Saargebiet

Saargebiet
Saargebiet 1920–1935

Saargebiet (frz.: Territoire du Bassin de la Sarre, in wörtlicher Übersetzung Saarbeckengebiet) bezeichnet das von 1920 bis 1935 vom Deutschen Reich abgetrennte Industriegebiet an der mittleren Saar. Mit einer Fläche von 1912 km² und 770.030 Einwohnern (1927) umfasste es den Südteil des Regierungsbezirks Trier der preußischen Rheinprovinz und den Westteil der bayerischen Pfalz und war in der Fläche um ein Viertel kleiner zugeschnitten als das heutige Saarland. Gemäß der Artikel 45 bis 50 des Versailler Vertrags wurde das Saarbecken als Mandatsgebiet des Völkerbundes verwaltet. Frankreich erhielt als Beitrag zur wirtschaftlichen Wiedergutmachung seiner Kriegsschäden das Eigentum an den Kohlenfeldern und Kohlengruben.

Nach 15 Jahren sollte eine Volksabstimmung über das weitere Schicksal des Gebiets entscheiden. In der Abstimmung im Jahre 1935 stimmten über 90 % für eine Rückkehr zum Deutschen Reich, dem das Gebiet als Saarland eingegliedert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte ein zweiter insgesamt 14-jähriger Sonderstatus des nunmehr vergrößerten Saarlandes als französisches Saarprotektorat.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Nach der Niederlage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg verhandelten die Siegermächte über die Zukunft des Industriereviers an der Saar. Während Großbritannien mit einer Annexion durch Frankreich einverstanden war, setzten sich die USA in der Nacht vom 9. zum 10. April 1919 mit dem Vorschlag einer auf 15 Jahre befristeten Abtrennung des Industriereviers zur Wiedergutmachung der französischen Kriegsschäden und einem späteren Volksentscheid schließlich durch. Die erzielte Übereinkunft der Siegermächte wurde in den Artikeln 45 bis 50 des Versailler Vertrags festgehalten und vom Deutschen Reich unterzeichnet.[1][2]

Mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags am 10. Januar 1920 wurde das „Saargebiet“ für 15 Jahre der Regierung des Völkerbundes unterstellt. Am 27. Februar 1920 löste die vom Völkerbund ernannte Regierungskommission die bisherige französische Militärverwaltung ab. Die fünfköpfige Regierungskommission bestand aus einem Franzosen, einem aus dem Saargebiet stammenden Nicht-Franzosen und drei Mitgliedern anderer Nationen, die weder Deutsche noch Franzosen sein durften. Die Völkerbundsregierung stützte sich nur auf das französische Militär; die Bevölkerung stand nicht hinter ihr.[3] Durch Verordnung der Regierungskommission vom 24. März 1922 wurde ein Landesrat eingerichtet, der die Interessen der Bevölkerung vertreten sollte und eine beratende Funktion besaß. Wirtschaftlich wurde das Saargebiet in das französische Zoll- und Währungsgebiet integriert. 1935 sollte laut Vertrag eine Volksabstimmung über den künftigen Status stattfinden.

