- Spatial turn
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Als spatial turn auch topologische Wende, seltener raumkritische Wende, wird seit Ende der 1980er-Jahre ein Paradigmenwechsel in den Kultur- und Sozialwissenschaften bezeichnet, der den Raum bzw. den geographischen Raum als kulturelle Größe wieder wahrnimmt. Ein Paradigmenwechsel liegt insofern vor, als damit einhergeht, dass nicht mehr allein die Zeit im Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen steht, wie dies in der Moderne der Fall war, sondern ihr nun auch der Raum an die Seite gestellt wird.[1]
Die englischsprachige Benennung der topologischen Wende ist nicht eindeutig. Verwendung finden: „spatial turn“[2], „topographical turn“[3] und „topological turn“.[4] Wie Döring/Thielmann feststellen, sind diese Begriffe jedoch keinesfalls synonym zu verwenden. So wird der topological Turn beispielsweise von Bachmann-Medick als eine Unterströmung des spatial turn bezeichnet.[5]
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung
Durch die nationalsozialistische Ideologie und die Eroberungskriege des Naziregimes im Zweiten Weltkrieg zur Schaffung eines neuen „Lebensraums im Osten“ war nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland die Beschäftigung mit kulturellen und geographischen Räumen zunächst diskreditiert. Erst in den 1980er-Jahren rückte diese Perspektive wieder verstärkt ins Interesse, was vor allem den Geographen David Harvey, Edward Soja, Derek Gregory, Steve Pile, Doreen Massey zu verdanken ist. Mit dem Wegfall der Blöcke des Kalten Krieges und der Öffnung der Grenzen verstärkte sich das Interesse der Sozial- und Kulturwissenschaften an geographischen Phänomenen. Zugleich wurden mit dem Internet neue kulturelle Räume geschaffen, die nicht mehr mit den Kategorien eines physischen Raumes einzufangen waren, sondern auf medialer Ebene Raumverdichtungen herbeiführten.
Neues Raumverständnis
Wie besonders gut am virtuellen Raum des Internets ersichtlich, wird hier eine neue Raumauffassung nötig, die den Raum nicht mehr als einen Behälter versteht, in dem sich Menschengruppen und Kulturen befinden. Stattdessen erscheint der Raum nun als das Ergebnis sozialer Beziehungen, das dem Handeln einzelner Menschen oder Gruppen entspringt, der reale Raum wird ergänzt durch die für das Subjekt dominante, sozial und kulturell überformte Raum-Wahrnehmung bzw. -konstruktion.
Damit die topologische Wende tatsächlich einen Paradigmenwechsel darstellt, genügt es daher nicht, wenn der Raum zum Untersuchungsgegenstand wird. Stattdessen muss vielmehr versucht werden, räumlich zu denken und von Anbeginn der Untersuchung aus sich dem Gegenstand mit räumlichen Kategorien zu nähern. Erst dann wird der Raum zu einer neuen Analysekategorie.[6]
Literatur
- Agotai, Doris: Architekturen in Zelluloid. Der filmische Blick auf den Raum., Bielefeld 2007
- Bachmann-Medick, Doris: Spatial Turn, in: Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften (2006), 3. neu bearb. Aufl. Reinbek 2009, (rowohlts enzyklopädie 55675), S. 284-328.
- Bavaj, Riccardo: Was bringt der “Spatial Turn” der Regionalgeschichte? Ein Beitrag zur Methodendiskussion, in: Westfälische Forschungen 56 (2006), S. 457-484.
- Belina, Bernd/Michel, Boris (Hrsg.): Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography. Münster 2008.
- Döring, Jörg/Thielmann, Tristan/et al. (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften Bielefeld 2008. ISBN 978-3-89942-683-0
- Dünne, Jörg/Günzel, Stephan (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/M. 2006 (stw 1800)
- Elbs, Oliver: Neuro-Esthetics: Mapological Foundations and Applications (Map 2003), München 2005.
- Fischer, Joachim/Delitz, Heike (Hg.): Die Architektur der Gesellschaft. Theorien für die Architektursoziologie, Bielefeld 2009. ISBN 978-3-8376-1137-3.
- Hallet, Wolfgang/Neumann, Birgit (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009.
- Hård, Mikael/Lösch, Andreas /Verdicchio, Dirk (Hg.): Transforming Spaces. The Topological Turn in Technology Studies, 2002.
- Joachimsthaler, Jürgen: Text und Raum. In: KulturPoetik 5 (2005), S. 243-255.
- Joachimsthaler, Jürgen: Der Kultur-Innenraum. In: Jürgen Joachimsthaler / Eugen Kotte (Hrsg.): Kulturwissenschaft(en) in der Diskussion. München 2008, S. 47-71.
- Latka, Thomas: Topisches Sozialsystem. Die Einführung der japanischen Lehre vom Ort in die Systemtheorie und deren Konsequenzen für eine Theorie sozialer Systeme., Heidelberg 2003.
- Lippuner, Roland/Lossau, Julia: In der Raumfalle. Eine Kritik des spatial turn in den Sozialwissenschaften, in: Georg Mein/Markus Rieger-Ladich (Hg.): Soziale Räume und kulturelle Praktiken. Über den strategischen Gebrauch von Medien. Bielefeld 2004, S. 47-64.
- Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt/M. 2001.
- Nishida Kitarō: Logik des Ortes, Übersetzt und herausgegeben von Rolf Elberfeld, Darmstadt 1999.
- Ryōsuke Ōhashi: 西田哲学の世界―あるいは哲学の転回 (Die Welt von Nishidas Philosophie - oder: die Wende in der Philosophie), Tokyo 1995.
- Pfister, Dieter: Raum - Gestaltung - Marketing im ganzheitlich-nachhaltigen Management. Konsequenzen einer topisch-henadischen Raumauffassung für Weltbilder, Wissenschaftsmodelle und Unternehmenspraxis, Basel 2007.
- Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München, Wien 2003.
- Schlögel, Karl: Kartenlesen, Augenarbeit. Über die Fälligkeit des spatial turn in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, in: Heinz Dieter Kittsteiner (Hg.): Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten. München 2004, S. 261-283.
- Schwingeler, Stephan: Die Raummaschine. Raum und Perspektive im Computerspiel, Boizenburg 2008
- Weigel, Sigrid: Zum "topographical turn". Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik 2,2 (2002), S. 151-165.
Siehe auch
Weblinks
- http://www.topologie-institut.de: (Freies) Institut für Topologie.
- http://www.spatialturn.de/: Tagung am SFB/FK 615 „Medienumbrüche“ der Universität Siegen
- http://www.raumtheorie.lmu.de: Arbeitsgruppe „Raum-Körper-Medium“ an der Universität München
- http://www.raumsoziologie.de: Arbeitsbereich „Stadt, Raum, Ort“ des Instituts für Soziologie der TU Darmstadt
- european-spaces.eu
- [1] Aufsatz (aus Convivium 2008): Der "spatial turn" als Provokation der Nationalphilologien
Einzelnachweise
- ↑ Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Artikel spacial turn, S. 664, Stuttgart 2008.
- ↑ So Bachmann-Medick 2007; Schlögel 2003.
- ↑ So Weigel 2002.
- ↑ So Ohashi 1995; Hård/Lösch/Verdicchio 2002; Günzel 2005.
- ↑ vgl. Döring/Thielmann 2008:219ff, Bachmann-Medick 2006.
- ↑ Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Artikel spacial turn, S. 665, Stuttgart 2008.
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