Schloss Gantikow

Schloss Gantikow
Portal des Lügenmuseum in Gantikow

Das Lügenmuseum im Kyritzer Ortsteil Gantikow im Landkreis Ostprignitz-Ruppin wurde von dem Objektkünstler Reinhard Zabka alias „Richard von Gantikow“ aus der Künstlerszene Berlin-Prenzlauer Berg in den 80-er Jahren zunächst als öffentliches Sommeratelier in der Prignitz gestaltet und geführt. Nach dem Umzug nach Kyritz wurde die Sammlung mit weiteren Werken des Inhabers erheblich erweitert und 1995 als Mitglied in den Museumsverband Brandenburg aufgenommen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Denkmalgeschützte Freskogalerie des Lügenmuseum

Der gebürtige Erfurter Zabka entwickelte seine zeitgenössische Kunst aus Protest gegen das bürgerliche Leben der DDR und wurde von den Behörden (MfS Hauptabteilung XX - Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund) entsprechend unterdrückt. Nach wiederholten Ablehnungen für Ausstellungsgenehmigungen durch die Kunstaufsicht begann Zabka seine Werke zu zersägen, expressiv neu zu arrangieren und zu collagieren, um ihnen so die offensichtliche Bedeutungsebene zu nehmen.

In der Folge entwickelte er seine Werkfertigung weiter, aus einer Kombination von Installationskunst, Collage und Licht- und Klanginszenierungen. Er öffnete sein Sommeratelier in Babe (Prignitz) für das Publikum und lebte dort in den Sommermonaten halb öffentlich in einer ständigen Ausstellung, die auch seinen persönlichen Lebensraum umfasste. Ohne ausdrückliche Intention und Ausstellungskonzept machte er sich so mit seinen scheinbar unpolitischen Werken im dadaistischen Stil für die Staatsorgane unangreifbar.

Die Historie für den Besucher beschreibt eine fiktive Ahnengalerie aus dem Jahr 1884 mit einer Emma von Hohenbüssow, der vorgeblichen Urenkelin von Baron Münchhausen, welche im Alter von 11 Jahren keine Puppenstube, sondern ein Museum haben wollte. Die Eltern hätten ihr den Wunsch zunächst mit einem kleinen Pavillon erfüllt, der jedoch bald nicht mehr ausreichte. Im Zweiten Weltkrieg sei die Sammlung geplündert und der Rest 1980 auf eine Müllkippe gebracht worden, wo sie von dem Künstler aufgelesen und in sein Sommeratelier, eine verfallene Bauernkate in der Prignitz verbracht wurde. Er fand darunter ein kleines Büchlein mit der Geschichte des Lügenmuseums und rekonstruierte die Sammlung.

An dieser Stelle leitet der Künstler auf seine reale Geschichte über.

Richard von Gantikow

1990, nach der Wende, erklärte Reinhard Zabka sein Atelier zum Museum. Das Lügenmuseum war ein großer Erfolg und wurde zu Festivals, internationalen Kunstsymposien und Stadtfesten eingeladen. Seit 1992 erhält es Stipendien für internationale Kunstsymposien und bezeichnete sich zeitweise als Deutsches Historisches Lügenmuseum. Im Frühjahr 1995 nahm der Museumsverband des Landes Brandenburg das Lügenmuseum als Mitglied auf und die Stadt Kyritz übereignete das verfallene Gutshaus Gantikow an den Trägerverein von Reinhard Zabka zur Nutzung als Museum. Im Jahr 2000 erkennt der brandenburgische Landesverband LAG-Soziokultur das Museum aufgrund seiner internationalen Beziehungen und regelmäßigen Kunst-Workshops als soziokulturelles Zentrum an.

Sammlung

Beton-Installation vor dem Lügenmuseum von Birgit Schöne

Die Werksammlung des Lügenmuseum wird vom Autor und Inhaber Reinhard Zabka kuratiert. Die Objekte zeitgenössischer bildender Kunst zeigt auf ca. 400 m² Ausstellungsfläche in 10 Räumen und einem Skulpturengarten auf dem Grundstück des Gutes überwiegend expressionistische Installationen. Die Themen variieren zwischen dadaistischen Arrangements skurriler Küchen- und Handwerksgegenstände des beginnenden 20. Jh., Zitaten aus thailändischer Alltagskultur (vor allem aus Bali), politischer Reflexion der DDR-Vergangenheit und religionskritischen Persiflagen der christlichen Heiligenverehrung. Dazwischen finden sich einzelne Werke moderner Videokunst, Anleitungen zum wahren Lügen oder auch das Ohr des Vincent van Gogh in einer Vitrine. Auf Theodor Fontane als vorgeblich einzigen bedeutenden Künstler, der je die Prignitz durchwanderte und Willy Brandt, als Sinnstifter des Grundlagenvertrages geht das Museum mit eigenen Themenräumen ein. Zahlreiche Installationszitate erschließen sich dem Besucher allerdings entweder nur mit ostdeutscher Sozialisation oder mit politischem Interesse. Im Skulpturengarten sind vor allem Holz- und Beton-Plastiken befreundeter Künstler installiert, so auch von Birgit Schöne, einer bekannten berliner Installationskünstlerin.

Die Fassade des Gutshauses trägt eine denkmalgeschützte Freskogalerie, die sich thematisch jeweils auf einem Flügel des Hauses mit der Lüge und auf dem anderen mit der Wahrheit befasst. Die Arbeiten wurden von Katharina Zipser über mehrere Jahre geleitet, einer in München lebenden Freskomeisterin rumänischer Herkunft mit internationaler Reputation.

