Schumannsche Klangfarbengesetze

Schumannsche Klangfarbengesetze

Karl Erich Schumann (* 5. Januar 1898 in Potsdam; † 25. April 1985 in Homberg-Hülsa) war ein deutscher Akustiker und Sprengstoffphysiker.

Inhaltsverzeichnis

Wirken

Schumann promovierte 1922 in Berlin in systematischer Musikwissenschaft bei Carl Stumpf und Max Planck mit der Dissertation Über die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen der objektiven und subjektiven Tonintensität. In seiner Habilitationsschrift Die Physik der Klangfarben (1929) belegte er, dass Musikinstrumente feste Formantbereiche besitzen und sich deren Strukturen abhängig von Dynamik und Tonhöhe ändern. Als Privatdozent für systematische Musikwissenschaft leitete Schumann seit 1929 die Abteilung für Akustik am Physikalischen Institut der Berliner Universität und lehrte experimentelle und theoretische Physik.[1] 1931 wurde ihm die Lehrbefugnis für das Fach Physik verliehen.

Er wurde 1934 Leiter der Forschungsabteilung des Heereswaffenamtes (HWA).[2]

Zweiter Weltkrieg

Schumanns Einstufung als Ministerialdirigent entsprach beim Heer etwa dem Rang eines Generalmajors. Im Rahmen dieser Tätigkeit waren ihm in Gottow bei Berlin ein Institut für Physik (unter Ministerialrat Dr. Basche) und ein Institut für Chemie (unter Oberregierungsrat Dr. Eschenbach) unterstellt. Daneben verfügte er als Professor der Universität Berlin über die beiden der wehrtechnischen Forschung vorbehaltenen Institute für „Physik II“ und „Theoretische Physik II“.[3] Schumanns Fähigkeit als Wissenschaftsorganisator war gefragt, als es galt, das Arbeitsfeld Kernphysik zu besetzen. Anlass gab eine Sitzung Mitte Juni 1939, die sein Chef, General Karl Becker, einberief. Anwesend waren Dr. Walter Basche und der Chef des Stabes des HWA, Oberst Dr. Waeger. Außerdem waren anwesend Max Planck, der Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Abraham Esau und der Prodekan der Wehrtechnischen Fakultät der TH Berlin, Professor Hans Winkhaus. Unmittelbar darauf gründete er am 15. Juni 1939 das Referat für Atomphysik im HWA, [4] und betraute mit dieser Aufgabe Dr. Kurt Diebner. Von da an kümmerte sich Schumann offensichtlich nicht mehr intensiv um die Kernphysik.

Dieses sollte sich jedoch im Laufe des Jahres 1943 ändern. Insbesondere die Arbeiten der Hohlladungsexperten des HWA unter Leitung von Dr. Walter Trinks versprachen einen erfolgreichen neuen Weg. Trinks Habilitationsarbeit "Freisetzung von Atomenergie durch Kernsynthese bei leichten Elementen" war die Grundlage für die Idee der thermonuklearen Bombe, wobei offensichtlich auch Forschungsgruppen anderer Waffenämter auf diesem Weg experimentierten. Im Herbst 1944 wurden Schumann und Trinks weitere Forschungen durch die SS untersagt. Ob sie trotzdem an Tests ihrer Waffenkonfigurationen im Oktober 1944 und März 1945 beteiligt waren, bleibt offen.

Walter Trinks kam im Sommer 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, Schumann tauchte fast zwei Jahre unter, da »sowohl die östlichen als auch die westlichen Besatzungsmächte ein erhöhtes Interesse daran hatten, meiner habhaft zu werden«.[5]

Nachkriegszeit

Im Herbst 1946 nahm er mit Max Planck in Göttingen Verbindung auf, der sich umgehend bei den britischen Besatzungsbehörden um eine nachsichtige Behandlung Schumanns bemühte und ihm die Rückkehr in die Wissenschaft ermöglichen wollte.[6] Daraufhin meldete sich Schumann im Juli 1947 bei den Briten, die ihn einige Tage befragten und im August 1947 entließen.[7]

