Sachverständigen-Ausschuß für Verfassungsfragen

Sachverständigen-Ausschuß für Verfassungsfragen

Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee tagte vom 10. bis 23. August 1948 im Auftrag der Ministerpräsidenten der Länder im Alten Schloss auf der Insel Herrenchiemsee in Bayern. Er war ein Ausschuss aus sachverständigen Beamten, dessen Aufgabe es war, einen „Verfassungsentwurf aus[zu]arbeiten, der dem Parlamentarischen Rat als Unterlage dienen“ könne. Ein bestimmter offizieller Name ist nicht auszumachen, da der Ausschuss zum einen als „Sachverständigen-Ausschuß für Verfassungsfragen“ vorgesehen war, er sich aber teilweise auch als „Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westdeutschen Besatzungszonen“ und als „Verfassungskonvent“ bezeichnete und schließlich vom Parlamentarischen Rat auch als „Herrenchiemseer Konvent“ bezeichnet wurde[1]. Die Arbeit des Konvents bildete das Fundament für das Grundgesetz.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf

Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei Staatsminister Anton Pfeiffer war der geschäftsmäßige Leiter des Konvents und eröffnete ihn am 10. August 1948 im Zimmer Nr. 7, dem ehemaligen Speisezimmer König Ludwigs II. Jedes Land hatte einen Experten delegiert, dazu kamen etwa zwanzig weitere Juristen, Politiker und Verwaltungsfachleute. Der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung von Berlin, Otto Suhr, nahm als Gast teil. Nach einer einführenden Plenardebatte teilte sich das Gremium in drei Unterausschüsse und schuf bis zum 23. August einen fast vollständigen Entwurf eines Grundgesetzes, den „Chiemseer Entwurf“.

Eine Reihe von Punkten blieben auch am Ende des Konvents strittig: so Fragen der Finanzverfassung und -verwaltung, die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen dem Bund und den Ländern sowie die Frage, ob eine „Zweite Kammer“ als Bundesrat oder Senat ausgestaltet werden sollte.

Man einigte sich aber auf einige „unbestrittene Hauptgedanken“[2]:

  1. Es bestehen zwei Kammern. Eine davon ist ein echtes Parlament. Die andere gründet sich auf die Länder.
  2. Die Bundesregierung ist vom Parlament abhängig, sofern es zur Regierungsbildung fähig ist. Das Vertrauen einer arbeitsfähigen Mehrheit ist unerlässlich und jederzeit ausreichend, einen Mann an die Spitze der Regierung zu bringen.
  3. Eine arbeitsunfähige Mehrheit kann dagegen weder die Regierungsbildung vereiteln, noch eine bestehende Regierung stürzen. Der Ausweg einer Präsidialregierung wird dabei vermieden.
  4. Neben der Regierung steht als neutrale Gewalt das Staatsoberhaupt. Die Funktion wird zunächst behelfsmäßig versehen. Nach Herstellung einer angemessenen völkerrechtlichen Handlungsfreiheit und nach Klärung des Verhältnisses zu den ostdeutschen Ländern wird sie nach der überwiegenden Meinung von einem Bundespräsidenten übernommen.
  5. Notverordnungsrecht und Bundeszwang liegen bei der Bundesregierung und der Länderkammer, nicht beim Staatsoberhaupt.
  6. Bei der Bundesaufsicht leistet die Bundesjustiz Hilfestellung.
  7. Die Vermutung spricht für Gesetzgebung, Verwaltung, Justiz, Finanzhoheit und Finanzierungspflicht der Länder.
  8. Bund und Länder führen eine getrennte Finanzwirtschaft.
  9. Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes.
  10. Eine Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, ist unzulässig.

Der stark föderale Charakter des Verfassungsentwurfs zeigt sich u. a. in dem Grundsatz, dass „die Vermutung für Gesetzgebung, Verwaltung, Finanzhoheit und Finanzierungspflicht der Länder spricht“.

Zusammen mit einem darstellenden und einem kommentierenden Teil umfasste der gesamte „Bericht“ des Konvents 95 Druckseiten. Er ging zunächst der Konferenz der Ministerpräsidenten und anschließend dem Parlamentarischen Rat in Bonn zu.

Auswirkungen

Mit dem Entwurf wurde eine Reihe von Problempunkten vorab geklärt und eine qualifizierte Grundlage für die Beratungen im Parlamentarischen Rat geschaffen. Die Führer insbesondere der linken politischen Parteien standen dem „auf Grund einer privaten Vereinbarung der Ministerpräsidenten der deutschen Länder“[3] entstandenen Konvent zwar reserviert bis ablehnend gegenüber, da sie den Konvent als Einmischung der Ministerpräsidenten der Länder empfanden. Der Historiker Wolfgang Benz bewertet den Bericht des Verfassungskonvents „als imponierendes Kompendium des Verfassungsrechts“, das „für die Debatten der folgenden Monate im Parlamentarischen Rat von kaum zu überschätzender Bedeutung“[4] gewesen sei. Ohne Zweifel hat der Herrenchiemseer Verfassungskonvent einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung des Grundgesetzes und damit auch der Bundesrepublik Deutschland geleistet.

Siehe auch

Literatur

  • Angela Bauer-Kirsch: Herrenchiemsee. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee – Wegbereiter des Parlamentarischen Rates, Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, 2005.
  • Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hgg.): Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, bearb. v. Peter Buchter, Harald Boldt Verlag: Boppard am Rhein 1981, ISBN 3-7646-1671-7.
  • Peter März, Heinrich Obereuther (Hgg.): Weichenstellung für Deutschland. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, Olzog: München 1999, ISBN 3-7892-9373-3.

Quellen

  1. Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. I: Vorgeschichte, Boppard am Rhein 1981, S. 328, Fußnote 47.
  2. Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II, Boppard am Rhein 1981, S. 505 ff.
  3. Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. II, Boppard am Rhein 1981, CXX.
  4. Wolfgang Benz, Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat. München 1994

Weblinks


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