Grenzen

Markierungsstein der ehemaligen Grenze Saargebiet-Deutschland bei Theley

Die Grenzen des Saargebiets wurden durch Artikel 48 des Versailler Vertrags festgesetzt. Die Grenzziehung bezog die Wohnorte der Bergleute, die in den Kohlengruben des Saarreviers arbeiteten, mit ein, nach Norden und nach Südosten abgerundet. Das Gebiet umfasste an preußischen Gebietsteilen die kreisfreie Großstadt Saarbrücken, die Kreise Saarbrücken, Ottweiler und Saarlouis sowie Teile der Kreise Merzig und St. Wendel, an bayerischen Gebietsteilen das Bezirksamt St. Ingbert sowie Teile der Bezirksämter Homburg und Zweibrücken. Während die Grenze des Saargebiets gegen Frankreich und Preußen durch Verwaltungsgrenzen bestimmt war, folgte die Grenzziehung gegen Oldenburg und Bayern topografischen Gegebenheiten, so dass eine Festlegung der Grenzlinie im Gelände erforderlich war. Diese Arbeit wurde einem Ausschuss von fünf Mitgliedern übertragen (davon eines von Frankreich, eines von Deutschland und drei vom Rat des Völkerbundes ernannt). Der Ausschuss legte seine Ergebnisse am 20. Dezember 1920 in Paris für alle Beteiligten bindend nieder. Die Grenzlinie wurde 1921 in Form von zwei Atlanten mit Karten im Maßstab 1:2.500 publiziert.[4] Die neue Saargebietsgrenze trennte gewachsene Familien-, Verwaltungs- und Wirtschaftsbeziehungen, schnitt die Städte St. Wendel, Homburg und Zweibrücken von Teilen ihres Umlands ab, und war bei der Bevölkerung unbeliebt, wozu nach der Errichtung der Zollgrenze die Zollkontrollen und Zollformalitäten noch beitrugen. Der Wunsch nach Abschaffung der ungeliebten Saargebietsgrenze war eines der Motive, die das Abstimmungsverhalten der Saarländer 1935 beeinflussten.

Name

Die Begriffe Bassin de la Sarre und Territoire du Bassin de la Sarre des französischen Vertragstextes wurden in der deutschen diplomatischen Übersetzung im Reichsgesetzblatt mit „Saarbecken“ und „Saarbeckengebiet“ wiedergegeben. Der französische Begriff Bassin mit der Bedeutung „Becken, Flussgebiet, Kohlenrevier“[5] hat einen anderen Bedeutungsumfang als das deutsche Wort. Die Regierungskommission verwendete im Amtsblatt 1920 verschiedene Namen nebeneinander, neben „Saarbecken“ auch „Saargebiet“, wie das Schwerindustriegebiet an der Saar seit den 1890er Jahren zumeist bezeichnet wurde, und „Saarland“.[6] Als Kurzformen wurden im Französischen la Sarre und im Deutschen „die Saar“ verwendet, als Adjektive sarrois bzw. „saarländisch“, da es zu „Saar“ oder „Saargebiet“ kein Adjektiv gibt. Die Namensfindung blieb lange politisch umstritten.[7]

Anbindung an Frankreich

Das Saargebiet war wirtschaftlich und politisch von Frankreich abhängig. Das Eigentumsrecht an den Kohlengruben und den Eisenbahnen westlich der Saar erweiterte Frankreich sogleich, indem es durch Kontrolle der Erz-, Roheisen- und Kohlezufuhr französische Beteiligungen von 60 % an den Saarhütten durchsetzte und somit die wichtigsten Wirtschaftszweige kontrollierte. Bei den Gruben wurden gemäß der Anlage zu Artikel 46 des Versailler Vertrags französischsprachige „Domanialschulen“ errichtet. Seit dem 1. Juni 1923 war der französische Franc alleiniges Zahlungsmittel. Nach Ablauf einer fünfjährigen Übergangsfrist wurde am 10. Januar 1925 das Saargebiet in das französische Zollgebiet integriert. Frankreich behandelte das Saargebiet als eine Art Kolonie. «Les Français vivaient à Sarrebruck comme les Anglais à Bombay, sans contacts avec des indigènes».[8] Anlässlich der „Jahrtausendfeier der Rheinlande“ demonstrierten am 19. Juni 1925 40.000 Menschen in Saarbrücken für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich.[9] Die Besetzung durch französische Soldaten, angeblich mit hauptsächlich aus Nordafrikanern bestehenden Kolonialtruppen, die Ausbeutung des saarländischen Kohle- und Stahlreviers sowie die deutschnationale Propaganda verstärkten den Wunsch der Saarländer, ins Deutsche Reich zurückzukehren. Alle saarländischen Parteien unterstützten dies während der Weimarer Republik bis 1933.

