Rüsttag

Rüsttag

Der Rüsttag (hebr. Erev, aram. Aruvta jeweils in der Zusammensetzung mit Festtagen, gr. Παρασκευή Paraskeue) ist der Vortag eines jüdischen Fests oder Feiertags, an dem dieser vorbereitet wird und an dem man sich besinnlich auf diesen einstellt. Der Begriff „Rüsttag“ ist im deutschsprachigen Judentum eher ungebräuchlich und in erster Linie durch seine christliche Verwendung im Neuen Testament bekannt. Der Todestag Jesu von Nazaret fiel nach den Evangelien auf einen Rüsttag.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte und Bedeutung

Der Begriff „Rüsttag“ ist wohl mit der Übersetzung des Neuen Testaments in die deutsche Sprache durch Martin Luther eingeführt oder zumindest bekannt gemacht worden.[1] Luther suchte einen passenden Ausdruck für das griechische Paraskeue (wörtlich für „Zurüstung“) , mit dem in der griechischen Fassung des Neuen Testaments die Vorbereitung eines jüdischen Festtags am Vortag gemeint ist. Auch wenn der Begriff „Rüsttag“ von Luther in die deutsche Sprache eingeführt worden ist, so hatte er sich doch auch im deutschsprachigen Judentum vor dem Holocaust durchgesetzt. In dem 1927 unter Mitarbeit von über 250 jüdischen Gelehrten und Schriftstellern herausgegebenen Jüdischen Lexikon wird erklärt:

„In manchen Verbindungen, wie Erew schabbat und Erew jom tow, bedeutet Erew Rüsttag des Sabbats bzw Festes...“

Jüdisches Lexikon, 1927[2]

Die Sprache der Juden in Galiläa zur Zeit Jesu von Nazaret war Aramäisch. In der aramäischen Sprache gibt es den Begriff Aruvta. In der Zusammensetzung mit Festtagen hat er ebenso wie das hebräische Wort Erev (ערב, wörtlich für „Abend“) die Bedeutung von Rüsttag. In manchen Verbindungen der hebräischen Sprache wie Erev Sabbat (in anderer Schreibweise Erew Schabbat) und Erev Jom Tow bedeutet Erev Rüsttag des Sabbats bzw. Festes.[3] Gemeint ist damit im Judentum der Kalendertag, an dessen Abend der Sabbat oder ein Jüdisches Fest beginnt. Am Rüsttag wird der Festtag vorbereitet oder „zugerüstet“. Zu beachten ist dabei, dass nach jüdischem Verständnis abweichend vom Kalendertag der neue Tag bereits mit dem Sonnenuntergang des alten Tages beginnt.[4] Der Abend desselben Kalendertages gehört deshalb schon nicht mehr zum Rüsttag, sondern zu dem darauf folgenden Festtag.

Paraskeue, Παρασκευή, als Vortag des Sabbato, Σάββατο (Samstags), ist darüber hinaus bis heute der im Griechischen gebräuchliche Name für den Freitag.

Vorbereitungen der jüdischen Festtage

Challot für Sabbat
Sederteller für Pessach

Vortag des Sabbat

Hauptartikel: Sabbat

Am Erev Sabbat, also Freitags bis zum Anbruch des Abends, wird der von Gott gesegnete und geheiligte Ruhetag (Gen 2,2f EU), der Sabbat in jüdischen Haushalten vorbereitet. Der Vortag des Sabbats spielt eine wichtige Rolle für die Einstimmung auf den Sabbat.[5] Es werden alle Dinge erledigt, die zu tun am Sabbat verboten sind. Dazu gehört zum Beispiel das Kochen und Warmhalten der festlichen Speisen oder die Reinigung des Hauses, die Reinigung der Familienmitglieder und das Anlegen neuer sauberer Kleidung. Der Festtagstisch wird feierlich bereitet, die Kerzen und die Challot, die zwei Brote, und der Kiddusch-Wein werden bereitgestellt. Auch auf Reisen treffen Juden Vorbereitungen zum anstehenden Sabbat. Zum Zeichen, dass der Sabbat naht, ertönen in Jerusalem am Freitagnachmittag Signale in der ganzen Stadt.

