Ruhemembranpotential

Ruhemembranpotential

Der Begriff Ruhemembranpotential (auch Ruhepotential oder RMP auch RP) bezeichnet das zeitlich unveränderte Membranpotential am Axon einer Nervenzelle; im Gegensatz zum Aktionspotential (AP), einer charakteristischen, vorübergehenden Abweichung vom Ruhepotential in elektrisch erregbaren Zellen. Das Ruhepotential von Nervenzellen entspricht in guter Näherung dem "rein passiven" Diffusionspotential, einer Mischung von Gleichgewichtsspannungen ungleich verteilter Ionen (s. Nernst-Gleichung), hauptsächlich von K+, aber auch Na+ und Cl-; es beträgt typischerweise etwa -70 mV in Nervenzellen. Das Membranpotential von nicht-tierischen Zellen, wie Pflanzen, Pilze und Bakterien, ist wegen der Aktivität einer H+ exportierenden ATPase (elektrogene Pumpe) in der Regel wesentlich negativer als das Diffusionspotential, und liegt oft bei etwa -200 mV.

Das Ruhepotential einer Zelle ist von grundlegender zellphysiologischer Bedeutung, unter anderem für die Erregungsleitung der Nerven, die Steuerung der Muskelkontraktion, sowie den elektrophoretischen Stofftransport durch die Membran.


Inhaltsverzeichnis

Ursachen des Ruhepotentials

Es befinden sich vier Ionenarten in der Umgebung der Zellmembran, welche für die Ausbildung des Ruhepotentials wichtig sind: Na+, K+, Cl und negativ geladene organische Anionen (A), z.B. in Form von Proteinen.

An der Ausbildung des tierischen Ruhemembranpotentials sind vier Faktoren beteiligt:

  1. Chemischer Gradient: Teilchen bewegen sich zufällig und tendieren zu gleichmäßiger Verteilung (Brownsche Molekularbewegung).
  2. Elektrischer Gradient: Spannungsunterschiede tendieren zu einem Ausgleich.
  3. Selektive Permeabilität (Durchlässigkeit) der Zellmembran: Die Zellmembran ist in Ruhe (d.h. am Ruhemembranpotential) vor allem für Kalium-Ionen (K+) und – abhängig vom Zelltyp – für Chlorid-Ionen (Cl-) durchlässig, weniger durchlässig für Natrium-Ionen (Na+) und praktisch undurchlässig für organische Anionen. Verantwortlich dafür sind Ionenkanäle mit jeweils spezifischer Leitfähigkeit für die unterschiedlichen Ionen.
  4. Natrium-Kalium-Pumpe: Die Tätigkeit der Natrium-Kalium-ATPase, einer Ionenpumpe, die unter ATP-Hydrolyse Natrium-Ionen aus der Zelle heraus- und Kalium-Ionen in die Zelle hineinpumpt.

Da Faktoren eins und zwei für Ionen untrennbare Faktoren darstellen, fasst man diese oft zusammen unter elektrochemischer Gradient.

Einfluss haben weiterhin die

  • geringe, aber doch vorhandene Permeabilität der Membran für Natrium- und Calciumionen
  • Permeabilität für Chloridionen (Cl).
  • Eigenproteinsynthese der Zelle (Anionische Proteine). Haben sowohl Auswirkungen auf den elektrischen als auch auf den chemischen Gradienten.

Diffusionspotential

Das Phänomen des Diffusionspotentials ist nicht nur auf die Biologie beschränkt. Voraussetzung sind zwei Kompartimente mit unterschiedlich hohen Konzentrationen eines Salzes, zum Beispiel eines Kaliumsalzes, die durch eine nur für Kalium permeable Membran (auch synthetisch herstellbar) getrennt sind.

  1. In der Ausgangslage ist das Gefäß elektrisch neutral, da zwar auf der einen Seite mehr Kaliumionen, aber auch mehr negativ geladene Gegenionen des Salzes vorhanden sind.
  2. Nur das Kalium kann durch die Membran hindurchtreten und wird das auch tun, und zwar in beiden Richtungen. Allerdings sind auf der einen Seite wesentlich mehr Ionen als auf der anderen, so dass in der Summe Ionen vom hoch- in das niedrigkonzentrierte Kompartiment übertreten. Triebkraft ist das chemische Potential aufgrund eines Konzentrationsgradienten.
  3. Kaliumionen besitzen aber eine Ladung. Sobald ein Ion übertritt, ist das zweite Kompartiment positiv bzw. das erste negativ geladen. Es herrscht ein elektrisches Feld, oder, was gleichbedeutend ist, eine elektrische Potentialdifferenz oder Spannung über der Membran. Dieses Feld übt auf die Ionen eine Kraft aus, die sie gegen den chemischen Gradienten wieder zurücktreibt.
  4. Zwischen den beiden Kräften bildet sich ein Gleichgewicht aus, bei dem pro Zeiteinheit genauso viele Teilchen in die eine wie in die andere Richtung diffundieren. Dieser Zustand ist genau dann erreicht, wenn der Energieaufwand für den einen Weg gleich dem des anderen ist. Setzt man die Ausdrücke für die elektrische Arbeit und die chemische Arbeit entlang eines Konzentrationsgradienten gleich, erhält man die Nernst-Gleichung.

