- Schnackerl
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Klassifikation nach ICD-10 R06.6 Singultus ICD-10 online (WHO-Version 2006) Der Schluckauf (lat. Singultus = Schluchzen, Röcheln) ist eine reflektorische Einatmungsbewegung (Kontraktion) des Zwerchfells, wobei die Einatmung durch plötzlichen Stimmlippenverschluss unterbrochen wird. Dadurch entsteht ein deutliches Geräusch (der Hickser).
Inhaltsverzeichnis
Ursachen
Bei vielen Lebewesen und beim Menschen im Baby- und Kleinkindalter hat der Schluckauf die Aufgabe, die Lungenflügel vor dem Eindringen von Flüssigkeiten zu schützen, indem sich die Atemmuskulatur blitzartig zusammenzieht und sich gleichzeitig die Stimmritze schließt. Bei menschlichen Embryos verhindert der Reflex das Einatmen von Fruchtwasser. Bei Säuglingen verhindert der Schluckauf das versehentliche Einatmen der Muttermilch. Bei ihnen ist es besonders wichtig, da der noch nicht voll ausgebildete Kehlkopf weder Luftröhre noch Speiseröhre vollständig verschließt. Dadurch besteht bei ihnen ein erhöhtes Risiko des Einatmens von Speiseresten, unter anderem ein Grund des plötzlichen Säuglingstods. Der Schluckauf übernimmt also die Kehlkopffunktionen (Trennung zwischen Speise- und Luftröhre) für den Zeitraum bis zur vollständigen Ausbildung des Kehlkopfes und dient sozusagen als „Umschalter“ zwischen Atmen und Schlucken. Da die Atmung Vorrang vor der Nahrungsaufnahme hat, kann der „versehentlich“ ausgelöste Schluckauf durch Anreicherung von Kohlenstoffdioxid im Blut wieder abgeschaltet werden (Luft anhalten, durch eine geschlossene Tüte ein- und ausatmen etc.). Häufig kann der Schluckauf auch durch unten beschriebene Fehlfunktionen bei Menschen aller Altersgruppen ausgelöst werden.
Weiterhin dient der Schluckauf als eine Art Würgereflex, durch den festsitzende Schluckinhalte weitertransportiert werden. Er entsteht durch eine ruckartige Verkrampfung des Zwerchfells. Das Zwerchfell wird über den Nervus phrenicus, dessen Ursprung im zentralen Nervensystem (= Gehirn und Rückenmark, wichtig für Motorik und Koordination der beteiligten Muskeln) liegt, innerviert. Als Auslöser für einen Schluckauf bei einem Menschen ab dem Kleinkindalter kommen daher vier Bereiche in Frage:
1. Speisereste oder Fremdkörper in der Speiseröhre (physiologischer Auslöser im Gegensatz zu den folgenden pathologischen)
2. Zentral-Störung im ZNS, z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung (anhaltender Schluckauf kann das erste Zeichen für eine Subarachnoidalblutung sein), Hirntumor, Enzephalitis
3. Störungen/Läsionen im Verlauf des Nervus phrenicus
4. Störungen am Zwerchfell (z.B. Subphrenischer Abszess)
Ablauf des Reflexes
Durch die Kontraktion des Zwerchfells wird der Brustraum erweitert und Luft in die Lunge gesaugt. Beim (ruckartigen) Einatmen der Luft verschließt sich reflektorisch die Stimmritze. Strömungsbedingt entsteht während des Verschlusses der Stimmlippen jenes Geräusch, das wir als den „Hicks“ kennen.
Das Aufsuchen eines Arztes ist erst ab einem über Stunden andauernden Schluckauf angeraten oder bei einem Zusammenhang mit anderen Beschwerden.
Die möglichen Ursachen lassen sich in mehrere Gruppen fassen:
- zumeist vorübergehende Reizungen des Zwerchfells durch unübliche Magenfüllung (hastiges Essen, kalte Getränke, scharfes Essen) – diese Reize werden afferent über den N. vagus und N. phrenicus vermittelt – in Kombination mit Aufregung (weshalb mitunter Konzentration auf gleichförmige Abläufe wie ruhige Atmung hilft);
- Veränderung des vegetativen Gleichgewichts (Alkoholgenuss, Hysterie);
- krankheitsbedingte, also nicht in wenigen Minuten vorübergehende, direkte entzündliche Reizungen am Zwerchfell bei beispielsweise einem subphrenischem Abszess, einer Pleuritis, einer Pankreatitis oder nach Operationen im Oberbauch, wobei reflektorisch eine motorische Antwort über den N. phrenicus am Zwerchfell hervorgerufen wird;
- chronisch narbig-entzündliche oder tumorbedingte Reizungen mit ähnlich reflektorischen Reaktionen.
Entwicklungsgeschichtliche Erklärungen
Atmung wird im Wesentlichen vom Hirnstamm zwischen Gehirn und Rückenmark gesteuert. Bei den Fischen reguliert er die rhythmischen Muskelbewegungen im nahe gelegenen Rachen und der Kiemen. Bei Säugetieren werden die Muskeln der Brustwand und des Zwerchfells vom Hirnstamm angesteuert. Hierzu haben sich lange Leitungsbahnen ausgebildet: der Vagus- und Phrenicusnerv. Der komplizierte Verlauf bedingt die Störanfälligkeit dieser Konstruktion. Alles, was die Funktion eines dieser Nerven beeinträchtigt, kann unkontrollierte Kontraktionen auslösen.
