Barbareskenstaaten

Barbareskenstaaten
Carte de la Barbarie de la Nigritie et de La Guinée: Karte der Barbareskenküste, des Sudan und Guinea - Karte von 1707

Als Barbaresken- oder Piratenstaaten wurden vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert die zwischen atlantischem Ozean und Ägypten liegenden nordafrikanischen Territorien des Maghreb bezeichnet, insbesondere Algier, Constantine, Tunis, Tripolis und Barka sowie die in den marokkanischen Städten Salé und Rabat etablierte Korsaren-Republik Bou-Regreg. Die Einordnung Marokkos war nicht ganz zweifelsfrei. Das Wort „Barbaresken“ leitet sich von „Barbar“ oder „Berber“ ab.[1] Haupteinnahmequelle der Barbareskenstaaten war die Piraterie und damit einhergehend Menschenraub, Sklavenhandel und Lösegelderpressung. Modernen Schätzungen zufolge wurden in den Barbareskenstaaten zwischen 1530 und 1780 etwa 1,25 Millionen Menschen versklavt, die meisten davon durch Raubzüge an den Küsten Italiens, Spaniens und Portugals.[2] Die Zahl entspricht etwa einem Zehntel des transatlantischen Sklavenhandels. Die Klassifizierung als Piratenstaat war für die völkerrechtliche Frage entscheidend, ob die Regeln des zwischenstaatlichen Kriegsrechts auf diese Anwendung finden sollten oder nicht.[3]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Nachdem die Spanier 1492 mit dem Emirat von Granada das letzte muslimische Königreich in Westeuropa erobert hatten, siedelten sich aus Spanien geflohene Morisken im Maghreb an. Zusammen mit einheimischen Arabern und Mauren rüsteten sie große Flotten aus und begannen von ihrer Basis Nordafrika aus als Korsaren einen permanenten Krieg gegen die christlichen Mittelmeermächte, insbesondere gegen deren Schifffahrt und Küsten. Damit erlebte die bereits seit Jahrhunderten im Mittelmeerraum verbreitete Piraterie einen gewaltigen Aufschwung. Die Barbaresken stießen bald in das Machtvakuum vor, das aus der anhaltenden Schwächephase der regionalen muslimischen Herrscherdynastien (Meriniden, Wattasiden in Marokko, Abdalwadiden [Zay(y)aniden] in Algerien, Hafsiden in Tunesien) resultierte. Diese waren, von internen Machtkämpfen und Konflikten mit unruhigen Beduinen- und Berberstämmen zerrissen, in einen Zustand des staatlichen Zerfalls abgeglitten.

Die Raubzüge der muslimischen Korsaren führten während der nächsten Jahrhunderte bis an die Küsten Irlands[4] und sogar Islands[5], wo sie aus küstennahen Dörfern und Städten Einwohner verschleppten und später als Sklaven verkauften. Häufigstes Ziel der Sklavenrazzien waren jedoch die Küsten Italiens, Spaniens und Portugals.

Sämtliche Barbareskenstaaten (und deren schlagkräftige Flotten) gerieten bald unter die Kontrolle des Osmanischen Reiches. Die osmanische Ausdehnung erfolgte teils durch Eroberung, teils durch freiwillige Unterwerfung. So unterstellte sich 1518 der bekannteste Korsarenführer, Khair ad-Din Barbarossa, kaum dass er sich gewaltsam zum Herrscher Algiers aufgeschwungen hatte, dem Schutz des Sultans. Dieser wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum Oberherrn von Nordafrika (mit Ausnahme Marokkos). Algier, Tunis und Tripolis waren formal osmanische Provinzen, wurden jedoch Anfang des 18. Jahrhunderts faktisch wieder unabhängig.

Bereits zu dieser Zeit war der fortwährende Kriegszustand mit den christlich-abendländischen Staaten nur noch mit Mühe religiös begründbar (Dschihad). Vielmehr diente dieser Dauerzustand als formale Legitimation der im Krieg völkerrechtlich erlaubten Kaperei; bildete doch die Piraterie bis zum Untergang der Barbareskenstaaten im 19. Jahrhundert deren wichtigste Einnahmequelle. Darum kam es wiederholt zu europäischen und später auch zu US-amerikanischen Interventionen.

Ein Randereignis dieser Auseinandersetzungen war der Friedensvertrag zwischen den jungen Vereinigten Staaten und dem islamischen Tripolis im Jahr 1797. Dessen geschichtliche Bedeutung liegt darin, dass die USA sich im Vertragstext als „in keiner Weise ein christlicher Staat“ bezeichnen, was damals im europäischen Kulturraum eine unerhörte Neuerung darstellte. Dieser vom US-Senat ratifizierte Vertragstext wird noch heute von säkular gesinnten Amerikanern gegen die Aufweichung der Trennung von Kirche und Staat ins Feld geführt.

Erst die zwischen 1830 und 1847 erfolgte französische Eroberung Algeriens bereitete der Seeräuberei dort, wie auch in Tunis und Tripolis, ein abruptes Ende. Tunis wechselte 1881 von osmanischer unter französische Herrschaft, Tripolis kam 1912 an Italien. Marokko wurde 1912 in ein spanisches und ein französisches Protektorat aufgeteilt.

Literatur

  • Salvatore Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer. Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert. Klett Cotta, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-608-94378-8.
  • Stephen Clissold: The barbary slaves. Edition Elek, London 1977, ISBN 0-236-40084-3.
  • Robert C. Davis: Christian slaves, Muslim masters. White slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500 - 1800. Basingstoke [u.a.] 2003.
  • Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt. Beck, München 2004, ISBN 3-406-47486-1, S. 502-590.
  • Joerg M. Mössner: Die Völkerrechtspersönlichkeit und die Völkerrechtspraxis der Barbareskenstaaten (Algier, Tripolis, Tunis 1518-1830) (Neue Kölner rechtswissenschaftliche Abhandlungen; 58). De Gruyter, Berlin 1968.
  • Daniel Panzac: Barbary corsaires. The end of a legend 1800 - 1820. Leiden [u.a.] 2005.
  • Adrian Tinniswood: Pirates of Barbary. Corsairs, Conquests, and Captivity in the Seventeenth-Century Mediterranean. Riverhead Books, New York 2010, ISBN 978-1594487743.

Einzelnachweise

  1. Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? Berlin/Heidelberg/New York 2004, S. 35
  2. http://www.bbc.co.uk/history/british/empire_seapower/white_slaves_02.shtml
  3. Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? Berlin/Heidelberg/New York 2004, S. 36
  4. http://www.baltimore.ie/heritage-history/the-sack-of-baltimore-1631.html
  5. http://www.icelandtouristboard.com/index.php?page=About-Iceland#history

Siehe auch

Weblinks


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