- Aberratio ictus
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Als aberratio ictūs (lat. „Fehlgehen des Hiebes“ von aberratio „das Abirren“ und ictūs „des Hiebes“ oder „des Wurfes“) wird im Strafrecht das Fehlgehen der Tat bezeichnet, wenn der Täter ein Objekt anvisiert und individualisiert, aber aufgrund einer Abweichung in der Außenwelt (und nicht aufgrund einer Fehlidentifizierung) ein anderes Objekt trifft.
Beispiel: A will B töten, schießt, B bückt sich in dem Moment, die Kugel trifft die dahinter stehende C.
Die aberratio ictus ist abzugrenzen gegen den ebenfalls strafbewehrten Error in persona (Verwechslung des Tatobjekts aufgrund einer Fehlidentifizierung durch den Täter), Beispiel A hält C für B.
Inhaltsverzeichnis
Die aberratio ictus bei unterschiedlichen Rechtsgütern
Unproblematisch ist die aberratio ictus, wenn die ursprünglich nicht gewollte Tat einen anderen Straftatbestand verwirklicht. (Bsp.: Täter erschießt statt des anvisierten Erzfeindes [= Mensch, § 211, § 212 StGB lediglich dessen Hund (=Sache gemäß § 303 StGB.) Hier kommt ausschließlich eine versuchte Vorsatztat am anvisierten und, falls eine entsprechende Strafvorschrift existiert, eine vollendete Fahrlässigkeitstat am getroffenen Tatobjekt in Betracht. Im Beispielfall kann der Täter strafrechtlich somit nur wegen eines versuchten Totschlages oder Mordes bestraft werden, nicht aber wegen der Tötung des Hundes, da eine fahrlässige Sachbeschädigung nicht strafbar ist.
Die aberratio ictus bei gleichwertigen Rechtsgütern
Umstritten ist, wie ein Fehlgehen der Tat rechtlich zu behandeln ist, wenn das getroffene und das anvisierte Tatobjekt gleichwertig sind (Bsp.: Täter erschießt statt des anvisierten Erzfeindes dessen Freund, der neben ihm steht). Dabei existieren im Wesentlichen folgende Theorien.
Äquivalenztheorie, formelle und materielle
a) Formelle: Ein Teil der strafrechtlichen Literatur geht davon aus, dass ein Irrtum bei Gleichwertigkeit der Tatobjekte unerheblich sei. Wenn der Täter also einen anderen als den anvisierten Menschen trifft, liegt nach dieser Theorie trotzdem ein Vorsatzdelikt vor. Der Täter habe einen Menschen treffen wollen und dies auch verwirklicht.
b) Materielle: Eine Abwandlung dieser Theorie zieht die Grundsätze der formellen Gleichwertigkeitsthorie/Äquivalenztheorie nur in den Fällen heran, in denen keine höchstpersönlichen Rechtsgüter (also Leben, Gesundheit, Freiheit und Ehre) betroffen sind.
Das bedeutet: Wenn ein höchstpersönliches Rechtsgut betroffen ist, so ist der Täter lediglich wegen eines Versuchs und eines Fahrlässigkeitsdeliktes strafbar. Dies wird damit begründet, dass es dem Täter bei einem höchstpersönlichen Rechtsgut gerade auf die Person ankommt. Der Vorsatz sei also stärker an die Person des Opfers gebunden als bei Taten, die nicht höchstpersönliche Rechtsgüter betreffen. Bei diesen sei der Vorsatz in erster Linie auf das Objekt, nicht auf die Person dahinter gerichtet.
Diese Generalisierungen von Rechtsgütern sind umstritten. Denn hierbei wird ein Vorsatz unterstellt, wo tatsächlich keiner besteht.
Adäquanztheorie
Eine weitere Theorie behandelt die aberratio ictus als einen Unterfall des Irrtums über den Kausalverlauf. Die Abweichung ist dann unerheblich, wenn sie vorhersehbar war. Bei einem inadäquaten Kausalverlauf liegt somit lediglich ein Versuch und eventuell eine Fahrlässigkeitstat vor.
Diese Theorie wird mit folgendem Argument kritisiert:
Es ist keine Abweichung im Kausalverlauf eingetreten, da die Verletzung genau so eingetreten ist wie geplant, nur am falschen Objekt. Der Verlauf der Tat war also so wie geplant.
Konkretisierungstheorie
Die herrschende Meinung sieht die aberratio ictus als relevant an. Der Täter hatte seine Tat auf ein bestimmtes Ziel konkretisiert, dieses aber nicht getroffen. Demnach kann der Täter nicht wegen eines vollendeten vorsätzlichen Delikts bestraft werden: Bezüglich des getroffenen Objektes fehlt ihm der Vorsatz (§ 16 Abs. 1 StGB), bezüglich des Anvisierten fehlt es am Erfolg. Somit kann der Täter nur wegen Versuchs hinsichtlich des anvisierten und ggf. wegen Fahrlässigkeit hinsichtlich des getroffenen Objekts bestraft werden.
Ausnahmen der herrschenden Meinung
Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass eine aberratio ictus die Strafbarkeit wegen vollendeter Vorsatztat ausschließt, ist nach herrschender Auffassung gegeben, wenn der verwirklichte Straftatbestand neben Individualrechtsgütern auch überindividuelle Rechtsgüter schützt, die Tatabweichung aber nur das Individualrechtsgut schützt. Relevant kann das vor allem für die Anwendung des § 164 StGB (Falsche Verdächtigung), aber auch § 316a StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) sein.
Siehe auch
- Rose-Rosahl-Fall
- Latein im Recht
- Inkaufnahme
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