Der Mustergenerator, der im Hirnstamm für den Schluckauf verantwortlich ist, findet sich auch bei Kaulquappen und Lungenfischen (besitzen Lungen und Kiemen). Dieser Generator ist aktiv, wenn die Atmung über die Kiemen erfolgt. Das Wasser wird durch Maul, Rachen und Kiemen geleitet, darf aber nicht in die Lunge geraten. Das verhindert die Glottis, ein Gewebedeckel, der dann die Luftröhre abdeckt. Das Schließen der Glottis bei Wasseratmung ist somit eine abgewandelte Form des Schluckaufs.[1][2]
Chronischer Schluckauf
In besonders seltenen Fällen leiden Menschen unter chronischem Schluckauf, mitunter viele Jahre lang. Der längste ununterbrochene Schluckauf beim Menschen dauerte von 1922 bis 1990 (Shubin 2008). Ein solches Leiden bringt nicht nur körperliche Einschränkungen mit sich, sondern schlägt oft auch auf die Psyche und kann bis zum Suizid führen. Auf physischer Ebene wird durch dauernden Schluckauf die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt und es kommt zu Schlafstörungen. Festgestellt wurden mehrere Ursachen, darunter Magenbeschwerden, neurologische Störungen und Tumore. Da fast ausschließlich Männer von diesem Phänomen betroffen sind, wird von einem Zusammenhang mit den Sexualhormonen ausgegangen. In Deutschland betreut die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Patienten mit chronischem Schluckauf.
Therapie
Es existieren sehr viele Volksweisheiten zur Behandlung des Schluckaufs, deren Wirksamkeit aber medizinisch nicht belegt sind. Im Gegensatz dazu erwähnt die medizinische Fachliteratur neben pharmakologischer Behandlung (etwa mit Cannabis (Gilson et al. 1998)) auch einige unorthodoxe Behandlungsformen, darunter unter anderem Orgasmen (Peleg et al. 2000), rektale Massage per Finger (Fesmire 1988, Odeh et al. 1990) oder die nasale Anwendung von Essig (Iwasaki et al. 2007).
Medikamentös wird mit Protonenpumpenhemmern, Prokinetika, Sympathomimetika und Sedativa (Neuroleptika) behandelt; früher mit Triflupromazin (wurde 2003 vom Markt genommen) oder Diazepam.
Brauchtum
Wie beim Niesen (Sternution, Sternutation) etwas näher ausgeführt, sind (bzw. waren) auch mit dem Schluckauf allerlei traditionelle, „abergläubische“ Vorstellungen verbunden, wie z.B., dass jemand in diesem Moment an die Person denkt. Vgl. (z.B.)[3]
Bezeichnungen
In Österreich wird Schluckauf umgangssprachlich manchmal als „Schnackerln“ (Mehrzahl von „Schnackerl“ oder Infinitiv; auch „Schnackerlstessen“) bezeichnet[4] („Er/sie hat Schnackerln“). In der Schweiz wird er umgangssprachlich als „Hitzgi“ oder „Gluggsi“ bezeichnet („Er/sie hat den Hitzgi/ das Gluggsi“). In Schwaben (Württemberg) und in Baden wird der Schluckauf als „Gluckser, Gluggser“ oder „Häcker“ bezeichnet („er/sie hat den Gluckser / Gluggser / Häcker“), in Franken als "Hädscher" und in Bayerisch Schwaben als "Koppern". Außerdem gibt es im Ruhrgebiet die Version „Hickeschlick“.
Einzelnachweise
- ↑ Neil Shubin, Der Fisch in uns, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2008, ISBN 978-3-10-072004-7
- ↑ C. Strauss et al., A phylogenetic hypothesis for the origin of hiccoughs, 2003, Bioessays 25:182-188. Abstract
- ↑ K. Spangenberg et al. (1966): Thüringisches Wörterbuch (Akademie-Vlg. Berlin), Lemma:Schluckauf.
- ↑ österr. Wörterbuch 35. Ausgabe 1979 „das Schnackerl, -s, der Schnackerl: kurze (wiederholte) krampfartige Zwerchfellbewegung; das Geräusch dabei“
Literatur
- Fesmire, L. M., Termination of intractable hiccups with digital rectal massage, in: Annals of Emergency Medicine, 1988 Aug;17(8):872
- Gilson, I et al., Marijuana for intractable hiccups, in: The Lancet, 1998 Jan 24;351(9098):267
- Iwasaki, N. et al., Hiccup treated by administration of intranasal vinegar, in: No To Hattatsu, 2007 May;39(3):202-5. Abstract
- Launois et al., Hiccup in adults:an overview, In: European Respiratory Journal, 1993, S.563-575, Abstract
- Odeh, M. et al., Termination of intractable hiccups with digital rectal massage, in: Journal of Internal Medicine, 1990 Feb;227(2):145-6. Abstract
- Peleg, R. et al., Case report: sexual intercourse as potential treatment for intractable hiccups., in: Can Fam Physician, 2000 Aug;46:1631-2
Weblinks
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