Abstimmungskampf

Mit der Machtergreifung der NSDAP unter Adolf Hitler im Deutschen Reich änderte sich die Politik der linken Parteien im Saargebiet, man befürwortete nun eine Beibehaltung der Mandatsverwaltung, um nicht nach der für Januar 1935 vorgesehenen Volksabstimmung dem Machtbereich von Hitler unterstellt zu werden. Gleichzeitig schlossen sich die bürgerlichen und nationalen Parteien in der Deutschen Front zusammen. Obwohl die Politik der Beibehaltung des Status quo von vielen international bekannten Persönlichkeiten unterstützt wurde - ein Teil der vor den Nationalsozialisten geflohenen deutschen Regimegegner nahm in dieser Zeit kurz Aufenthalt im Saargebiet - war die „Status quo“-Politik der Einheitsfront (bestehend aus SPD unter Max Braun, KPD unter Fritz Pfordt, einer Minderheit des bisherigen Zentrums um Johannes Hoffmann und linkssozialistischen und autonomistischen Splittergruppen) aufgrund des vorherrschenden Nationalismus zum Scheitern verurteilt.

Der Versailler Vertrag sah drei Alternativen für die Abstimmungsentscheidung vor: 1. Vereinigung mit Frankreich, 2. Beibehaltung der gegenwärtigen Rechtsordnung, 3. Vereinigung mit Deutschland. Die erste hätte Demokratie, jedoch Verlust der deutschen Sprache und Kultur bedeutet, ähnlich Lothringen und dem Elsass. Für die zweite Alternative hatte niemand konkrete Planungen angestellt, der Völkerbund selbst äußerte sich diplomatisch unverbindlich,[10] das besetzte Saargebiet wäre weiterhin wirtschaftlich ausgebeutet worden und ein Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland geblieben. Die dritte Alternative bedeutete Deutschland zugleich mit Hitler zu wählen.

Der Abstimmungskampf wurde mit politischen, künstlerischen und medialen Mitteln geführt, wobei die mediale Präsenz der Deutschen Front die der Einheitsfront bei weitem übertraf. Vom Deutschen Reich aus wurden schon Monate vor der Volksabstimmung besondere Anstrengungen unternommen, um das Saargebiet mit Rundfunkpropaganda zu erreichen. Volksempfänger wurden verteilt und in zahlreichen Sendungen betont, das Saargebiet gehöre zu Deutschland. Im Zuge dieses von Joseph Goebbels geleiteten Propagandafeldzuges wurden 1500 Versammlungen und Kundgebungen sowie über 80 000 Plakate eingesetzt.[11] Die Alternative zur Rückkehr nach Deutschland sei fortgesetzte massenhafte Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Ausbeutung durch Frankreich und fehlende politische Mitbestimmung.

Die Hitlergegner sahen die bevorstehende Abstimmung als Chance eines Denkzettels gegen Hitler. Dem in den Veranstaltungen unzählige Male gesungenen Saarlied „Deutsch ist die Saar“ von Hanns Maria Lux stellte Bertolt Brecht das Lied „Haltet die Saar, Genossen“ entgegen, das von Hanns Eisler vertont wurde. Gustav Regler schrieb den oppositionellen Roman Im Kreuzfeuer. Von einer „kulturellen Blüte“ während des Abstimmungskampfes sollte man dennoch nicht sprechen, denn auch bei den Kunstschaffenden überwogen „notwendige Parteilichkeit und aktuelle Wirkungsabsichten“.[12]

Vereinigung mit Deutschland

Jubel bei der Rückkehr der Berliner Abstimmungsberechtigten 1935 nach Berlin

Bei der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 stimmten 90,73 Prozent der Wähler für eine Vereinigung mit Deutschland („Heim ins Reich“), 8,86 Prozent für den Status quo und nur 0,4 Prozent der Wähler für eine Vereinigung des Saargebietes mit Frankreich. Hitler sagte drei Tage später in einem Interview auf dem Obersalzberg zu dem amerikanischen Journalisten Pierre Huss, damit sei einer der Versailler Unrechtsakte endgültig beseitigt.