Das Potential an diesem Punkt ist das Gleichgewichtspotential für das betreffende Ion, in diesem Fall für Kalium.

Situation an der Membran

Die biologische Membran erfüllt die Voraussetzungen für ein Diffusionspotential. Die Lipiddoppelschicht ist für Ionen nur in sehr geringem Maße permeabel. In dieser Schicht sitzen Transmembranproteine, die hochspezifische Kanäle für die Kationen K+, Na+, Ca2+ oder für Anionen darstellen. Die Öffnung dieser Kanäle kann durch verschiedene Mechanismen kontrolliert werden, die aber für das Ruhepotential nicht von Bedeutung sind.

Die meisten Kanäle sind während des Zustands des Ruhepotentials geschlossen, nur bestimmte Kaliumkanäle sind offen (beim Menschen je nach Zelltyp die Gruppe der spannungsunabhängigen Kalium-einwärts-Gleichrichter-Kanäle Kir, die 2-P-Domänen- oder Hintergrundkanäle, und ein erst bei sehr negativen Spannungen schließender spannungsabhängiger (KCNQ-Typ-Kalium-) Kanal). Einen weiteren auch im Ruhezustand geöffneten Kanal stellt die Natrium-Kalium-Pumpe dar. Durch Leckströme gelangen ständig geringe Mengen von Natrium-Ionen von außen in die Zelle und Kalium-Ionen von innen in den Extrazellularraum. Die Natrium-Kalium-Pumpe pumpt pro Zyklus unter Verbrauch eines ATPs 3 Na+ hinaus und 2 K+ in die Zelle hinein (s. unten). Der bei weitem überwiegende Anteil der Kanäle für Natrium und Calcium ist geschlossen.

Ionenungleichgewicht

Schematische Darstellung der wichtigsten Ionengradienten über die Plasmamembran. Durchgehende Pfeile geben die Richtung des Konzentrations-, gestrichelte die Richtung des Potentialgradienten an. Alle Konzentrationsangaben in mmol/l.

An der Membran herrschen physiologischerweise große Konzentrationsgradienten für die wichtigen Ionen. Der für das Ruhemembranpotential nötige Konzentrationsgradient wird durch die sogen. „Natrium-Kalium-Pumpe“ (exakte Natrium-Kalium-ATPase genannt) erzeugt, ein energieabhängiges Transportenzym, das pro gespaltenem ATP-Molekül drei Na+-Ionen hinaus und zwei K+-Ionen wieder hinein transportiert, also in der Endbilanz eine positive Ladung pro ATP-Molekül aus dem Zellinneren heraus. Dieser unsymmetrische Transport stellt zwar durchaus ein Ladungsungleichgewicht her, ist jedoch nicht, wie häufig angenommen, die alleinige oder Hauptursache des Ruhemembranpotentials: Das von der Natrium-Kalium-ATPase erzeugte Ladungsungleichgewicht ist nur zu etwa 10 % am Ruhemembranpotential beteiligt, liefert allerdings eine wichtige Voraussetzung für seine Erhaltung beziehungsweise sein Fortbestehen.

Die physiologischen Konzentrationen wichtiger Ionen beim Menschen
Ion Konzentration
intrazellulär (mmol/l)
Konzentration
extrazellulär (mmol/l)
Verhältnis Gleichgewichtspotential
nach Nernst
Na+ 7–11 144 1:12 ca. +60 mV
K+ 120–155[1][2] 4–5[3][4] 30:1 −91 mV
Ca2+ 10-5–10−4 2 +125 mV bis +310 mV
Cl- 4–7 120 1:20 −82 mV
HCO3 8-10 26-28 1:3 −27 mV
H+ 10−4 (pH 7,0) 4×10−5 (pH 7,4) 1:2,5 −24 mV
Anionische Proteine 155 5

Ausbildung des Ruhemembranpotentials

Da nun eine selektiv permeable Membran und ein Konzentrationsgradient gegeben sind, kann sich ein Gleichgewichtspotential entwickeln.

Entscheidend für das Ruhemembranpotential ist der Konzentrationsgradient des Kalium-Ions. Das Ruhemembranpotential wird vom Gleichgewichtspotential des Kaliumions bestimmt.

Diese Behauptung gilt trotz der Tatsache, dass das Ruhemembranpotential nie genau bei dem von der Nernst-Gleichung für Kaliumionen vorgegebenen Wert liegt. Der Grund dafür ist, dass die Leitfähigkeit der Membran für Natrium- und Calciumionen zwar sehr gering, aber doch nicht null ist, und beide Ionen weit von ihrem Gleichgewichtspotential (siehe Tabelle) entfernt liegen, was eine hohe elektrochemische Triebkraft bedeutet. Daher gibt es immer Natriumleckströme (in geringerem Maß auch Calcium) ins Zellinnere, die das Potential ins Positive verschieben und wieder Kaliumionen aus der Zelle treiben. Würde nicht beständig die Natrium-Kalium-ATPase gegen diese Leckströme arbeiten, wäre das Ruhepotential schon bald nivelliert.