Schumann hoffte vergeblich, eine Anstellung an einer Universität zu finden. Wegen seiner Tätigkeit in der NS-Zeit wurde er öffentlich kritisiert. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft und deren Vorsitzender Max von Laue verhinderten die Fortsetzung seiner Universitätslaufbahn.[8] Er zog nach Hamburg und wurde 1949 Leiter des Helmholtz-Instituts für Tonpsychologie und medizinische Akustik. Mitte 1947 ließ Schumann durch ehemalige Mitarbeiter die wichtigsten Teile ihrer bei Kriegsende vernichteten Geheimpatente aus dem Gedächtnis rekapitulieren und fasste dieses in einem etwa achtzigseitigen Forschungsbericht zusammen:

„Nach der Zusammenstellung dieses Berichts bestand so gut wie gar kein Zweifel mehr, dass aufgrund der aus dem Kriege vorliegenden Erkenntnisse entwickelte Verfahren so gut wie sicher zum Ziele führen würden. Ein kleines Experiment, das gegebenenfalls an anderer Stelle erläutert werden soll, brachte labormäßig ein positives Ergebnis.“

Schumann[9]

In den Geheimpatenten und Schumanns Bericht wurden die Ergebnisse der Fusionsforschung des HWA dargelegt. Schumann war sich bewusst, was dieses bedeutete. Mit ihrer "x-Zündung" genannten Konfiguration hatten die Wissenschaftler des HWA einen Weg gefunden, thermonukleare Reaktionen auszulösen.

Erfindung

Die Ansprüche auf ihre Erfindungen diskutierte Schumann mit Ernst Telschow (1889-1988), dem damaligen Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Telschow wies ihn darauf hin, dass eine Anmeldung von Geheimpatenten unter Besatzungsbedingungen nicht möglich sei. Der Bericht verschwand zunächst im Panzerschrank von Telschow und wurde von ihm wenig später an die Briten übergeben. Die konnten damit aber offenbar nicht viel anfangen. Schumann war entschlossen, den wirklichen Stand der Forschungsarbeiten des HWA offen zu legen und bereitete dazu seit dem Herbst 1948 eine Publikation vor: "Die Wahrheit über die deutschen Arbeiten und Vorschläge zum Atomenergie-Problem (1939–45)".[10] Er wollte sich und seinen Mitarbeitern die wissenschaftliche Priorität sichern, Anwürfen von Kollegen entgegentreten, er sei für das Scheitern des Uranvereins der Hauptverantwortliche, und nicht zuletzt sein Einkommen aufbessern.

Der Kalte Krieg kam der Durchsetzung von Schumanns Anliegen sehr gelegen. Im August 1949 testete die Sowjetunion ihre erste Atombombe. Dafür glaubte Schumann eine Erklärung anbieten zu können – sowjetische Physiker hatten seiner Meinung nach den deutschen Weg zum Bau einer Kernwaffe gewählt. Dieses war ein Trugschluss, wie sich aber erst später herausstellen sollte. Jedenfalls sah Schumann keine Veranlassung mehr, sein Wissen der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Kollegen und Freunde rieten ihm dringend von der Publikation ab.[11] Verlag und Autor würden mit dem Buch gegen die Kontrollratsgesetze verstoßen, die deutschen Wissenschaftlern jegliche kernphysikalische Arbeit mit militärischer Relevanz untersagten.[12]

Verwertung

Schließlich zog Schumann das Manuskript zurück. Nunmehr konzentrierte er sich gemeinsam mit Hans Winkhaus, Walter Trinks und wenigen anderen engen Vertrauten auf die Verwertung ihrer Geheimpatente, was angesichts der geltenden Kontrollratsbestimmungen kompliziert war. Die Patentansprüche der Gruppe betrafen vier Problemkreise: Verfahren und Vorrichtungen zur Erzeugung höchster Drücke und Temperaturen, synthetische Herstellungen von Diamanten, Atomkernreaktionen und atomare Hohlladungen.[13]

