Spannungsbogen

Spannungsbogen

Suspense (engl. für „Gespanntheit“) ist ein Begriff aus der Theater- und Filmwissenschaft, ebenso wie aus der Literaturwissenschaft, der ein Gefühl der Spannung bei Zuschauern oder Lesern kennzeichnet. Er leitet sich von lat. suspendere (aufhängen) ab: in einem Plot synonym für „in Unsicherheit schweben“ - hinsichtlich des Eintreffens eines bestimmten Ereignisses. Dadurch wird ein Spannungsbogen im Ablauf erzeugt.

Inhaltsverzeichnis

Tension und Suspense

Alfred Hitchcock unterschied Suspense von Surprise: Während Surprise ein unerwartetes Ereignis charakterisiert, meint der Begriff Suspense die Erwartung eines Ereignisses ohne sein Eintreffen.[1]

Die englische Sprache unterscheidet zwei grundlegend verschiedene Spannungskonzepte, wie Patricia Highsmith in ihrem Werkstattbericht Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt ausführlich erörtert: Tension und Suspense.

Tension bezeichnet eine akute Bedrohungssituation, die zumeist nur kurz anhält (und sich nur bedingt zeitlich strecken lässt). Der Kontext der Erzählung ist für diese Form der Spannung in der Regel unerheblich. Wird beispielsweise der Filmheld unmittelbar von einem Mörder angegriffen, so ist dieser Vorgang in praktisch jeder Situation spannend. Überraschung ist ein wesentliches Moment zur Erzeugung von Tension.

Suspense hingegen beschreibt einen weiter gefassten Spannungsbogen und ist ohne die semantischen Zusammenhänge kaum vermittelbar. Im obigen Beispiel könnte der Mörder nach einem gescheiterten Anschlag entkommen. Dadurch wäre die Gefahr eines erneuten Angriffs gegeben, und die Spannung bleibt erhalten, ohne dass die weitere Handlung selbst bedrohliche Elemente enthalten muss. Im Gegensatz zum Überraschungsmoment basiert Suspense auf dem Konzept der Vorhersehbarkeit.

Suspense ist neben der Überraschung eines der wesentlichsten Mittel dramatischen Erzählens. Durch geschickte Mischung der Spannungselemente können diese sich gegenseitig verstärken.

Bestandteile

Suspense zerfällt in Erwartung und Zweifel. Die Erwartung ist an die Vorstellung von etwas künftig Eintreffenden geknüpft. Da jede vorgestellte Zukunft auch nicht eintreffen kann, ist ihre Erwartung immer auch mit der Vorstellung von Nicht-Erfüllung oder – positiver – dem Eintritt von etwas anderem verbunden, dessen Wahrwerden die Verwirklichung des ursprünglich Erwarteten verhindern würde. Im Zustand von Suspense oder Spannung springt nun die Phantasie des Zuschauers zwischen solch entgegengesetzten Zukunftsvorstellungen, einer befürchteten und einer erhofften („Er schafft’s!“ - „Er schafft’s nicht!“ - „Er schafft’s doch!“ usw.), hin und her.

Sorten

Je nach Erwartungs-Inhalt handelt es sich um eine Entscheidungs- oder Erklärungsspannung. im ersten Fall ist man gespannt auf den Ausgang des Außen- oder Innenkampfes zwischen Held und Widerspiel, im zweiten auf die Erklärung eines rätselhaften Umstands (in der Regel eines Mords im Kriminalroman). Entscheidungs- beziehungsweise Erklärungsspannung bedingen unterschiedliche Formen der Überraschung.

Zum Ziel der Erwartung können entweder berechnende oder beschwörende Handlungen führen. Die Berechnung steht etwa bei einem ungestört verlaufenden Diebstahl im Vordergrund, die Beschwörung bei einer Liebeswerbung. Beim (unmanipulierten) Glücksspiel helfen weder die Berechnung noch die Beschwörung, daher hat es eine besondere dramaturgische Bedeutung.