Die Membran ist in geringem Maße auch für Chloridionen permeabel. Das Gleichgewichtspotential der Chloridionen liegt aber nahe dem für Kaliumionen. Dennoch ist auch das Chloridion am Ruhemembranpotential beteiligt.

Aufgrund der Beteiligung auch anderer Ionen reicht die Nernst-Gleichung für eine genaue Berechnung nicht aus. Eine bessere mathematische Beschreibung ist mit der Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung möglich, die neben Kalium- auch Natrium- und Chloridionen in die Berechnung einbezieht.

Die oben genannten Gleichungen beschreiben einen stationären Zustand des Potentials über der Zellmembran, also das Ruhemembranpotential. Betrachtet man jedoch die Möglichkeit einiger Ionenkanäle, ihre Leitfähigkeit in Abhängigkeit von der anliegenden Spannung zu ändern, wird die Membranleitfähigkeit zu einer Funktion der Spannung über der Membran und es herrscht kein stationärer Zustand mehr. Dies ist im Hodgkin-Huxley-Modell beschrieben, welches die elektrischen Zustände einer oder mehrerer Zellen bei unterschiedlichen Bedingungen beschreibt.

Die oben angeführten Konzentrations- und Potentialgradienten stellen die Grundlage des EM dar. Als Ursachen für die Gradienten bzw. als Gründe für die Verhinderung eines Diffusionsausgleiches kann man folgende Punkte zusammenfassen:

  1. Verschiedene Ionen-Permeabilitäten über die Membran.
  2. Immobilität der intrazellulären Proteine (Gibbs-Donnan-Effekt; nach Frederick George Donnan und Josiah Willard Gibbs).
  3. Gleichgewichtspotentiale der Ionen (Nernst, Goldman).
  4. Verschiedene Leitfähigkeiten für die jeweiligen Ionen.
  5. Die Na-K-Pumpe (elektrogen, konzentrationsverschiebend).

Messung des Ruhemembranpotentials

Das Ruhemembranpotential kann man experimentell mit zwei Mikroelektroden bestimmen. Eine der beiden Mikroelektroden, die Messelektrode, wird in die Zelle hineingestochen, die zweite, die Bezugselektrode, wird von außen an die Zelle gehalten. An einem Voltmeter oder Kathodenstrahloszilloskop kann man zwischen den Elektroden eine Spannung (genauer Spannungsdifferenz) in der Größenordnung von −70 mV (viele Säugetiere) ablesen: das Ruhepotential. Definitionsgemäß ist diese Spannung als Spannungsunterschied über die Membran zu verstehen, das Zellinnere ist negativ geladen.

Die gemessenen Werte sind je nach Zelltyp unterschiedlich und schwanken zwischen −50 und −100 mV. Bei menschlichen Neuronen liegt der Wert typischerweise bei −70 mV, Gliazellen, Herz- und Skelettmuskelzellen weisen −90 mV auf.

Bedeutung des Ruhepotentials

Die Ausbildung und Aufrechterhaltung eines Ruhepotentials ist die grundlegende Voraussetzung für eine Reihe von Aufgaben der Zellen, für die im Folgenden einige angeführt werden.

Informationsübertragung

Ein vollständig schwarz bedrucktes Blatt Papier stellt keine Informationen dar. Entsprechend würde eine Nervenzelle, die ständig erregt ist (etwa bei +30 mV), keine Information weiterleiten können. Das Ruhepotential ermöglicht sozusagen erst die Erzeugung von Aktionspotentialen und damit die Weiterleitung von elektrischen Informationen an einer Nervenzelle.

Auslösen von Vorgängen

Die durch eine Abweichung vom Ruhepotential übertragene Information kann nicht nur weitergeleitet, sondern auch zum Auslösen verschiedener Vorgänge benutzt werden. So reagieren Muskelzellen auf eine Depolarisation - unter Vermittlung von Calciumionen - mit ihrer spezifischen Aufgabe, nämlich der Kontraktion.

Transportvorgänge

Auch elektrisch nicht erregbare Zellen nutzen ihr Ruhemembranpotential, häufig um bestimmte Substanzen im Zellinneren anzureichern. Das Potential liefert dabei die Energie, die benötigt wird, den Konzentrationsgradienten aufzubauen.

Einzelnachweise

  1. Rainer Klinke, Stefan Silbernagl (Hrsg.) et. al.: Physiologie 5. Aufl., Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-796005-3
  2. Christian Hick, Astrid Hick: Intensivkurs Physiologie 5. Aufl., Urban & Fischer Verlag, München 2006, ISBN 3-437-41892-0
  3. Rainer Klinke, Stefan Silbernagl (Hrsg.) et. al.: Physiologie 5. Aufl., Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-796005-3
  4. Christian Hick, Astrid Hick: Intensivkurs Physiologie 5. Aufl., Urban & Fischer Verlag, München 2006, ISBN 3-437-41892-0

Siehe auch

Weblinks


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