Sonderaktion Prag

Sonderaktion Prag
Jan Opletal, 1915-1939

Die Sonderaktion Prag war der von deutschen NS-Besatzungsorganen des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren gewählte Name einer Aktion, am 17. November 1939 tschechische Einrichtungen des Hochschulwesens zu besetzen, zu schließen und zu beschlagnahmen. Davon waren die deutschen Hochschulen in Prag und Brünn nicht betroffen.[1].

Die politische Lage Anfang November 1939 war spannungsgeladen, weil es am 28. Oktober 1939, dem Gründungstag der Tschechoslowakei, zu Demonstrationen, Arbeitsniederlegungen und bei den Studenten in Prag zum Boykott der Vorlesungen gekommen war. Aus den Arbeitervierteln strömten Tausende von Arbeitern in Richtung Stadtzentrum und es kam „zu großen Menschenansammlungen, insbesondere auf dem Wenzelsplatz vor dem Dienstgebäude der Geheimen Staatspolizei und vor dem Palasthotel, in dem die Angehörigen der Geheimen Staatspolizei untergebracht sind. Bis 17 Uhr mußten rund 200 Personen festgenommen werden.“[2] Am Abend des 28. Oktobers, als die Demonstrationen ihren Höhepunkt erreichten, kam es zu Auseinandersetzungen mit der deutschen Polizei, die unter dem Kommando von Karl Hermann Frank stand.

Während des Polizeieinsatzes erlitt der Medizinstudent der Karlsuniversität, Jan Opletal[3], eine Schussverletzung, an deren Folgen er am 11. November 1939 erlag. Am 15. November 1939 wurde er aufgebahrt und durch Prag gefahren. Hunderte Studenten folgten seinem Sarg und es schlossen sich immer mehr Einwohner an. Als sein Sarg zum Transport in seinen Heimatort Náklo in Mähren gebracht wurde, stimmte die inzwischen auf Tausende von Menschen angewachsene Menge die tschechische Hymne an.

Inhaltsverzeichnis

Polizeiaktion

Dies war das Zeichen für die deutschen Besatzungskräfte, mit aller Härte einzugreifen. Adolf Hitler ließ sich am nächsten Tag persönlich über die Ereignisse in Prag berichten. Er geriet angesichts des gezeigten Widerstandswillens der Bevölkerung außer sich, und er gebrauchte Ausdrücke wie „in Blut ertränken“, „einsperren“, „alle Waffen anzuwenden“, „ich werde nicht davor zurückscheuen, in den Straßen auch Kanonen aufzustellen....und in jede Menschenmenge mit Maschinengewehren schießen zu lassen... Prag lasse ich dem Erdboden gleichmachen.“[4].

Damit waren die Voraussetzungen für das Vorgehen der deutschen Besatzungskräfte aus der Sicht der NS-Herrscher gegeben. Kurz vor Mitternacht am 16. November 1939 gab es einen Überfall der Gestapo auf die Räume des Studentenverbandes, wo zu diesem Zeitpunkt eine Sitzung des Studentenkomitees stattfand. Neun Vertreter des Studentenverbandes wurden verhaftet und in die ehemalige Kaserne in Prag-Ruzyně abgeführt. Ohne jegliche Gerichtsverhandlung wurden sie noch in der Nacht erschossen[5].

Als Karl Hermann Frank nach dem Krieg zu dieser Erschießung verhört wurde, sagte er u. a. dazu aus:

„Ich wußte, daß neun Personen erschossen werden sollten, ich kümmerte mich nicht um diese Personen, so wie ich mich überhaupt nie um andere Details kümmerte, die die Ausführung des Befehls, die Ermittlung der Namen und das Schicksal der Opfer betrafen. Für mich war der Führerbefehl ein Befehl. Auf die Frage zu antworten, ob diese Exekution ein Mord war, muß ich zugeben, daß nach menschlichem Ermessen und menschlichem Gesetz dies als Mord bezeichnet werden muß.“[6]

In den frühen Morgenstunden des 17. November wurde die Sonderaktion von SS-Sonderkommandos bei den Studentenheimen in Prag begonnen, die mit schweren LKWs zu ihren Einsatzorten gefahren wurden. Im Studentenheim „Hlavkova“ kam es gegen vier Uhr zum Überfall eines SS-Kommandos. Türen wurden aufgebrochen oder mit Gewehrschlägen die Zimmertüren eingeschlagen. Mit Knüppeln wurden die Studenten aus ihren Unterkünften geprügelt, die teilweise barfuß und noch in Schlafanzügen notdürftig bekleidet waren. In den Innenräumen mussten sich diese dicht gedrängt an die Wände stellen.[4]