Kunstbetrieb

Weltenreisen-Raum im Lügenmuseum

Das »Lügenmuseum« bietet eine irrwitzige Sammlung von Dingen (»Reliquien einer traumatisch eingestürzten Inneneinrichtung namens DDR«), die in eigenwilligen Installationen ihrer ursprünglichen Bedeutung enthoben werden. Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der das Atelier als privater Ausstellungs- und Wohnraum genutzt wurde, faszinierte die Besucher früh. Der Künstler lebt und arbeitet auch in den derzeitigen Räumen in unmittelbarer Nähe bzw. in der Ausstellung selbst und bewirtet seine persönlichen Gäste auch während der Öffnungszeiten z.T. in den Museumsräumen. Museumsbesucher werden häufig gleich mit zum privaten Tee vom Künstler eingeladen.

Heute wird das Deutsche Historische Lügenmuseum von Reinhard Zabka als Einzelunternehmen, jetzt als Mieter im ehemals eigenen Haus betrieben. Es hat sich innerhalb der vergangenen Jahre zu einem wichtigen Kultur- und Freizeitangebot für die Region entwickelt. Das Lügenmuseum findet weit über den Landkreis Anerkennung und Beachtung.


Rezeption in den Medien

Das Lügenmuseum wird regelmäßig in überregionalen Medien rezipiert. Die Berichterstattung thematisiert zumeist die zunächst scheinbar zusammenhanglose Ausstellung, die dem Besucher stets mehrere Bedeutungsebenen gleichzeitig anbietet. Da die vordergründige Erwartung im Lügenmuseum fertig aufbereitete Lügengeschichten zu konsumieren heftig enttäuscht wird, sprechen manche Journalisten auch von erfrischender Klarheit, die sich der Besucher jedoch stets selbst erschließen muss.

Das ZDF kommentiert: Dass im Lügenmuseum alles Lüge ist, entpuppt sich nach und nach als größte Lüge. Konkreter kommt man versteckten Wahrheiten selten auf die Spur.

Die Deutsche Welle führt aus: Wahrheit oder Lüge? Seit Platon beschäftigt diese Frage die Philosophie. Und längst ist klar, dass es sich um ein sinnloses Unterfangen handelt, aus dem Lügenmeer der alltäglichen Kommunikation die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden.

Der Spiegel online zitiert einen Besucher: Das Lügenmuseum - der phantasievolle, spritzige, witzige und ironiegetränkte Fremdkörper in einem langweiligen, von der Kultur des Schützenvereins und freiwilligen Feuerwehr beherrschten Dorfes im drögen Brandenburg.

Zitate

  • Reinhard Zabka (Motto des Hauses): Die Lüge im Dienste der Wahrheit wäscht den Staub des Alltags von den Sternen.
  • Christof Tannert Leiter des Künstlerhauses Bethanien in Berlin schreibt: Was wäre das Land Brandenburg ohne sein Lügenmuseum. Meister der Drehungen und Volten zu Gantikow ist „Richard von Gigantikow“, der mit traumwandlerischer Sicherheit ortet, wo sich das Richtige im Falschen versteckt.
  • Martin Ahrends schreibt im Museumsführer das Landes Brandenburg (2001, S. 84/85): Hinter Kyritz, an der B 5 liegt das Dorf Gantikow, soviel ist nicht gelogen. Sobald man aber das Schloss betreten hat, wird die Unterscheidung zwischen Schein und Sein durchaus schwierig, denn die ausgestellten Objekte und Installationen sind nicht, was sie sind. Es sind Reliquien einer traumatisch eingestürzten Inneneinrichtung namens DDR. Es sind Kompositionen aus heiligen Resten, aus Alltagskram, der hier in einer Weise zweckentfremdet oder aus seiner dienenden Rolle erlöst und zum Selbstzweck wird, dass der kunstvoll neue Zusammenhang die Dinge als ihre eigene Karikatur oder Verherrlichung erscheinen lässt. Hier ward das “Wahnsinns“ -Wort der Wende wahr: Altäre mit Wimpeln und Orden und Walter-Ulbricht-Fotos, das Mausoleum mit einer darin aufgebahrten verdienten Maus des Volkes. Das meiste aber ist gar nicht irgendwie gemeint, will an gar nichts mehr erinnern, hat die Erinnerung an sich selbst fast aufgegeben und kreist als nutzloses Spielwerk lächelnd um sich selbst: „Maschinen, die ins Leere laufen“. Man durchschreitet diese durchinstallierten Räume und spürt, wie die irrwitzigen Zusammenstöße im eigenen Kopf Funken schlagen. In diesem Irrgarten wächst die Lust mitzuspielen, in weltvergessener Bastelei die Überbleibsel- im nicht ganz Hegeischen Sinne - aufzuheben, um ihre verbrauchte Festlegung zu verhüllen und herauszustellen, was sie nie waren und nunmehr auf immer sein dürfen: „bewusstseinserweiternde Haushaltsgeräte“. Kurzschlüsse im Kopf können heilsam sein. Der Gründer des Hauses nennt sich Richard von Gigantikow, sein Werk ist die „Psychedelia Maschinka“ und der Ort das „Heiligtum des ostdeutschen Widerstandes“. Man lächelt und staunt.“

Literatur

  • Evelyn Finger: Der letzte Dadaist des wilden Ostens, in: Die Zeit 39, 18. September 2008, S. 76
  • Michaela Vieser u. Reto Wettach: Übersehene Sehenswürdigkeiten. Deutsche Orte. ic!-berlin, Berlin 2004; ISBN 3-9809758-0-0; 216 S. (Text deutsch u. englisch)

Weblinks

52.97448333333312.3505944444447Koordinaten: 52° 58′ 28″ N, 12° 21′ 2″ O


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