Stärke

Die Stärke des Spannungsgefühls hängt von der Wichtigkeit der vorgestellten künftigen Ereignisse für den Protagonisten, mehr noch aber für den Zuschauer (wie brennend seine persönlichen Interessen davon berührt sind) ab sowie von der Erheblichkeit des Unterschiedes zwischen Erhofftem und Befürchtetem.

Verlauf

  • Anspannung – künftiges Ereignis taucht in Phantasie auf
  • Überraschung – Nicht-Erfüllung oder Eintreffen von etwas anderem scheint möglich
  • Verwicklung – Voraussetzungen der Erfüllung vollziehen sich eine nach der anderen, unterbrochen durch neue zweifelbegründende Ereignisse
  • Lösung – nach den Erfahrungsgesetzen muss die Erfüllung, indem der Ring der Notwendigkeiten sich schließt, eintreten

Erzeugung

Geschichtliche Entwicklung

Suspense als öffentlich geduldetes und gefördertes Medienphänomen gibt es erst seit dem Sport oder dem Bühnenmelodram seit dem späteren 18. Jahrhundert. Das öffentliche Entfachen starker Emotionen setzt ein recht hohes Zivilisationsniveau voraus, um nicht aus dem Ruder zu laufen. Zudem stand die christlich-mittelalterliche Ethik, die sich in Opposition zu den römischen Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen entwickelt hatte (Tertullian), jeder Art von Suspense entgegen: Alle Versuche, etwas gemeinsam zu planen und gespannt auf Bestätigung zu warten, hatten kaum Wert gegenüber der Hoffnung, von Gott oder anderen Autoritäten erhört zu werden. Erst die Französische Revolution brachte diese Gnadenordnung grundsätzlich ins Wanken.

Im Film gilt seit 1962 das anschauliche Beispiel, das Alfred Hitchcock seinem Interviewpartner François Truffaut in Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? gab. Sinngemäß und verkürzt wiedergegeben: Wenn eine unter einem Tisch, an dem mehrere Leute frühstücken, versteckte Bombe plötzlich explodiert, ist dies ein Schreck und unterhält 20 Sekunden lang; wenn der Zuschauer die Lunte jedoch lange brennen sieht und die Figuren nichts davon ahnen, ist dies Suspense und fesselt fünf oder zehn Minuten lang. Einsatz filmischer Mittel und Kosten bleiben sich gleich, bei besserem Effekt. Dementsprechend gilt Alfred Hitchcock als „Master of Suspense“. Zwar wurden Techniken der Spannungssteigerung und Suspenseerzeugung schon lange in narrativen Medien benutzt, doch perfektionierte er sie und prägte damit die Filmlandschaft.

Literatur

  • Patricia Highsmith: Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt, Zürich: Diogenes Verlag 1985, ISBN 3-257-01685-9
  • Henning Eichberg: Leistung, Spannung, Geschwindigkeit. Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart: Klett 1978
  • Peter Vorderer, Hans J. Wulff, Mike Friedrichsen (Hrsg.): Suspense: Conceptualizations, Theoretical Analyses, and Empirical Explorations. Hillsdale NJ: Lawrence Erlbaum 1996
  • Eric Dunning, Norbert Elias: Sport und Spannung im Prozess der Zivilisation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003
  • Ralf Junkerjürgen: Spannung - Narrative Verfahrensweisen der Leseraktivierung. Eine Studie am Beispiel der Reiseromane von Jules Verne. Frankfurt a. M. usw.: Peter Lang, 2002.
  • Anne-Katrin Schulze: Spannung in Film und Fernsehen. Das Erleben im Verlauf. Berlin: Logos, 2006.
  • Iris Schneider: Aufmerksamkeitserregende Merkmale in Spielfilmen. Eine Inhaltsanalyse des Verlaufs formaler, dramaturgischer und inhaltlicher Elemente. Medienforschung 15. Regensburg: Roderer, 2007.
  • Adrian Weibel: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise des auktorialen Suspense. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008.

Siehe auch

Melodram (Theater), Thriller, Actionfilm, Last Minute Rescue

Einzelnachweise

  1. François Truffaut: Hitchcock, London: Paladin-Granada 1978, S.79

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