribunals, dessen Entscheidung der Bundesgerichtshof ausdrücklich anführt.

Literatur

  • Matthias J. Maurer, Tristan Lang, Dörte Scheithauer: Der Rose-Rosahl-Fall. ISBN 3930195437
  • Michael Kubiciel, Auswirkungen eines error in persona beim Haupttäter auf die Strafbarkeit des Anstifters. Der Hoferben-Fall. In: Juristische Arbeitsblätter 2005, 694.
  • Jan Dehne-Niemann/Yannic Weber, „Über den Einfluss des Irrthums im Objekte beim Morde und bei der Anstiftung zu diesem Verbrechen“ – Zum 150-jährigen des Falls Rose-Rosahl. In: Juristische Ausbildung 2009, 373.

Einzelnachweise

  1. Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 7, S. 322.
  2. Steinkreuz Blutstein bei Lieskau
  3. Sühnekreuz
  4. BGHSt 37, 214 - Az. 4 StR 371/90

Siehe auch

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