„Die Wohnung wird gerichtet wie zu einem Fest, alle Geräte werden geputzt, und der Tisch wird weiß gedeckt. Man badet und zieht möglichst von Kopf bis Fuß frische Kleidung an. Man tut Geld und was man sonst in den Taschen hat, heraus und bereitet sich in jeder Weise auf den Sabbat vor, an dem nicht gehastet und nicht gearbeitet wird, an dem kein Geschäft und keine Alltagssorge existiert.“

Leo Hirsch[6]

Vortag des Pessach

Hauptartikel: Pessach

Einen Tag vor Pessach sollen alle Erstgeborenen fasten und sich daran erinnern, dass die israelitischen Erstgeborenen gerettet wurden, während die ägyptischen Erstgeborenen getötet wurden (Ex 12,29 EU). Die Vorzeit des Pessachfestes ist eine geschäftige Zeit, die der Vorbereitung für die Festtage dient, von denen nur der erste und der letzte Pessachtag Hauptfeiertage sind, an denen jegliche Werktagsarbeit vermieden wird. Der Erev Pessach dient insbesondere der Vorbereitung des Sederabends. Im Christentum ist die Sederfeier zu Pessach als letztes Herren- oder Abendmahl neutestamentlich tradiert.

Historische Bedeutung bis zur Tempelzerstörung

Tempel vor der Zerstörung im Jahr 70

Zur Zeit des Jerusalemer Tempels, bis zu dessen Zerstörung im Jahre 70, wurde freitags ab 15.00 Uhr aus dem Tempel und außerhalb der Stadt aus den Synagogen mit Trompeten oder Hörnern geblasen. Nach dem ersten Signal hörte die Feldarbeit auf, nach dem zweiten wurden in der Stadt die Geschäfte und Werkstätten geschlossen.

„Aber noch immer steht Gewärmtes auf dem Herd und stehen Kochtöpfe auf dem Herd. Hat er begonnen, das dritte Hornsignal zu blasen, so wird weggenommen, was wegzunehmen ist, warm gestellt, was warm zu stellen ist und angezündet, was anzuzünden ist. Dann hält er inne, solange wie es braucht, einen kleinen Fisch zu braten, oder solange wie es braucht, um ein Teigstück in den Ofen zu kleben. Dann bläst er, dann trillert er, dann bläst er. Dann beginnt man den Schabbat.“

Talmud, Schabbat[7]

Nach dem sechsten Signal mussten alle Vorkehrungen zum Sabbat getroffen sein. Jeder Hausvater versammelte sich nun mit seiner Familie am Tisch und begann den Sabbat mit einem Gebet. Am Rüsttag war auch der Wechsel der so genannten Wöchner im Tempel, denn der Tempeldienst der Priester betrug eine Woche. Alle diensthabenden Priester versammelten sich hier, die abgehenden um alles zu reinigen und zu ordnen, die neu antretenden, um die Schaubrote zu backen.[8]

Zu den Vorbereitungshandlungen speziell für das Pessachfest gehörte es, die Schlachttiere für den Sederabend zu besorgen (Ex 12,6 EU).

Der neutestamentliche Rüsttag

An einem Rüsttag „hauchte er den Geist aus“.

Nach allen vier Evangelien ist Jesus von Nazaret an dem Rüsttag zu einem Sabbat gekreuzigt worden und gestorben:

„Jesus aber schrie laut auf. Dann hauchte er den Geist aus. [...] Da es Rüsttag war, der Tag vor dem Sabbat, und es schon Abend wurde, ging Josef von Arimathäa, ein vornehmer Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete, zu Pilatus und wagte es, um den Leichnam Jesu zu bitten.“

Mk 15,37-42 EU

Nach den synoptischen Evangelien fand das letzte Abendmahl an einem Sederabend statt (Mk 14,12 EU) und Jesus starb an einem 15. Nisan. Nach dem Johannesevangelium fand das letzte Abendmahl vor dem Sederabend statt (Joh 13,1 EU), und der Todestag Jesu war sowohl der Rüsttag zu einem Sabbat (Joh 19,31 EU) als auch der Rüsttag zu Pessach und damit der 14. Nisan (Joh 18,28 EU, Joh 19,14 EU). Der Sederabend und damit der erste Pessachfeiertag[9] begann nach dem Johannesevangelium also erst, nachdem Jesus bereits gestorben war. Deshalb wird dort der auf den Rüsttag folgende Tag als ein besonders hoher Feiertag bezeichnet:

„Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf. Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen[10] und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag.“