Ähnliche Szenen spielten sich bei anderen Prager Studentenheimen ab. Zeigten sich Studenten an den Fenstern, wurde sogar das Feuer aus Gewehren auf sie eröffnet. Nach der Erstürmung der Studentenheime wurden Hunderte von geschlagenen Studenten festgenommen und vor die Gebäude der Kasernen von Prag-Ruzyně verbracht. Von den insgesamt 15.000 betroffenen Studenten wurden 1.200 bis 1.300 ohne jede Gerichtsverhandlung in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Die Befehlsgrundlage dieser Aktion wurde durch Hitler am 16. November 1939 getroffen: „Schließung der Hochschulen im Protektorat Böhmen und Mähren...“

Schließung der tschechischen Hochschulen

Ziel der Aktion war, zuerst das Hochschul- und später auch das mittlere Schulwesen auszulöschen. Insgesamt wurden zehn Hochschulen, darunter die Karlsuniversität, die Tschechische Technische Hochschule, die Theologischen Fakultäten in Prag und Olmütz, die Akademie der Bildenden Künste Prag, die Masaryk-Universität Brünn u. a. geschlossen. Die Gebäude der Hochschuleinrichtungen wurden beschlagnahmt. Die „Koutnicky“-Studentenheime in Brünn wurden in ein Gefängnis mit Foltereinrichtungen umgewandelt.

Die tschechischen Universitäten und Hochschulen wurden für vorerst drei Jahre geschlossen. Sie wurden jedoch bis zum Kriegsende nicht wieder geöffnet. Die deutschen Hochschulen in Prag und Brünn blieben geöffnet. Das waren

Die Bibliotheken wurden geschlossen und viele Professoren erlitten das gleiche Schicksal wie ihre Studenten. Der Besitz der tschechischen Hochschulen wurde beschlagnahmt. Ein Teil der wissenschaftlich wertvollen Sammlungen wurde vernichtet. Die Ereignisse stießen in aller Welt auf entschiedene Ablehnung. In London kam es zu einer spontanen Solidaritätsveranstaltung und zwei Jahre später erklärten Studenten aus aller Welt den 17. November zum Internationalen Studententag.

Neurath und Göring beim Nürnberger Prozess 1946

Die Verantwortlichen

Die Hauptverantwortlichen auf deutscher Seite für die Aktion waren der Reichsprotektor Konstantin Freiherr von Neurath und Karl Hermann Frank. Frank wurde in Prag zum Tode, von Neurath im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt, aber 1954 entlassen. Der deutsche Staatssekretär Curt Ludwig Ehrenreich von Burgsdorff wurde in Polen wegen der verwaltungsmäßigen Mitwirkung an dort verübten Verbrechen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der verantwortliche Gestapo-Chef von Prag Hans-Ulrich Geschke tauchte nach dem Krieg unter und wurde für tot erklärt, ebenso für tot erklärt wurde 1954 Geschkes Vorgesetzter Horst Böhme, der Kommandeur der Gestapo im gesamten Protektorat.

Literatur

  • Slavomir Horsky: Verbrechen, die nicht verjähren, Prag 1984 (deutsch) DNB
  • Heinz Boberach, [Hrsg.], Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, Herrsching 1984 Bd.2, S. 91 + S. 409f; Bd. 3, S. 474. (Zur Vorgeschichte der Schließung der tschechischen Hochschulen am 17. November 1939)

Siehe auch

Weblinks

  • Gerd Simon (Hrsg.): Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus und die Universität Prag. PDF

Einzelnachweise

  1. Mit der deutschen Besetzung der Tschechoslawakei war die Slowakei seit dem 14. März 1939 unabhängig
  2. Meldungen aus dem Reich
  3. siehe tschechische Wikipedia cs:Jan Opletal
  4. a b Verfolgung tschechischer Studenten während der Okkupation, Prag 1945 (tschech.)
  5. Personenartikel siehe tschechische Wikepedia cs:Kategorie:Popravení 17. listopadu 1939
  6. Protokoll zum Verhör Karl Hermann Frank, 5. Oktober 1945 in der Strafanstalt des Bezirksgerichts in Prag-Pankrác (tschech.)

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