Rügegericht

Rügegericht

Die Rügegerichte oder Ruggerichte gehen zurück auf das strafrechtliche Rügeverfahren des fränkischen Rechts, bei dem nicht der zu Schaden Gekommene selbst (meist in Mordfällen), sondern ein von der Herrschaft vereidigter Rügegeschworener oder Rügezeuge als Ankläger auftrat, und sind damit indirekte Vorläufer des heutigen Strafrechts.

Im Königreich Württemberg wurden unter der Bezeichnung Ruggericht regelmäßige Bürgerversammlungen einberufen, auf denen Beschwerden der Bürger über die Amtsführung der Verwaltung vorgebracht werden konnten. So konnten z.B. Straftaten innerhalb der Exekutive aufgedeckt und Verwaltungsstrukturen verbessert werden.[1]

Rügegerichte nahmen später volksbräuchliche Formen an und lebten auf diese Art weiter. Hierbei handelte es sich um eine Art der Volksgerichtsbarkeit, bei der der Angeklagte nicht bestraft, sondern „gerügt“ bzw. verspottet wurde, so dass er aus Scham vor dem Gelächter der Gemeinde sein angeprangertes Verhalten, zumeist ein Normverstoß gegen Herkommen und Sitte, ablegte. Neben diesen eher scherzhaften Formen des Rügegerichts gab es auch drastischere Formen, z. B. das Scheren, Entkleiden und Wassertauchen.

Das Rügegericht/Ruggericht fand zumeist an einem bestimmten Tag im Jahr statt, z. B. im ausgehenden 15. Jahrhundert in Alfeld im Nürnberger Land am Montag nach Martini oder im fränkischen Eschenbach ums Solafest herum. Die Kontrahenten kamen hier zum „ruegen“ vor dem Pfarrer zusammen und warfen sich ihre Sünden gegenseitig vor. Der Pfarrer hatte dann die Sünder zurechtzuweisen. Überliefert ist, dass dieses Verfahren erst recht zu Uneinigkeit und Streit führte.

Rügegerichte zeichnen sich als außergerichtliches Konfliktaustragen dadurch aus, dass sie vor dem Hintergrund einer mythischen Inszenierung einen Verfahrensritus praktizieren, der sich oft durch eine spezielle Sprache auszeichnet.

Bekannte Rügegerichte sind das bayrische Haberfeldtreiben, Häckselstreuen, Loderstellen, Mistwagenstellen, Röckekürzen, Säg'spänstreuen, das bergische Rappeln und das schweizerische Giritzenmoos.

Rügegerichtsweisen sind auch in Fasnachtsbräuche als Ventilfunktion eingeflossen; bestimmte Zustände oder Personen werden gerügt oder kritisiert, wobei die Formen institutionell geschützt oder zumindest geduldet sind. Jüngere Formen von Rügebräuchen sind das Tomaten-, Eier- und vor allem das Tortenwerfen. Rügebräuche gibt es auch in Gymnasiasten- und Studentenkreisen.

Literatur

  • Martin Scharfe: Zum Rügebrauch. In: Hessische Blätter für Volkskunde 61, 1970, ISSN 0342-1260, S. 45–68.
  • Enno Bünz, Klaus Walter Littger (Hrsg.): Klerus, Kirche und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt. Ausgewählte Aufsätze von Franz Xaver Buchner. EOS Verlag, St. Ottilien 1997, ISBN 3-88096-882-9, S. 179f. („Das Ruggericht“).
  • Stephanie Schneider: Rügenprotokolle. Die Sprache einer Textsorte als Spiegel frühneuzeitlicher Sozialdisziplinierung. In: Niederdeutsches Wort 41, 2001, ISSN 0078-0545, S. 91–110.
  • Hedda Rgotzky: Die Hausmaid im Pflug. Ein fastnächtlicher Rügebrauch und seine Literarisierung. In: Ulrike Gaebel, Erika Kartschoke (Hrsg.): Böse Frauen - Gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2002, ISBN 3-88476-479-9, (Literatur, Imagination, Realität 28), S. 223–238.

Belege

  1. Instruktion zu Abhaltung der Ruggerichte in den Gemeinden vom 15. November 1844 mit den erforderlichen Aenderungen

Weblinks


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