Da in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Mai 1955 die von den Mitarbeitern des HWA behandelten Themen den Kontrollratssanktionen unterlagen, versuchte die Gruppe vergeblich, mit Interessenten von der spanischen Akademie der Wissenschaften und dem amerikanischen DuPont-Konzern zu Verträgen zu kommen.[14]

Danach bemühte man sich um die Unterstützung des Präsidenten des Deutschen Patentamtes und später auch des Bundesverteidigungsministeriums und wünschte nunmehr, dass die Verwertung ihrer Erfindungen ausschließlich durch deutsche Stellen geschehen sollte. [15] Im August 1952 erfolgte die Patentanmeldung. [16] Das später gegründete Bundesverteidigungsministerium übernahm dann die Anmeldung und geheime Behandlung der eingereichten Patente.

Von den jahrelangen vergeblichen Bemühungen um die Patentverwertung zermürbt ging man im Streit auseinander. Winkhaus und kurz darauf auch Schumann zogen sich schließlich aus der Gruppe zurück. Erich Schumann starb im April 1985.

Musikalisches Wirken

Der Sohn des Gardetrompeters des in Potsdam stationierten Garderegiments trat auch als Komponist von Militärmusik hervor, in der er sich bemühte, die Prinzipien der Instrumentation für eine möglichst große Transparenz des Klangs einzusetzen. Im Jahre 1996 wurde durch Christoph Reuters Untersuchungen bewiesen, dass sich die Regeln der Instrumentation auf die Schumannschen Formantgesetze zurückführen lassen[17]. Vor allem sein Marsch Panzerkreuzer Deutschland (1937) wurde im Dritten Reich aber auch im Westdeutschland der Nachkriegszeit häufig gespielt. 1957 reichte er dem „Referat Musik“ im Verteidigungsministerium eine Stellungnahme zur Militärmusik ein, in dem er eine Erweiterung der zur Verfügung stehenden Klangfarben forderte.[18]

Werke

  • Akustik, Breslau, Hirt, 1925
  • Physik der Klangfarben, Habilitationsschrift an der Universität Berlin, 1929
  • E. Schumann, G. Hinrichs, Leistungssteigerung von Hohlsprengkörpern durch besondere Zündführung (Linsen), Bericht des Reichsforschungsrates 1943/44

Literatur

  • Physik der Klangfarben Band II, 1940, Leipzig, Breitkopf & Härtel (unveröffentlicht, nur Korrekturabzug vorhanden; Kopie einsehbar im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln).
  • Helmut J. Fischer, Hitlers Apparat. Namen, Ämter, Kompetenzen: Eine Strukturanalyse des 3. Reiches, 1988, Kiel, Arndt-Verlag, ISBN 3-88741-134-X
  • Manfred Franz Heidler, Musik in der Bundeswehr. Musikalische Bewährung zwischen Aufgabe und künstlerischem Anspruch, 2005, Die Blaue Eule, Essen, ISBN 3-89924-123-1
  • Rainer Karlsch Hitlers Bombe, 2005, München, DVA, ISBN 3-421-05809-1
  • Rainer Karlsch, Heiko Petermann Hrg. Für und Wider Hitlers Bombe, 2007 Waxmann Verlag Münster/New York, ISBN 9-783830-91893-6
  • P. H. Mertens, Die Schumannschen Klangfarbengesetze, 1975, Frankfurt/M, Verlag E. Bochinsky, ISBN 3-9201-1254-7
  • Günter Nagel, Atomversuche in Deutschland, 2002, Zella-Mehlis, Heinrich-Jung-Verlag, ISBN 3-9305-8859-5
  • Gerhard Rammer, "Sauberkeit im Kreise der Kollegen". Die Vergangenheitspolitik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, in: Dieter Hoffmann und Mark Walker (Hg.), Physiker zwischen Autonomie und Anpassung, Weinheim 2007, S. 359-420.

