Soziale Inzucht

Soziale Inzucht

Unter Inzucht versteht man im allgemeinen die bevorzugte Paarung zwischen relativ nahen Blutsverwandten, in der Tierzucht und Pflanzenzucht im speziellen die Kreuzung möglichst naher Verwandter, um genetisch möglichst reinerbige Inzuchtlinien zu erhalten.

Das Maß für die Inzucht ist der Inzuchtkoeffizient.

Inhaltsverzeichnis

Nutztiere und -pflanzen

Zur Produktion von besonders leistungsfähigen Hybriden ist die Aufrechterhaltung von Inzuchtlinien als Elterngeneration für die Hybriden nötig.

Inzucht führt dazu, dass immer mehr Genloci bzw. Allele homozygot (reinerbig) werden, also in beiden Chromosomensätzen gleich vorhanden sind. Gemäß den mendelschen Regeln erscheinen durch Inzucht insbesondere auch rezessive Gene des Genotyps im Phänotyp. Folge der Inzucht ist damit die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des homozygoten Auftretens von Extremen in beiden Richtungen, also sowohl möglicher krankhafter als auch besonders leistungsfähiger Genkombinationen. Beispiele beim Menschen sind ausgeprägte Fett- oder Dünnleibigkeit.

Züchter können nicht selten beobachten, dass im genetischen Sinne reinerbige Lebewesen geringere Vitalität und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten aufweisen, da die genetische Information in beiden Chromosomensätzen gleich ist und dadurch weniger unterschiedliche Gene vorhanden sind (Inzuchtdepression). Andererseits besteht Züchtung gerade darin, die positive Seite von Inzucht zu nutzen, indem gezielte Inzucht mit Selektion der geeigneten Typen verbunden wird.

Inzucht beim Menschen

Als Soziale Inzucht wird ein durch Beruf und sozialen Stand geschlossener Heiratskreis verstanden, dessen Folge oft auch biologische Inzucht ist. Die Heiratspolitik eines sozialen Gefüges ist aber nicht die einzige empirisch nachgewiesene Ursache für genetische Inzucht.

Ebenso kann Inzucht auch als Effekt geringer Größe oder starker Abgeschlossenheit einer Bevölkerung auftreten - etwa auf einer kleinen Insel, in einem Gebirgstal oder gar in einem sozialen Ghetto.

Die seit altersher verbreiteten Verbote von Verwandtenheiraten bzw. Inzest (siehe auch Dispens) mit dem Versuch zu erklären, die möglichen, aber keinesfalls zwangsläufigen, negativen Effekte von Inzucht zu vermeiden, geht fehl. Einerseits waren diese möglichen Folgen zur Zeit der Entstehung der meisten Inzesttabus gar nicht bekannt, andererseits vermieden die meisten Inzesttabus – da sie zumeist auf Verwandtschaftslinien nur eines Geschlechts beschränkt waren – Inzucht nicht wirkungsvoll.

Durch die Heiratspolitik der europäischen Könighäuser kam es hier vermehrt zur Inzucht. So hatte Karl II. von Spanien nur 10 verschiedene Vorfahren in der 5. Generation, wobei 32 verschiedene Vorfahren normal wären.

Geschichte und biologische Auswirkungen

In verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten herrschte unterschiedliche Toleranz bezüglich Inzest beim Menschen (z.B. Geschwisterehe oder Eltern-Kinder-Ehe). Erkenntnisse der Humangenetik und Vererbungslehre lassen darauf schließen, dass Inzest das Auftreten von Erbkrankheiten - verbunden mit anfälliger Gesundheit - erhöht. Dies könnte zu der Hypothese führen, dass "genetische Gesundheit" durch besonders "familienfremde Partnerwahl" erzielt werden könne.

Es gibt aber erste Hinweise[1], die dem entgegenstehen und die den Ahnenschwund nicht nur als eine mathematische Notwendigkeit erscheinen lassen, sondern ihm eventuell auch eine biologisch positive Auswirkung geben:

Aus Daten[2] der von DeCODE Genetics durchgeführten Studie der genetischen und sozialen Bevölkerungsverzweigung Islands ist ersichtlich, dass Frauen im frühen 19. Jahrhundert, die mit einem Cousin dritten oder vierten Grades verheiratet waren, deutlich an der Spitze der kinderreichsten Mütter standen: So hatten beispielsweise Frauen die mit einem Cousin dritten Grades verheiratet waren, im rechnerischen Durchschnitt 4,04 Kinder und 9,17 Enkel, während Frauen, die mit einem Cousin achten (oder noch entfernteren) Grades verheiratet waren nur 3,34 Kinder und 7,31 Enkel hatten. Wenn sich diese Daten erhärten lassen, könnte dies bedeuten, dass es für Kinder- und in Folge für Enkelanzahl eine „optimale familiäre Distanz“ geben könnte.

Inzuchtvermeidung

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Die Vermeidung von Inzucht sichert die Vorteile der sexuellen Fortpflanzung.

Bei den meisten Tierarten wird Inzest nur passiv vermieden, indem Nachkommen sich zerstreuen bzw. von den Eltern nicht mehr geduldet werden, oder indem die jungen Männchen oder die jungen Weibchen die Gruppe verlassen; dadurch kommt es zu einer Trennung der Geschwister, sog. Exogamie. Durch diese Verhaltensweisen werden Verpaarungen naher Verwandter zwar unwahrscheinlich, aber sie sind möglich und kommen auch vor. Die aktive Vermeidung von Inzest ist an die Möglichkeit individuellen Erkennens (Wiedererkennen) gebunden und kommt auch bei Tieren vor. Bei einigen Vogelarten (z.B. Graugänse) vermeiden Geschwister auch dann eine Verpaarung, wenn sie ohne andere Partner zusammen gehalten werden; hier spielt die sexuelle Prägung während der frühen Ontogenese eine Rolle. Bei Schimpansen wurde beobachtet, dass Weibchen sexuelles Interesse von Brüdern aktiv abwehren und dass selbst erwachsene, ranghohe Männchen ihrer Mutter gegenüber kein sexuelles Interesse haben. Untersuchungen zeigten, dass Menschen als Erwachsene denjenigen gegenüber eine erotische Barriere haben, die sie in den ersten 5 Lebensjahren gut kannten.

Literatur

  • Werner Buselmaier, Gholamali Tariverdian: Humangenetik für Biologen, Springer 2006, ISBN 3-540-24036-5
  • Volker Storch: Evolutionsbiologie, Springer 2001, ISBN 3-540-41880-6

Einzelnachweise

  1. SCIENCE (2008), Bd. 319, S. 813 (englisch)
  2. Zusammenfassung im Handelsblatt (deutsch)

Siehe auch


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