Schmallenberger Dichterstreit

Schmallenberger Dichterstreit

Der Schmallenberger Dichterstreit war im Jahr 1956 eine Debatte unter Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern über die Zukunft und Vergangenheit der Literatur in Westfalen.

Auf Einladung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe trafen sich mit finanzieller Hilfe der Stadt Schmallenberg eine Reihe von Autoren, Kritikern und Literaturwissenschaftlern in dieser sauerländischen Gemeinde. Die Initiatoren waren überrascht, dass sich das als harmonisches Literatengespräch gedachte Treffen zum schärfsten Konflikt über die Rolle der regionalen Literatur in Westfalen in den Nachkriegsjahren überhaupt entwickelte. Neben Inhalten war dies auch ein Generationenkonflikt. Auf der einen Seite stand eine ältere Generation von Heimatschriftstellern. Dazu zählten vor allem die sieben noch lebenden Träger des Westfälischen Literaturpreises. Deren konservative, völkische oder einfach traditionalistische Literaturauffassungen hatten sich vor und während des nationalsozialistischen Deutschen Reiches entwickelt. Diese Haltung wurde von einer jüngeren Generation in Frage gestellt. Zu ihnen gehörten Erwin Sylvanus, Friedrich Wilhelm Hymnen, Hans Dieter Schwarze, Paul Schallück und Ernst Meister. Diese suchten nach der Befreiung den Anschluss an die literarische Moderne.

Beide Lager trafen zum ersten Mal bei einer öffentlichen Lesung vor über 2.000 zahlenden Zuhörern in der Schmallenberger Stadthalle aufeinander. Dabei stieß die moderne Lyrik einiger Autoren auf offenes Unverständnis. Die eigentliche Debatte fand im engeren Kreis im Hotel Störmann statt. Dabei stellten die Jüngeren insbesondere den Heimatbegriff in Frage. Anstoß zur Debatte hatte der in Münster lehrende Germanist Clemens Heselhaus gegeben. Danach hätte eine eigenständige westfälische Literatur nie existiert. Das angeblich genuin Westfälische etwa bei Christian Dietrich Grabbe, Ferdinand Freiligrath oder Annette von Droste-Hülshoff sei eine nachträgliche Mystifikation. Kritisiert wurde an der älteren Literaturauffassung auch die Nähe zur Blut-und-Boden-Ideologie. Beim Fortsetzen dieser Art von Literatur und der Betonung von Heimat und Volkstum würde dieser Geist, den man überwunden glaubte, durch die Hintertür wieder salonfähig gemacht.

Über den Konflikt wurde von der Presse berichtet, und in der interessierten Öffentlichkeit etwa in Leserbriefen über Monate diskutiert. Er hat dazu beigetragen, dass sich entgegen der Absicht der Initiatoren die literarische Moderne auch in der westfälischen Provinz durchzusetzen begann. Ein Indiz dafür war, dass nur ein Jahr später der während des Treffens viel gescholtene Ernst Meister zum Entsetzen der Traditionalisten den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis erhielt.

Literatur

  • Georg Bühren, Walter Gödden (Hrsg.): Der Schmallenberger Dichterstreit 1956. Die Originalredebeiträge und Diskussionen. Landesbildstelle Westfalen 2000 (1 CD und Begleitheft). Neuausgabe. Ardey-Verlag, Münster 2004, ISBN 3-87023-133-5. Tonausschnitt.
  • Walter Gödden, Reinhard Kiefer: Utopische Dichter. Der Schmallenberger Dichterstreit 1956, Ernst Meister und die Folgen. Analysen und Dokumente. Ardey-Verlag, Münster 2000, ISBN 3-87023-150-5 (Bücher der Nyland-Stiftung, Köln Reihe Dokumente 1).

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