Weblinks

Referenzen

  1. BArch, Berlin-Lichterfelde, A 0530 Erich Schumann (5. Januar 1898); Nachlass Erich Schumann, Personalunterlagen
  2. Hans Ebert, Hermann Joseph Ruhpieper, Technische Wissenschaft und nationalsozialistische Rüstungspolitik: Die wehrtechnische Fakultät der TH Berlin 1933 bis 1945, in: Reinhard Rürup (Hg.), Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der TU Berlin 1879 bis 1979, Berlin 1979; Burghard Ciesla, Abschied von der „reinen“ Wissenschaft. Wehrtechnik und Anwendungsforschung in der Preußischen Akademie nach 1933, in: Wolfram Fischer (Hg.), Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 2000, S. 483 bis 511; Werner Luck, Erich Schumann und die Studentenkompanie des HWA. Ein Zeitzeugenbericht, in: Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften Nr. 27, 2001
  3. Helmut J. Fischer, Hitlers Apparat. Namen, Ämter, Kompetenzen: Eine Strukturanalyse des 3. Reiches, 1988, Kiel, Arndt, S. 150f.
  4. Werner Holtz, Die Uran-Atomkernspaltung, 5. März 1949 (mit Ergänzungen von Richard Glagow aus dem Jahr 1968) in: Bundesarchiv, Militärarchiv (BA-MA) Freiburg, Nachlass General Erich Schneider N 625/4; Akte Glagow.
  5. Schreiben von Erich Schumann vom 5. Januar 1957, Nachlass Schumann.
  6. Schreiben von Prof. Max Planck vom 19. Oktober 1946 an den Dozentenausschuss der Universität Göttingen, Nachlass Schumann.
  7. Schreiben von Prof. R. Purchase (Research Branch, Economic Sub Commission) vom 15. August 1947.
  8. Rammer, Sauberkeit, S. 389-409.
  9. Dass überhaupt noch Teile des Nachlasses von Erich Schumann erhalten blieben, ist Herbert Kunz (Braunschweig) zu verdanken. Er hatte während des Krieges bei Schumann studiert und gearbeitet und die Nachlasspflege übernommen.
  10. Vertrag Erich Schumann mit Rowohlt Verlag vom 23. September 1948, Nachlass Erich Schumann. unveröffentlichtes Manuskript 1949, Nachlass Erich Schumann. Das Konvolut aus Forschungsberichten, dienstlichem Schriftgut und Briefen wurde von Herbert Kunz (Braunschweig) im Herbst 2005 dem Militärarchiv des Bundesarchivs übergeben.
  11. Schreiben von Schumann an Winkhaus vom 21. Juli 1950, Nachlass Erich Schumann.
  12. Schreiben von Schumann an Rechtsanwalt Dr. Scharper vom 16. August 1950, Nachlass Erich Schumann.
  13. Schreiben von Schumann an Nischk vom 24. April 1952, Nachlass Erich Schumann.
  14.  »Gedächtnisprotokoll«, Bl. 17, Nachlass Erich Schumann. Die Begründung für die Fühlungnahme mit Interessenten aus dem Ausland ist interessant: Da die Bundesrepublik in diesen Fragen nicht souverän war, sollte nach Möglichkeit mit Amerikanern verhandelt werden. »Europäische Mächte sind unter dem Gesichtspunkt östlicher Beeinflussbarkeit wesentlich mehr gefährdet. Nach Standort und politischer Einstellung könnte Spanien in Frage kommen. Als letztes Land die Schweiz, wenngleich bekannt ist, dass dort ein gut ausgebautes sowjetisches Spionagesystem besteht […] Mit den deutschen Regierungsstellen Fühlung aufzunehmen verbot sich, weil angenommen werden musste, dass diese dadurch in Konflikt mit den Kontrollratsgesetzen gegen die Verwertung in Deutschland entscheiden würden.«
  15.  »Gedächtnisstütze«, Bl. 35, Nachlass Erich Schumann.
  16. Patent Nr. 977825 , Patent Nr. 977863
  17. Christoph Reuter, Die auditive Diskrimination von Orchesterinstrumenten, 1996, Peter Lang, Frankfurt, S. 293-299
  18. Manfred Franz Heidler, Musik in der Bundeswehr. Musikalische Bewährung zwischen Aufgabe und künstlerischem Anspruch, 2005, Die Blaue Eule, Essen, S. 233ff.

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