Dem Volkswillen entsprechend verfügte der Völkerbundsrat die Rückgliederung mit Wirkung zum 1. März 1935. Gegen eine Zahlung von 900 Millionen Goldfranken erwarb das Deutsche Reich das Eigentum an den Saargruben zurück. Am selben Tag hielt Hitler eine Ansprache in Saarbrücken. Er nannte den Tag einen „Glückstag für die ganze Nation“ und erklärte, er hoffe, das Verhältnis zu Frankreich werde sich durch die Regelung des Saarproblems endgültig bessern.

Nach dem deutlichen Mehrheitsergebnis für den Anschluss flohen vier- bis achttausend Hitlergegner nach Frankreich oder in andere Länder.[13] Für das nationalsozialistische Regime brachte die Rückkehr des Saargebietes einen beträchtlichen Prestigegewinn.

Verschiedenes

Präsidenten der Commission de gouvernement du Bassin de la Sarre
Name Von Bis Nationalität
Victor Rault 26.02.1920 18.03.1926 Frankreich
George Washington Stephens 18.03.1926 08.06.1927 Kanada
Ernest Wilton 08.06.1927 01.04.1932 Großbritannien
Geoffrey Knox 01.04.1932 01.03.1935 Großbritannien

Literatur

  • Hans-Walter Herrmann: Vom Werden eines eigenen historischen Raumes an der mittleren Saar. In: Bruno Aust; Hans-Walter Herrmann; Heinz Quasten: Das Werden des Saarlandes – 500 Jahre in Karten. Band 45 der Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde im Saarland, Saarbrücken 2008, ISBN 978-3-923877-45-4, ISSN 0537-801X.
  • Günter Scholdt: Die Saarabstimmung aus der Sicht von Schriftstellern und Publizisten. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend, 45. Jahrgang, Saarbrücken 1997, S. 170-200.

Einzelnachweise

  1. Vertragstext im Reichsgesetzblatt. Digitalisat
  2. Vertragstext in maschinenlesbarer Form bei dhm, bei documentarchiv, bei archiv.jura.uni-saarland
  3. Jürgen Hannig: Die Saarregion, Frankfurt am Main 1995, Nr. 58, S. 81f: Bericht der Regierungskommission des Saargebiets an den Völkerbundsrat vom 1. Juni 1920. ISBN 3-425-07225-0
  4. Atlas des cartes de la Frontière du Bassin de la Sarre, partie Germano-Sarroise. Atlas der Grenzkarten des Saargebietes, deutsch–saarländischer Teil, 73 Blatt, Druck, Berlin 1921. Atlas des cartes de la Frontière du Bassin de la Sarre, partie Franco-Sarroise. Atlas der Grenzkarten des Saargebietes, saarländisch–französischer Teil, 46 Blatt, Druck, Saarbrücken 1921.
  5. Langenscheidts Taschenwörterbuch Französisch, 23. Auflage, 1992. ISBN 3-468-11151-7.
  6. Bekanntmachung an die Bewohner des Saargebietes, datiert vom 26. Februar 1920, Amtsblatt 1920, S. 1. Digitalisat
  7. Wolfgang Laufer: Saarbecken, Saargegend, Saargebiet. In: Saargeschichte|n, 2/2007, S. 2-4, Saarbrücken 2007
  8. „Die Franzosen lebten in Saarbrücken wie die Engländer in Bombay, ohne Kontakte zu den Einheimischen“. Scholdt 1997, S. 174. Nach Robert Laffont: Seul avec tous, Paris 1973, S. 55
  9. Jürgen Hannig: Die Saarregion, Frankfurt am Main 1995, Nr. 59, S. 82f: Kommentar der Saarbrücker Zeitung zur Jahrtausendfeier der Rheinlande vom 23. Juni 1925. ISBN 3-425-07225-0
  10. Scholdt 1997, S. 187
  11. Patrick von zur Mühlen: Schlagt Hitler an der Saar!, Bonn 1979, S. 230
  12. Scholdt 1997, S. 196
  13. Scholdt 1997, S. 190

Weblinks


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