Joh 19,31 EU

Die griechische Fassung des Textes[11] bedeutet wörtlich: „als der Tag jenes Sabbats groß war“.[12] Im Christentum gilt der „Sabbatum magnum“ oder „Sabbatum sanctum“ als der Tag, an dem Jesus im Grab lag.[13] In mittelalterlichen Urkunden des Rats von Lübeck wird der Sabbatum magnum als „in deme hl. avende der hochtyd tho Paschen“ (1380) und als „up den avent des hl. Paschen“ (1442) bezeichnet. In den Stadtbüchern der Stadt Zürich findet sich dafür die Wendung „an den hohen Samstag“ (1319). Der Begriff Karsamstag war damals noch nicht gebräuchlich.[14]

Einzelnachweise

  1. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Wörterbuch der deutschen Sprache, achter Band, Hirzel, Leipzig 1893, S. 1552
  2. Georg Herlitz und Bruno Kirschner, Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Jüdischer Verlag 1927, Nachdruck der ersten Auflage Athenäum Verlag 1987, Band 2, S. 460 f.
  3. Vgl. in der Schreibweise Erew Ignatz Bernstein, Jüdische Sprichwörter und Redensarten, J. Kauffmann, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1908, S. 20; Georg Herlitz und Bruno Kirschner, Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden, Jüdischer Verlag 1927, Nachdruck der ersten Auflage Athenäum Verlag 1987, Bd. 2, S. 460 f.
  4. „Aus Abend und Morgen“ wird der erste Tag, 1. Mos. 1, 5
  5. Berel Wein, Besondere Zeit. Was der Freitagnachmittag zur Atmosphäre des Schabbats beiträgt, in: Jüdische Allgemeine vom 22. Mai 2008
  6. Leo Hirsch, Jüdische Glaubenswelt, 1966, S. 86
  7. Schabbat 35 b; Reinhold Mayer, Der babylonische Talmud, 1963, S. 569
  8. Pierer's Universal-Lexikon, Band 14, S. 627
  9. Vgl. oben, der Abend gehört bereits zum neuen Tag.
  10. Der Tod durch römische Kreuzigung ist die Todesstrafe durch langsamen Erstickungstod für nichtrömische Bürger und Sklaven. Ein kleines Brett unter den Füßen oder die festgenagelten Füße des Gekreuzigten dienen ihm, zum Einatmen den Körper periodisch anzuheben, da die hoch festgebundenen Arme das Atmen erschweren, also eine Erleichterung und zugleich Verlängerung des Sterbens, im Falle der genagelten Füße eine Qual bis zur Entkräftung und folgenden Tod. Das Zerschlagen der Beine führte dann schnell zum Erstickungstod, da das Einatmen durch Hochstemmen des Körpers nicht mehr möglich ist, letztendlich ein Akt des Mitgefühls und des schnelleren Sterbens der Gekreuzigten. Vor dem Sabbat könnten die Leichen dann noch würdig bestattet werden und nicht länger als nötig an den Kreuzen hängen.
  11. οι ουν ιουδαιοι επει παρασκευη ην ινα μη μεινη επι του σταυρου τα σωματα εν τω σαββατω ην γαρ μεγαλη η ημερα εκεινου του σαββατου ηρωτησαν τον πιλατον ινα κατεαγωσιν αυτων τα σκελη και αρθωσιν.
  12. Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung, Fußnote zu Johannes 19, Vers 31
  13. Pierer's Universal-Lexikon, Band 14, S. 643
  14. Peter Browe, Die Kommunion an den letzten Kartagen, in: Peter Browe, Hubertus Lutterbach, Thomas Flammer, Die Eucharistie im Mittelalter, Berlin-Hamburg-Münster, 2003, S. 323

Literatur

  • Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung
  • Ignatz Bernstein: Jüdische Sprichwörter und Redensarten. J. Kauffmann, 2. Aufl. Frankfurt a.M 1908
  • Jacob und Wilhelm Grimm: Wörterbuch der deutschen Sprache. Achter Band, Hirzel, Leipzig 1893
  • Georg Herlitz und Bruno Kirschner: Jüdisches Lexikon: ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Jüdischer Verlag 1927
  • Leo Hirsch: Jüdische Glaubenswelt. Bertelsmann, Gütersloh 1966
  • Reinhold Mayer: Der babylonische Talmud. München, Goldmann 1963
  • Pierer's Universal-Lexikon. Altenburg 1857-1865

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